Kommentar
09:30 Uhr, 22.05.2018

Vollgeld-Initiative: Am 10. Juni entscheidet sich die Zukunft des Finanzsystems

Eine Volksabstimmung zur sogenannten Vollgeld-Initiative könnte die Funktionsweise des Schweizer Finanzsystems auf den Kopf stellen.

Wenn man an die Schweiz denkt, können einem viele Dinge einfallen: Schönes Alpenpanorama, lebenswerte Städte, direkte Demokratie und diskrete und mächtige Finanzwelt - um nur einige wenige Punkte zu nennen. Am 10. Juni kommt es nun gewissermaßen zum Duell zwischen der direkten Demokratie und der Finanzwelt, für die viel auf dem Spiel steht. Die Schweizer Bürger sind nämlich dazu aufgerufen, über die sogenannte Vollgeld-Initiative abzustimmen. Diese Initiative würde die bisherige Funktionsweise des Finanzsystem auf den Kopf stellen. Umfragen zufolge befürworten die meisten Schweizer die Vollgeld-Initiative - während sie nicht nur von den Banken, sondern auch vom Parlament mit großer Mehrheit abgelehnt wird.

Um zu verstehen, was die Vollgeld-Initiative überhaupt will, muss man zumindest in Grundzügen verstehen, wie das aktuelle Geldsystem funktioniert.

Was viele Menschen nicht wissen: Aktuell wird der größte Teil der Geldmenge nicht durch Zentralbanken, sondern durch private Geschäftsbanken erzeugt. Das ist nicht nur in der Schweiz so, sondern weltweit.

Denn Banken müssen Geld, das sie verleihen wollen, gar nicht wirklich besitzen. Räumt eine Schweizer Bank etwa einem Kunden einen Kredit über 1.000 Franken ein, so muss die Bank diese Franken vorher nicht besitzen. Sie räumt dem Kunden in ihrem Computersystem einfach ein Guthaben von 1.000 Franken ein, das sie gewissermaßen "aus dem Nichts" erschaffen kann. Gleichzeitig vermerkt sie aber auch, dass der Kunde eine neue Verbindlichkeit über 1.000 Franken hat - er muss schließlich den gewährten Kredit irgendwann zurückzahlen. Erst wenn der Kunde die ihm als Kredit gewährten 1.000 Franken von seinem Bankkonto tatsächlich abhebt, muss die Bank das vorher nur "virtuell" existierende Geld in echtes Geld in Form von Geldscheinen und Münzen umwandeln. Trotzdem kann eine Bank nicht beliebig viel Geld erzeugen: Die Kapitalvorschriften für Banken begrenzen die Menge, in der eine Bank neue Kredite vergeben kann.

Lesen Sie dazu auch:

Etwas vereinfacht kann man auch sagen: Geld auf Konten ist gar kein echtes Geld, sondern nur ein Anspruch auf Geld. Besitzt man 1.000 Euro auf einem Bankkonto, so besitzt man nicht wirklich 1.000 Euro, sondern man besitzt den Anspruch, dass die Bank auf Verlangen 1.000 Euro aushändigt. Ist die Bank dazu im Insolvenzfall nicht mehr in der Lage, ist man auch seine 1.000 Euro los - die man ohnehin nur "virtuell" (also auf dem Bankkonto) besessen hat.

Ein Großteil der "Geldmenge" praktisch überall auf der Welt besteht gar nicht aus "echtem Geld", sondern nur aus einem Anspruch auf Geld. Die Vollgeld-Initiative will genau dies in der Schweiz nun ändern.

Künftig soll auch elektronisches Geld nur noch durch die Schweizer Nationalbank, nicht aber durch die Geschäftsbanken erzeugt werden können. Privates, alternatives Geld (zum Beispiel Bitcoin) soll aber zulässig bleiben.

Welche Vorteile hätte das Vollgeld? Die Befürworter werben mit folgenden Argumenten:

  • Die Stabilität des Finanzsystems würde zunehmen, weil die Kreditvergabe der Banken viel stärker begrenzt würde als bisher. Der Konjunkturzyklus würde abgemildert, weil Banken die Boom-Phasen nicht mehr durch eine unkontrollierte Ausweitung der Geldmenge anheizen. Denn der Konjunkturzyklus ist im Wesentlichen vor allem eine Schwankung der Geldmenge, die der Wirtschaft und den Bürgern zur Verfügung steht.
  • Es würde nicht mehr vorkommen, dass Banken, die in Schieflage geraten, durch den Staat gerettet werden müssten. Es gäbe keine Bankenrettungen mehr mit Staatsgeld. Bankkunden würden auch bei einem Bankrun keine Guthaben verlieren.
  • Nicht mehr private Banken, sondern die Nationalbank und damit indirekt auch der Staat würden an der Geldschöpfung verdienen. Schätzungen gehen davon aus, dass jährlich rund 5 bis 10 Milliarden Franken zusätzlich in die Staatskasse fließen könnten. Außerdem könnte es einen positiven Einmaleffekt in der Größenordnung von 300 Milliarden Franken für die Staatskasse geben.

