Kommentar
07:05 Uhr, 02.11.2021

Verlieren Notenbanken absichtlich die Kontrolle über die Zinsen?

Die meisten Notenbanken sagen weiterhin niedrige Zinsen voraus. Der Markt glaubt ihnen kein Wort.

Seit kurzem haben Spekulanten ein neues Betätigungsfeld entdeckt: Wetten gegen Notenbanken. Notenbanken haben im Zuge der Krise nicht nur die Zinsen gesenkt und Wertpapiere gekauft, sondern auch sogenannte Forward Guidances gegeben. Dabei gibt die Notenbank dem Markt einen klaren Anhaltspunkt, bis wann die aktuellen Zinssätze gelten. Die EZB beteuerte in der vergangenen Woche, dass der Zinssatz weiterhin dort bleibt, wo er ist. Über den Prognosezeitraum erwartet die EZB keinen Zinsanstieg. Anleger glauben das der EZB nicht. Bis 2023 erwartet der Markt inzwischen wieder positive Zinsen. Hält die EZB an ihrer Prognose fest, ist das absolut falsch. Der Einlagensatz würde auch 2023 noch im negativen Bereich liegen. Die EZB hat ein Glaubwürdigkeitsproblem und sie kann dagegen wenig tun. Die Markterwartung kann sie durch eine Forward Guidance beeinflussen, doch wenn Marktteilnehmer nicht daran glauben, ist sie machtlos. Die EZB kann auch nicht intervenieren, um die Erwartungen zu kontrollieren.


Noch prekärer ist die Lage in Australien. Dort gilt eine Zinskurvenkontrolle. Hier sollte die Rendite von Staatsanleihen mit Laufzeiten bis 2 Jahren nicht bei mehr als 0,1 % liegen. Bereits vor zwei Wochen starteten Anleger einen Versuch, gegen die Notenbank zu wetten. Sie trieben die Rendite deutlich über die Zielmarke. Die Notenbank intervenierte.

Nur wenige Tage später wurde ein zweiter Versuch gestartet (Grafik 2). Die Rendite stand zuletzt mehr als beim Fünffachen der Zielmarke. Der Zinsanstieg ist enorm. Man kann fast von einem Zinsschock sprechen.


Die australische Notenbank sieht regungslos zu. Sie könnte grundsätzlich unbegrenzt Anleihen kaufen, um die Rendite wieder auf 0,1 % zu drücken. Sie tut es nur nicht. Die Wertpapierkäufe sinken tendenziell (Grafik 3). Widerstand gegen Spekulanten sieht anders aus.

Global kommt es überall zu einem ähnlichen Phänomen. Notenbanken sagen, dass die Zinsen niedrig bleiben, aber keiner glaubt ihnen. Marktbasierte Zinsen wie die von Anleihen steigen entsprechend. Damit wird die Geldpolitik straffer, obwohl die Notenbank die von ihr festgelegten Zinsen nicht anrührt.

Von der Rendite von Staatsanleihen hängen viele Zinssätze ab, etwa jene, die Haushalte für Immobilienkredite zahlen müssen oder zu denen sich Unternehmen Geld am Finanzmarkt besorgen können. Indirekt wird die Geldpolitik also straffer. Im Gegensatz zu früheren Phasen leisten die Notenbanken aber keinen Widerstand. Sie lassen es einfach geschehen.

Das kann man auf unterschiedliche Arten interpretieren. Eine Interpretation ist, dass Notenbanken einfach selbst nicht mehr an die niedrigen Zinsen glauben, die sie selbst vorhergesagt haben. Sie lassen die marktbasierten Zinsen ansteigen, ohne Widerstand zu leisten. Ändern sie dann wie prognostiziert ihre Zinspolitik, ist alles bereits eingepreist und keine Überraschung mehr. Dieser kontrollierte Kontrollverlust ist ein Experiment, das schiefgehen kann.

Clemens Schmale


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1 Kommentar

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  • Silvi2512
    Silvi2512

    Könnten sie bitte einmal erläutern unter welchen Umständen dieses Experiment schief gehen würde? Vielen Dank

    16:23 Uhr, 02.11. 2021

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Über den Experten

Clemens Schmale
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Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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