Kommentar
11:42 Uhr, 07.08.2015

Ukraine: Zurück in die 90er Jahre

Der Ukrainekonflikt beherrscht schon lange nicht mehr die Schlagzeilen, dabei wird erst jetzt das Ausmaß so richtig deutlich. Der Konflikt wirft die Ukraine wirtschaftlich in die 90er Jahre zurück.

Derzeit finden Verhandlungen über einen Schuldenschnitt mit der ukrainischen Regierung statt. Die Verhandlungen ziehen sich bereits viele Wochen in die Länge und ein endgültiger Durchbruch lässt noch auf sich warten. Internationale, private Gläubiger wollen nicht einfach so einem Schuldenschnitt zustimmen. Es geht dabei auch nicht um den Verzicht auf 10 oder 20% der Schulden, sondern vielmehr um 80%.

Gläubiger erklären sich bisher dazu bereit auf 40% der Schulden zu verzichten. Für die Regierung wäre das ein erster guter Schritt. Das Schuldenproblem löst es jedoch nicht. Grafik 1 zeigt die Entwicklung der Staatsschulden seit 1997. Lange Zeit blieben die Schulden relativ konstant bei 15 Mrd. USD. Da das Bruttoinlandsprodukt gleichzeitig wuchs reduzierte sich die Schuldenquote von 60 auf 10%. Dann kam die Finanzkrise und die Regierung versuchte einerseits durch Konjunkturprogramm die Wirtschaft am laufen zu halten und musste andererseits große Einbußen auf der Einnahmenseite verkraften.

Von 2010 bis 2013 stabilisierte sich die Lage wieder. Die Wirtschaft wuchs schneller als die Schulden. Dann kam die Annexion der Krim. Was folgte muss man schon als Bürgerkrieg bezeichnen. Dieser hält nach wie vor an. Krieg ist letztlich immer teuer. Dabei geht es nicht nur um die direkten Kosten von Ausrüstung, sondern vor allem auch um die indirekten Kosten. Die Wirtschaftsleistung der Ukraine bricht in sich zusammen. Die Importe halbierten sich, was vor allem auch daran liegt, dass die Ukraine kaum noch Devisen hat, um Importe zu bezahlen. Die Exporte gingen um ein Drittel zurück. Dieser Rückgang wird sich noch ausweiten, denn vor allem landwirtschaftliche Produkte wurden aus Lagern verkauft, um an Geld zu kommen. Sind die Lager erst einmal leer, werden auch die Exporte zurückgehen.

Die Industrieproduktion sinkt mit einer Jahresrate von über 20%. Die Regierung weiß gar nicht, wo sie all die Probleme anpacken soll. Die Einnahmen brechen weg, der Krieg ist teuer und auch die Milderung der Krise für die Bevölkerung durch Sozialausgaben fressen riesige Löcher ins Budget. Allein 2014 überstiegen die Ausgaben die Einnahmen um 20 Mrd. oder ungefähr 16% der Wirtschaftsleistung.

Zu allem Überfluss ist die Ukraine stark im Ausland verschuldet. Grafik 2 zeigt die Auslandsverschuldung sowie die Entwicklung des BIPs in USD. Die von Staat und Wirtschaft in Fremdwährung aufgenommenen Schulden übersteigen vermutlich Ende 2015 die Wirtschaftsleistung. Kurz: die Ukraine ist so pleite wie man nur sein kann.

Ein Schuldenschnitt muss her, darin sind sich alle einig. Bei den derzeitigen Verhandlungen geht es um Anleihen im Volumen von 18 Mrd. USD. Selbst wenn die privaten Gläubiger darauf ganz verzichten, wäre damit noch nicht viel gelöst.
Momentan wird die Regierung über Hilfskredite des IWF und der EU über Wasser gehalten. Die internationalen Hilfen betragen derzeit etwas über 20 Mrd. USD. Ein Großteil kommt vom Internationalen Währungsfonds. Dieser fordert im Gegenzug Ausgabenkürzungen und Rentenreformen von der ukrainischen Regierung. Diese Forderungen wirken schon etwas abwegig für ein Land, welches sich im Bürgerkrieg befindet.