Ob diese Effekte so wirklich eintreten würden, ist auch unter Experten umstritten. Es gibt aber auch in der "seriösen Finanzwissenschaft" durchaus Experten, die die Einführung eines Vollgeld-Systems unterstützen.

In der Schweiz lehnen allerdings Regierung, Parlament und Nationalbank das Vorhaben vehement ab. Auch die Schweizer Geschäftsbanken laufen Sturm gegen das Vorhaben. Vor allem die folgenden Argumente werden gegen die Einführung eines Vollgeld-Systems ins Spiel gebracht:

  • Die Banken und damit indirekt auch die Bürger und Unternehmen könnten finanziell stark belastet werden. Denn wenn die Gewinne aus der Geldschöpfung wegfallen, könnten die Geschäftsbanken zum Beispiel gezwungen sein, hohe Kontoführungs- oder Überweisungsgebühren einführen.
  • Die Kreditvergabe könnte einbrechen. Bürger und Unternehmen könnten deutlich schwieriger und nur zu viel höheren Kosten an Kredite kommen.
  • Die Schweizerische Nationalbank (SNB) würde künftig die Geldmenge viel stärker beeinflussen als bisher. Dies könnte positiv, aber auch negative Auswirkungen haben. Der politische Druck auf die SNB würde vermutlich stark zunehmen. Gut möglich, dass dann künftig indirekt die Regierung über die Geldpolitik entscheiden würde und sich das Geld für ihre Ausgaben gewissermaßen selbst drucken würde.

Es wird auf jeden Fall spannend. Sollte die Initiative von den Schweizern wirklich angenommen werden, sind die Auswirkungen in ihrer Fülle noch gar nicht absehbar. Die Schweiz würde zum Experiment für eine andere Geldpolitik.

Links:

Schweizer Vollgeld-Initiative

Verein Monetative e.V. (Setzt sich für ein Vollgeld-System in Deutschland ein)

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31 Kommentare

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  • Nabu_te
    Nabu_te

    Eine Tragödie ?

    Es ist doch klar, dass die Finanz Industrie mit Ihren weltweiten Verflichtungen und Abhängigkeiten den jährlichen Bonus von ca. 7 Milliarden CHF gratis ohne irgendwelchen Ersatz einfach so abgeben sollten. Die Abstimmung wird sicher manipuliert zu Gunsten der Bankster. Es wurde daher auch keine seriöse Umfrage gemacht, weil es klar ist dass die Banken nicht verlieren werden. Es sieht so aus, dass die Banken gewinnen werden, weil sie, obwohl sie unbeschränkte Mittel haben eigentlich fast keine Werbung gegen Vollgeld machen.

    In der Schweiz dürfen wir unnütze Abstimmungen machen, welche eine Schein Demokratie erzeugen und die Bürger in einer schein Demokratie halten, leider realisieren das die Meisten nicht! Die Verquickung der Nationalbank und der Parlamenterier in diiesem Spiel zeigt wieder einmal, dass die demokratischen Grundsätze schändlich ausgehebelt werden, es zeigt aber auch dass die Parlamentarier einen bedenklichen schalen Geschmack abgeben in diesem Geschäft!

    Das unnütze tragisch/kömödische Spiel mit dem Bundesgericht bringt die Bürger auch nicht weiter, weil die Reakions Zeit, derart kurz ist, dass den Bürgern die Zeit fehlt um diese Schlam Schlacht noch zu verarbeiten.

    20:25 Uhr, 05.06.2018
  • Mr.Schwyzer
    Mr.Schwyzer

    Fake-News-Vorwurf zum Vollgeld

    Verbreiten SNB und Bundesrat bei der Vollgeldinitiative Falschinformationen? Das Bundesgericht ist aktiv geworden.

    Michael Derrer lässt nicht locker. Der Unterstützer der Vollgeldinitiative hat seine im Kanton Aargau eingereichte Abstimmungsbeschwerde ans Bundesgericht weitergezogen. Er wirft dem Bundesrat, der Schweizerischen Nationalbank und den kantonalen Finanzdirektoren vor, die Informationspflicht verletzt zu haben. «Die Behörden stellen die Vollgeldinitiative massiv verzerrt dar und lassen wichtige Elemente weg», sagt Derrer. Raffael Wüthrich, Pressesprecher der Initianten, spricht von einer «bewussten Desinformation». Ziel der Behörden sei es, im Volk vor der Abstimmung vom 10. Juni Verunsicherung zu schüren.

