Kommentar
06:50 Uhr, 19.11.2015

USA: Wirtschaft zwischen Zuversicht und Absturz

Die gute Nachricht zuerst: das magere US-Wachstum des 3. Quartals von 1,5% dürfte erheblich nach oben korrigiert werden. Die schlechte Nachricht: das 4. Quartal wird nicht gut.

Verglichen mit anderen Volkswirtschaften geht es der US Wirtschaft gut. Die Zeiten von 4% Wachstum sind zwar vorbei, aber solide 2% sind besser als in vielen Teilen der Welt. Verglichen mit Schwellenländern wie Brasilien, die sich in einer Rezession befinden, wächst das US Bruttoinlandsprodukt rasend schnell. Zufrieden ist damit in den USA dennoch niemand.

Im bereits laufenden US-Präsidentschaftswahlkampf überbieten sich die Kandidaten mit neuen Wachstumszielen. Jeb Bush, Bruder des Präsidenten George W. Bush und Sohn des ebenfalls ehemaligen Präsidenten Bush in den 90ern, fordert 4% Wachstum. Wie das gehen soll bleibt noch offen, aber 4% klingen gut...

In den Fernsehdebatten der Kandidaten gewinnt man den Eindruck, dass sich die USA nach wie vor in einer dramatischen Rezession befinden. Diese Übertreibung muss natürlich sein und gehört zum politischen Programm. Die Zahlen des laufenden Jahres untermauern die Rezessionsfantasien der Republikaner allerdings nicht. Das erste Quartal war mit einem Wachstum von 0,6% schwach, dafür war das 2. Quartal mit 3,9% sehr stark. Die Q3 Zahlen dürften von 1,5% noch auf 2% nach oben korrigiert werden.

Grund für die Revision der Wachstumszahlen Richtung 2% ist der Optimismus der Unternehmen, die im 3. Quartal ihre Lager ordentlich gefüllt haben. Unternehmen haben zwar nicht mehr verkauft, aber mehr produziert. Das steigert das Wachstum, auch wenn durch die reine Lagerhaltung an sich noch nicht viel gewonnen ist.

Die Grafik zeigt die Entwicklung der Werte der Waren, die Unternehmen lagern und die dazugehörigen Verkaufsumsätze. Derzeit werden Waren im Wert von 1,82 Billionen Dollar gelagert. Demgegenüber stehen Verkäufe von 1,32 Billionen pro Monat. Die Lagerbestände würden also reichen, um den Konsum von 1,38 Monaten zu befriedigen.

Das Inventar-Absatz-Verhältnis ist ein wichtiger Gradmesser. Je höher das Verhältnis ist, desto länger können Unternehmen die Produktnachfrage bedienen, ohne neue Güter produzieren zu müssen. Momentan ist diese Verhältnis so hoch wie seit 2003 nicht mehr, wenn man die Rezession 2008/09 außen vor lässt.

Bauen Unternehmen die Lager bis Jahresende eher ab als auf, dann hat das einen wachstumsmindernden Effekt. Die Republikaner können sich dann Anfang 2016 rühmen, es ja vorhergesagt zu haben. Das Wachstum im 4. Quartal dürfte schwach ausfallen und kaum über 1% hinauskommen. Die Frage ist jedoch: bauen die Unternehmen ihre Lagerbestände überhaupt ab?

Das Verhältnis von Inventar zum Absatz war von 1992 bis 2011 rückläufig. Das spiegelte nicht so sehr die sinkende Zuversicht von Unternehmen wider, als vielmehr gestiegene Effizienz. „Just in time“ Produktion hat in den vergangenen Jahren massive Fortschritte gemacht. Unternehmen können Produkte sehr viel schneller herstellen und in die Läden bringen als noch vor ein oder zwei Jahrzehnten. Unter diesen Gesichtspunkten sind die steigenden Lagerbestände etwas rätselhaft.

Sie können nun zwei Dinge bedeuten. Entweder sind Unternehmen extrem zuversichtlich, dass der Konsum in den kommenden Monaten überproportional steigt oder sie reagieren nicht auf sinkende Nachfrage. Ersteres wäre ein sehr positives Signal. Unternehmen bereiten sich auf einen Nachfrageschub vor. Wenn die Nachfrage steigt, wollen sie auch verkaufen können und nicht Konsumenten auf Wartezeiten vertrösten.

Der zweite Fall ist durchaus problematisch. Der Einzelhandelsumsatz ist rückläufig. Zugegeben, das liegt an den niedrigen Benzinpreisen, die in die Umsätze mit eingerechnet werden. Nichtsdestotrotz werden die Ersparnisse aus niedrigen Treibstoffpreisen eher auf die Seite gelegt als in den Konsum gesteckt. Andernfalls sollten die Umsätze ja wenigstens stabil bleiben.

Persönlich gehe ich davon aus, dass Unternehmen ihre Lagerbestände reduzieren werden. Einen Konsumeinbruch sehe ich derzeit nicht. Solange der Arbeitsmarkt in den USA boomt kann davon keine Rede sein. Vielmehr lässt sich erkennen, dass Konsumenten mehr Geld sparen. Das reduziert die Schulden und stärkt zukünftigen Konsum. Unternehmen hatten wohl darauf gehofft, dass Konsumenten die Treibstoffersparnisse direkt in andere Güter stecken. Diese Erwartung erfüllte sich nicht. Die Daten sind meiner Meinung nach weder ein Indiz für eine Beschleunigung noch für eine Verlangsamung des Wachstums. Für das BIP-Wachstum im 4. Quartal werden sie dennoch dämpfend wirken. Ein niedriges Wachstum gegen Jahresende sollte Anleger jedoch nicht aufschrecken. Die Gründe haben wenig mit dem Zustand der Wirtschaft zu tun und sind eher Ausdruck von Lagerbestandsanpassungen.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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