Wirtschaftlich wird sich der Abschwung auch in naher Zukunft nicht bremsen lassen. Der Leitzins liegt bei 30%. Die Inflation steht dennoch bei über 50%. Das ist nicht gerade ein gutes Investitionsumfeld – ganz abgesehen vom eigentlichen Militärkonflikt.

Der Währungsfonds beschreitet mit der Ukraine übrigens einen ähnlichen Weg wie mit Griechenland. Wider die Vernunft werden Kredite gegen Auflagen vergeben. Die Auflagen dienen letztlich der Gesichtswahrung, obwohl man ziemlich genau weiß, dass die Kredite verloren und die Auflagen Augenwischerei sind. Die Kredite haben letztlich politische Gründe. Man darf die Ukraine nicht fallen lassen, schon allein deshalb nicht, weil man Russland sonst den Erfolg seiner Politik zugestehen muss.

Letztlich wird die Ukraine von zwei Seiten zerrieben. IWF und internationale Gläubiger üben Druck über die Kredite auf die Regierung aus. Gleichzeitig bricht die Wirtschaft als Folge des Militärkonfliktes in sich zusammen und ist nicht mehr weit von dem Niveau der 90er Jahre entfernt. 25 Jahre wirtschaftliche Entwicklung sind de facto dahin. Das Werk einer ganzen Generation ist in einem Jahr zerstört worden. Gratulation.

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8 Kommentare

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  • Chronos
    Chronos

    Annexion wurde widerlegt, siehe auch Frankfurter Zirkel.

    Die url ging nicht: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die...

    Reinhard Merkel kommt aus Hamburg, ich bin Süd-Wessi (für manche auch eine Zone)

    Clemens Schmale wird´s nicht ändern, er reagiert nie und seine Arbeiten machen sehr oft den

    Eindruck rein amerikanischer Übersetzungen.

    Springe zwischen Thailand und Cambodia, EU hoffentlich mal kurz Frankreich.

    Liegt derzeit eventuell an Kafka, Protein oder meine Ex-Verlobte aus Baku kann nix dafür ;-)

    12:03 Uhr, 09.08.2015
  • Chronos
    Chronos

    "Annexion" ist völkerrechtlich nachgewiesen falsch.

    IWF ist rein amerikanisch getriggert, siehe auch neue amerikanische Produktionsstätten.

    Somit kein Beitrag der sich irgendwie von amerikanischer Presse unterscheidet.

    Sehe im Gegensatz zu öi-tai-pe null Unterschied.

    Der Ukranine hilft die Begriffsdefinition nur nichts, siehe auch Georgien oder Lybia.

    Auch hier bezahlen wir NATO-Stützpunkte und spielen damit nicht nur indirekt die millitärische amerikanische Vorhut.

    17:02 Uhr, 08.08.2015
    1 Antwort anzeigen
  • li-tai-pe
    li-tai-pe

    ganz ohne Lobhudelei... super Beitrag, endlich ein Kommentar der sich von unserer Einheitspresse unterscheidet.

    12:51 Uhr, 08.08.2015
  • Kaputtnick
    Kaputtnick

    Hallo Herr Schmale

    Ich lese ihre Artikel immer gern und mit grossem Intresse aber hier hab ich noch ne kleine Anmerkung.

    Von 2010 bis 2013 stabilisierte sich die Lage wieder. Die Wirtschaft wuchs schneller als die Schulden. Dann kam die Annexion der Krim....?

    Davor kamen aber noch ganz andere Sachen Maidan , Schüsse auf alles was sich bewegte, von welcher Seite auch immer,Putsch Flucht des Präsidenten ,wie auch immer gewählt, Verbot der Russischen Sprache welche dann wieder zurückgenommen wurde.

    Und dann sofort die "Besuche" und "Zusagen" und "Hilfen" der EU und ihrer "Freunde" sah

    in meine Augen wie ein abgekartetes Spiel aus.

    Ich bin kein Putinfreund aber das er seinen einzigen eisfreien Hafen und seine Mittelmeerflotte

    gefährdet sah ist ja wohl offensichtlich.

    Frohes Wochenende

    11:11 Uhr, 08.08.2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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