    Das Bundesgericht hat bereits reagiert. Es hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) und den Bundesrat dazu aufgefordert, zu den Vorwürfen der Abstimmungsbeschwerde Stellung zu nehmen. Nach zuverlässigen Informationen von Tagesanzeiger.ch/Newsnet läuft die Frist bereits am nächsten Mittwoch ab. Die SNB und die Bundeskanzlei, die seitens der Bundesverwaltung für die Abstimmungsinformationen zuständig ist, haben also nur noch wenige Tage Zeit, um zu beweisen, dass sie bei ihrer Information zur Vollgeldinitiative die Grundsätze der Sachlichkeit, der Transparenz und der Vollständigkeit ausreichend beachtet haben. Herr Kühn, Sie dürfen gerne auf unserer Webseite, die 20 Fehlleistungen der Bundesrats-Administration einsehen gehen.

    10:13 Uhr, 24.05.2018
  • bananenbully
    bananenbully

    Mhm ändert sich wirklich was? Die Banken vermitteln dann halt Kredite der snb und werden ganz normal dafür entlohnt, so wie heute schon Kredite von Landesbank oder Hyporhekenbanken vermittelt werden. Ein Problem kann höchstens werden, dass man der SNB auferlegt nur so und so viel Kredite zu vergeben und dass die Verwaltung bei der SNB erst noch geschaffen werden müssen. Ich wüsste jetzt nicht, wieso sich plötzlichen an der Geldmenge was ändern würde?

    14:28 Uhr, 22.05.2018
    1 Antwort anzeigen
  • The Secessionist
    The Secessionist

    Viel Glueck und Erfolg ihr letztes freies Volk Europas!!

    12:51 Uhr, 22.05.2018
    1 Antwort anzeigen
  • haechamatus
    haechamatus

    Keine Angst, das Schweizervolk ist nicht mehr so mutig wie vor 500 Jahren; das ersieht man schon daran, wie unterwürfig es sich der EU gegenüber verhält. Zuerst wettern die Schweizer gegen Europa und dann sind sie immer noch eine Spur restriktiver als die EU.

    11:26 Uhr, 22.05.2018
    1 Antwort anzeigen
  • kingmidas
    kingmidas

    Immer wieder lustig zu sehen wie korrupte die Politik in Europa ist. "Zufälligerweise" immer wenn es um solche Themen geht sind die Parteien(in dem Fall die Banken) mit dem Staat einer Meinung. Eine Hand wäscht die andere.

    11:21 Uhr, 22.05.2018
  • ZeroG
    ZeroG

    Geld verleihen, das man nicht hat und dafür Zinsen verlangen. Unter normalen Umständen (wenn es keine Bank wäre) wäre das Betrug und man würde in's Gefängnis kommen. Es ist schon erstaunlich wie weit die Finanzindustrie gekommen ist, dass das jetzt der Normalfall ist .. aber wer Geld hat , der hat auch eben die Macht.

    10:22 Uhr, 22.05.2018
    1 Antwort anzeigen
  • Peter Zumdeick
    Peter Zumdeick

    Die Banken werden bis zur Abstimmung am 10. Juni noch so viel Werbung gegen das Vollgeldsystem schalten und so viel Angst schüren, dass die Abstimmung schon im Sinne der Finanzeliten ausfallen wird.

    10:10 Uhr, 22.05.2018
    1 Antwort anzeigen
  • Reinhard Scholl
    Reinhard Scholl

    Spannend! (Obwohl ich vermute es wäre der Untergang der schweizer Finanzindustrie...)

    Da stellt sich die Fragen wie die Abstimmung ausgehen wird.

    Habe kurz recherchiert:

    Knappes Nein, 18. Mia: : https://www.nzz.ch/schweiz/gel...

    Diverse: https://www.vollgeld-initiativ...

    Gruss, Reinhard

    https://go.guidants.com/#c/rei...

    09:53 Uhr, 22.05.2018
    1 Antwort anzeigen
  • Elchness
    Elchness

    Na, dass die Geschäftsbanken dagegen sind, das dürfte wohl niemand wundern. Denen würde damit nicht nur eine Einnahmequelle, sondern auch ein Großteil ihres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einflusses wegbrechen.

    Dass das Parlament auch dagegen ist, erstaunt auch nicht weiter, dafür dürfte die Lobbyarbeit der Geschäftsbanken gesorgt haben. Der ein oder andere Parlamentarier dürfte schon einen Anschlussvertrag als Aufsichtsratsmitglied be einer Bank haben.

    Ich würde mir wünschen, dass die Initiative Erfolg hat, denn für mich überwiegen die genannten (vermuteten) Vorteile klar die genannten (vermuteten) Nachteile. Dann kann am Beispiel Schweiz getestet werden, ob so ein System funktioniert und falls ja, sollte man darüber nachdenken, das auch in der Eurozone einzuführen.

    Es ist aber auch anzumerken, dass so ein Abstimmungsergebnis auch in der Schweiz nicht bindend für das Parlament ist. Da gibt es genug Möglichkeiten entsprechende Gesetze zu verschleppen und dann irgendwann komplett fallen zu lassen.

    09:49 Uhr, 22.05.2018

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Über den Experten

Oliver Baron
Oliver Baron
Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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