Kommentar

Vollgeld-Initiative: Am 10. Juni entscheidet sich die Zukunft des Finanzsystems

Eine Volksabstimmung zur sogenannten Vollgeld-Initiative könnte die Funktionsweise des Schweizer Finanzsystems auf den Kopf stellen.

Wenn man an die Schweiz denkt, können einem viele Dinge einfallen: Schönes Alpenpanorama, lebenswerte Städte, direkte Demokratie und diskrete und mächtige Finanzwelt - um nur einige wenige Punkte zu nennen. Am 10. Juni kommt es nun gewissermaßen zum Duell zwischen der direkten Demokratie und der Finanzwelt, für die viel auf dem Spiel steht. Die Schweizer Bürger sind nämlich dazu aufgerufen, über die sogenannte Vollgeld-Initiative abzustimmen. Diese Initiative würde die bisherige Funktionsweise des Finanzsystem auf den Kopf stellen. Umfragen zufolge befürworten die meisten Schweizer die Vollgeld-Initiative - während sie nicht nur von den Banken, sondern auch vom Parlament mit großer Mehrheit abgelehnt wird.

Um zu verstehen, was die Vollgeld-Initiative überhaupt will, muss man zumindest in Grundzügen verstehen, wie das aktuelle Geldsystem funktioniert.

Was viele Menschen nicht wissen: Aktuell wird der größte Teil der Geldmenge nicht durch Zentralbanken, sondern durch private Geschäftsbanken erzeugt. Das ist nicht nur in der Schweiz so, sondern weltweit.

Denn Banken müssen Geld, das sie verleihen wollen, gar nicht wirklich besitzen. Räumt eine Schweizer Bank etwa einem Kunden einen Kredit über 1.000 Franken ein, so muss die Bank diese Franken vorher nicht besitzen. Sie räumt dem Kunden in ihrem Computersystem einfach ein Guthaben von 1.000 Franken ein, das sie gewissermaßen "aus dem Nichts" erschaffen kann. Gleichzeitig vermerkt sie aber auch, dass der Kunde eine neue Verbindlichkeit über 1.000 Franken hat - er muss schließlich den gewährten Kredit irgendwann zurückzahlen. Erst wenn der Kunde die ihm als Kredit gewährten 1.000 Franken von seinem Bankkonto tatsächlich abhebt, muss die Bank das vorher nur "virtuell" existierende Geld in echtes Geld in Form von Geldscheinen und Münzen umwandeln. Trotzdem kann eine Bank nicht beliebig viel Geld erzeugen: Die Kapitalvorschriften für Banken begrenzen die Menge, in der eine Bank neue Kredite vergeben kann.

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Etwas vereinfacht kann man auch sagen: Geld auf Konten ist gar kein echtes Geld, sondern nur ein Anspruch auf Geld. Besitzt man 1.000 Euro auf einem Bankkonto, so besitzt man nicht wirklich 1.000 Euro, sondern man besitzt den Anspruch, dass die Bank auf Verlangen 1.000 Euro aushändigt. Ist die Bank dazu im Insolvenzfall nicht mehr in der Lage, ist man auch seine 1.000 Euro los - die man ohnehin nur "virtuell" (also auf dem Bankkonto) besessen hat.

Ein Großteil der "Geldmenge" praktisch überall auf der Welt besteht gar nicht aus "echtem Geld", sondern nur aus einem Anspruch auf Geld. Die Vollgeld-Initiative will genau dies in der Schweiz nun ändern.

Künftig soll auch elektronisches Geld nur noch durch die Schweizer Nationalbank, nicht aber durch die Geschäftsbanken erzeugt werden können. Privates, alternatives Geld (zum Beispiel Bitcoin) soll aber zulässig bleiben.

Welche Vorteile hätte das Vollgeld? Die Befürworter werben mit folgenden Argumenten:

  • Die Stabilität des Finanzsystems würde zunehmen, weil die Kreditvergabe der Banken viel stärker begrenzt würde als bisher. Der Konjunkturzyklus würde abgemildert, weil Banken die Boom-Phasen nicht mehr durch eine unkontrollierte Ausweitung der Geldmenge anheizen. Denn der Konjunkturzyklus ist im Wesentlichen vor allem eine Schwankung der Geldmenge, die der Wirtschaft und den Bürgern zur Verfügung steht.
  • Es würde nicht mehr vorkommen, dass Banken, die in Schieflage geraten, durch den Staat gerettet werden müssten. Es gäbe keine Bankenrettungen mehr mit Staatsgeld. Bankkunden würden auch bei einem Bankrun keine Guthaben verlieren.
  • Nicht mehr private Banken, sondern die Nationalbank und damit indirekt auch der Staat würden an der Geldschöpfung verdienen. Schätzungen gehen davon aus, dass jährlich rund 5 bis 10 Milliarden Franken zusätzlich in die Staatskasse fließen könnten. Außerdem könnte es einen positiven Einmaleffekt in der Größenordnung von 300 Milliarden Franken für die Staatskasse geben.

Ob diese Effekte so wirklich eintreten würden, ist auch unter Experten umstritten. Es gibt aber auch in der "seriösen Finanzwissenschaft" durchaus Experten, die die Einführung eines Vollgeld-Systems unterstützen.

In der Schweiz lehnen allerdings Regierung, Parlament und Nationalbank das Vorhaben vehement ab. Auch die Schweizer Geschäftsbanken laufen Sturm gegen das Vorhaben. Vor allem die folgenden Argumente werden gegen die Einführung eines Vollgeld-Systems ins Spiel gebracht:

  • Die Banken und damit indirekt auch die Bürger und Unternehmen könnten finanziell stark belastet werden. Denn wenn die Gewinne aus der Geldschöpfung wegfallen, könnten die Geschäftsbanken zum Beispiel gezwungen sein, hohe Kontoführungs- oder Überweisungsgebühren einführen.
  • Die Kreditvergabe könnte einbrechen. Bürger und Unternehmen könnten deutlich schwieriger und nur zu viel höheren Kosten an Kredite kommen.
  • Die Schweizerische Nationalbank (SNB) würde künftig die Geldmenge viel stärker beeinflussen als bisher. Dies könnte positiv, aber auch negative Auswirkungen haben. Der politische Druck auf die SNB würde vermutlich stark zunehmen. Gut möglich, dass dann künftig indirekt die Regierung über die Geldpolitik entscheiden würde und sich das Geld für ihre Ausgaben gewissermaßen selbst drucken würde.

Es wird auf jeden Fall spannend. Sollte die Initiative von den Schweizern wirklich angenommen werden, sind die Auswirkungen in ihrer Fülle noch gar nicht absehbar. Die Schweiz würde zum Experiment für eine andere Geldpolitik.

Links:

Schweizer Vollgeld-Initiative

Verein Monetative e.V. (Setzt sich für ein Vollgeld-System in Deutschland ein)

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Oliver Baron
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Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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