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10:32 Uhr, 08.07.2014

Vier Gründe weshalb die Investitionslücke doch sehr schlimm ist

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    Kursstand: 9.882,38 Punkte (XETRA) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung
  • Die gravierendste wirtschaftspolitische Fehlentwicklung der letzten Jahre ist der Rückgang der Investitionsquote vor allem im privaten Bereich.
  • Die Argumente, das Phänomen zu relativieren, ziehen nicht.
  • Zur Belebung der Investitionen reicht es nicht, an dieser oder jener Schraube zu drehen und beispielsweise die Abschreibungsbedingungen zu verbessern.

Das größte Problem der deutschen Wirtschaft ist derzeit nicht – wie manchmal suggeriert wird – die Einführung der Rente mit 63 oder die niedrige Preissteigerung. Es ist, dass zu wenig investiert wird. Deutschland tut zu we­nig für seine Zukunft.

Dabei geht es nicht nur um Straßen oder Brücken. Das lässt sich vergleichsweise einfach lösen, indem der Staat mehr Geld in die Hand nimmt. Es geht vor allem um die Unternehmen. Ihre Ausgaben für Maschinen und Ausrüstungen haben sich gemessen am BIP in den letzten 25 Jahren fast halbiert.

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Die Entwicklung vollzog sich unabhängig von Konjunk­tur­schwankungen. Auch die außerordentlich niedrigen Zin­sen, die hohen Kassenbestände der Firmen und die Er­sparnisse der privaten Haushalte in den letzten Jah­ren haben daran nichts geändert. Das kann man nicht ein­fach mit etwas mehr Geld in Ordnung bringen. Der klei­ne Anstieg der Quote im ersten Quartal ist erfreulich, sollte aber nicht überbewertet werden. Er ist konjunktu­rell bedingt.

Eigentlich müssten da die Alarmglocken schrillen. Die Wirtschaftspolitik müsste alle Hebel in Bewegung set­zen, um die Entwicklung zu drehen. Warum geschieht das nicht? Hier ein paar Gründe dafür und auch die Ar­gumente, warum sie nicht stichhaltig sind.

Erstens wird die Existenz der Investitionslücke vielfach geleugnet. Sie sei nur eine statistische Fiktion. Denn mit dem technischen Fortschritt würden die Preise für Ma­schinen und Ausrüstungen immer billiger. Sinkende Aus­gaben signalisieren daher nicht, dass die Unternehmen real weniger investieren, sondern nur, dass sie für das Gleiche nicht mehr so viel ausgeben müssen.

Das ist falsch. Untersuchungen zeigen, dass die Investi­ti­onsquote auch in preisbereinigter Rechnung zurück­geht. Nur nicht ganz so stark. Noch wichtiger aber ist: Die Zahlen werden hier lediglich brutto angegeben. Die Abschreibungen werden also nicht berücksichtigt. Rech­net man netto, also nach Abzug der Abschreibungen, dann sieht alles noch viel dramatischer aus. Nach Be­rechnungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau sind die Nettoinvestitionen der Großunternehmen bereits seit Jahren negativ. Das heißt, der Maschinenpark wird per Saldo abgebaut. Bei Klein- und Mittelunternehmen ist die Situation noch nicht ganz so schlimm. Hier gibt es nach wie vor zusätzliche Kapazitäten. Es werden aber immer weniger.

Zweitens wird die Bedeutung der Investitionslücke he­runtergespielt, weil Deutschland hier nicht allein ist. Nach Berechnungen des Institute of International Fi­nance geht die Investitionsquote in fast allen großen Industrielän­dern zurück. Am stärksten ist das neben Deutschland in Großbritannien, Japan und Italien der Fall, etwas weni­ger in den USA und Frankreich.

Das ist aber nur ein geringer Trost. Es heißt lediglich, dass die Investitionslücke nicht so sehr die Wettbe­werbsfähigkeit auf den Weltmärkten beeinträchtigt. Es heißt aber nicht, dass wir genug für die Zukunft tun. Ein Fehler wird nicht dadurch besser, dass andere ihn auch begehen.

Drittens halten manche eine sinkende Investitionsquote für unabänderlich. Die Höhe der Investitionen hänge – so wird gesagt – ab von der Höhe des Wachstums. Wenn die Volkswirtschaften nicht mehr so schnell ex­pandieren, müssen sie auch nicht mehr so viel für Ma­schinen und Ausrüstungen ausgeben. Tatsächlich geht die Wachstumsrate in den Industrieländern schon seit einiger Zeit zurück. Die Gründe sind bekannt: Die demo­grafische Alterung, die zunehmende Sättigung der Kon­sumenten, die Verlangsamung des technischen Fort­schritts, vielleicht auch die zunehmende Abkehr vom Wachstumsdenken in der Gesellschaft.

