Kommentar
16:00 Uhr, 17.06.2021

Ultralockere Geldpolitik: Was, wenn sich die Notenbank irrt?

Vorerst gibt die US-Notenbank weiter Vollgas und bleibt ihrer Linie treu. Das könnte sich als der größte Fehler einer Generation herausstellen.

Die US-Notenbank wird nicht ewig an ihrem aktuellen Kurs festhalten, auch das ist am gestrigen geldpolitischen Entscheid deutlich geworden. Vorerst ändert sich jedoch wenig. Es wird weiterhin Geld in den Markt gespült, obwohl es niemand mehr braucht oder haben will. Man gewinnt fast den Eindruck, dass die Fed die einmalige Chance nutzen will, um endlich überdurchschnittlich hohe Inflation zu erzwingen. Das gelang nach der Finanzkrise nicht, weil Staaten sparten. Heute ist das anders. Der Staat gibt mit vollen Händen aus und wird durch die Notenpresse finanziert. Hohe Inflation belastet im Normalfall den Aktienmarkt zumindest kurzfristig. Das ist momentan nicht der Fall, denn der Normalfall tritt nicht ein. Zum Normalfall gehört nicht nur steigende Inflation, sondern auch steigende Zinsen. Die Angst vor letzterem hat die Notenbank größtenteils genommen.

Zugegeben, der Markt reagierte etwas enttäuscht, dass Notenbanker nun erste Zinsschritte 2023 für möglich halten. Diese Enttäuschung dürfte sich als kurzfristig herausstellen. 2023 ist weit weg.

Trotz der minimalen Prognoseanpassung bricht die Fed mit der Regel, dass höhere Inflation auch höhere Zinsen bedeutet. Es hat mehrere Monate gedauert, doch inzwischen glauben Anleger der Fed und auch anderen Notenbanken. Die EZB verfolgt nun einen ähnlichen Weg. Inflation ist daher für den Markt kein Thema mehr, weil Zinsen kein Thema sind.


Zinsen sind wiederum kein Thema, weil die Notenbank zwei Dinge beteuert: Inflation ist vorübergehend und selbst wenn sie es nicht ist, bleiben die Zinsen niedrig. Inzwischen drängt sich fast der Verdacht auf, dass die Notenbank selbst nicht mehr unbedingt an ein rein vorübergehendes Phänomen glaubt. Sagen kann sie es nicht. Das würde den Markt aufschrecken und zu einer Verschlechterung der Lage am Finanzmarkt führen.

Die Lage ist nicht eindeutig. Die Inflation kann vorübergehend sein oder auch permanent höher bleiben. Es gibt Argumente für beide Sichtweisen. Doch selbst wenn permanent höhere Inflation klar auf der Hand läge, würde die Fed vermutlich weiterhin auf dem vorübergehenden Phänomen beharren. Sie will den Markt nicht zu sehr aufschrecken.

Früher oder später wird es daran keinen Weg vorbei geben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die US-Wirtschaft in diesem Jahr um mehr als 6 % wächst und im kommenden Jahr nochmals um mehr als 3 % zulegt. Damit liegt die Wirtschaftsleistung bereits im kommenden Jahr über dem potentiellen Output.

Die potentielle Wirtschaftsleistung ist jene, die über einen längeren Zeitraum bei hoher Beschäftigung und stabiler Inflation erwirtschaftet werden kann. Liegt die tatsächliche Wirtschaftsleistung darüber, droht Inflation. Historisch stieg der Output erst über das Potential. Die Inflation folgte wenig später.

Die Lücke zum Potential ist ab 2022 positiv und zwar so sehr wie seit 1973 nicht mehr. Das bedeutet, dass definitiv mit überdurchschnittlicher Inflation gerechnet werden muss. Das sehen auch Notenbanker. Sie kennen die Daten. Daher drängt sich der Verdacht besonders stark auf, dass diese Lücke provoziert wird.

Damit haben wir dann kein vorübergehendes Phänomen mehr. Das will eigentlich niemand, zumal es vor allem die Konsumenten und unter diesen die schwächsten der Gesellschaft besonders trifft. Dieses Risiko einzugehen kann sich als größter geldpolitischer Fehler einer Generation herausstellen. Kommt es dazu und erkennt das der Markt erst, wird es unangenehm.

Dass es in diesem Fall unangenehm wird, hat die gestrige Markreaktion gezeigt. Eine minimale Prognoseveränderung hat Anleger ein wenig aufgeschreckt. Was geschieht erst, wenn sich herausstellt, dass die Fed Inflation tatsächlich bekämpfen muss?

Clemens Schmale


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2 Kommentare

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  • Tüskendör
    Tüskendör

    Ich brauche jemanden, der mir erklärt, warum Silber (oder auch Mais) fallen, während der Markt sich offenbar entschlossen hat den NASDAQ steigen zu lassen.

    Entweder bin ich zu blöd oder der Markt ist irrational. Hätte bitte jemand die Güte mir zu erklären, warum ich blöd bin ?

    17:07 Uhr, 17.06. 2021
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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