Auch das ist nicht richtig. Natürlich hängt die Investiti­onsquote von der gesamtwirtschaftlichen Wachstums­rate ab. Aber viel wichtiger ist der umgekehrte Zusam­menhang: Das Wachstum ist deshalb so schwach, weil so wenig investiert wird. Damit entstehen überhaupt erst die großen Probleme, die uns in den kommenden Jah­ren zum Beispiel durch die Alterung in der Gesellschaft ins Haus stehen. Die Gesellschaft braucht daher nicht weniger Investitionen, sondern mehr, auch um mehr Wachstum zu schaffen.

Viertens heißt es, niedrige Investitionsquoten könne man gar nicht ändern. Sie seien Symptome gesellschaft­licher Veränderungen. Wenn die Menschen in zuneh­mend kürzeren Fristen denken, wenn die heutige Ren­dite für den Kapitalmarkt wichtiger ist als die langfristige Befriedigung von Kundenbedürfnissen, wenn der markt­wirtschaftliche Handlungsspielraum durch bürokratische Eingriffe zunehmend enger wird, wenn sich die Regeln der Marktwirtschaft immer öfter ändern – dann sollte man sich nicht wundern, wenn sich die Unternehmen scheuen, das Risiko langfristiger Investitionen auf sich zu nehmen. Die Schlussfolgerung heißt dann aber nicht Nichtstun. Sie besagt nur, dass es nicht reicht, an dieser oder jener Schraube zu drehen und beispielsweise die Abschreibungsbedingungen zu verbessern. Es geht viel­mehr darum, die gesellschaftlichen Veränderungen zu korrigieren und den marktwirtschaftlichen Kompass wie­der zu justieren. Das ist natürlich schwer. Lassen Sie sich also nicht mit falschen Argumenten beruhigen. Es führt kein Weg daran vorbei, dass die Investitionslücke beseitigt werden muss, wenn die Wirtschaft wieder auf gesunde Bahnen zurückgeführt werden soll.

Für den Anleger

Es ist schwer, daraus konkrete Schlussfolgerungen für den Kapitalmarkt zu ziehen. Was hängen bleiben sollte: Hier liegt eine grundlegende Fehlentwicklung vor. Sie muss und wird früher oder später korrigiert werden. Anleger sollten bei der Auswahl von Titeln solche Unternehmen bevorzugen, die besonders aktiv bei den Investitionen sind. Sie sorgen für die Zukunft vor und haben daher langfristig bessere Aussichten.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

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  • student
    student

    Haben wir nicht alle gelernt, dass Gewinnmaximierung das Traumziel aller Unternehmen ist? Und dass der liberale Markt und seine Teilnehmer alles viel besser können als der Staat?

    Wenn jetzt aber erwirtschaftete Produkte und Dienstleistungen nicht mehr in die heimische Infrastruktur zurückfließen, fehlt auf einmal etwas! Der natürliche Kreislauf der Wirtschaft. Durch effiziente Arbeitsteilung und Maschineneinsatz müsste es eigentlich allen Arbeitern möglich sein, ein besseres Leben zu führen. Gerade der Überschuß an erarbeiteten Werten sorgt für einen Aufbau der Infrastruktur und des Sozialstaates, das einem kontinuierlichem Wohlstand - es muss nicht unbedingt Wachstum sein - den Weg bereitet. Es reicht, wenn Investitionen der Erhaltung des Systems dienen. Aber es reicht nicht.

    Der Grund dafür ist der mittlerweile hohe Zinsanteil in den Waren und Dienstleistungen, die dem Finanzsystem und deren Investoren zufließen - und nicht mehr der Erhaltung des Systems durch Umverteilung dienen.

    Um den Investoren eine angemessene Rendite zukommen zu lassen:

    - wird der Maschineneinsatz in allen Branchen in allen Facetten forciert und dadurch teures Personal eingespart

    - wird durch Lobbyarbeit die Steuerlast immer mehr reduziert - weltweit agierende Unternehmen bezahlen so gut wie gar nichts mehr

    - werden die Personalkosten selbst durch Lohnsenkungen aller Art und damit auch die Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gedrückt

    - müssen und werden auch Kredite nebst Zinsen in die Verkaufspreise mit eingerechnet

    - wird der erwirtschaftete Gewinn einer angemessenen Besteuerung auf legale Weise entzogen, sowohl auf Unternehmensseite als auch auf der Seite der Kapitalanleger

    Um diesen Umverteilungsprozess wieder in Gang zu setzen, sollte der Staat seine Aufgabe wahrnehmen, das Kapital wieder in Infrastruktur und Sozialsysteme zu lenken, damit wir morgen noch eine Zukunft wie heute haben.

    01:15 Uhr, 09.07.2014