Analyse
03:06 Uhr, 19.01.2008

Übergang vom Bull- zum Bear-Markt?

Externe Quelle: UniCredit

Wichtigstes technisches Ereignis in dieser Woche war zweifelsohne der Bruch der 350er Marke beim Dow Jones STOXX 600, als Abbild der größten Brachenvertreter des europäischen Wirtschaftsraums. Diese Nackenline stellt die Demarkationslinie eines mittelfristigen Rounding Tops dar, das mit der jüngsten Kursentwicklung nach unten durchbrochen ist und damit formaltechnisch das Ende des Bull-Marktes einläutet. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass bei 300 (aktuell 335) wiederum eine Nackenlinie auszumachen ist, wobei diese dann bedeutungsvoll für den langfristigen Trend und als Signalgeber für eine Art Head And Shoulder Top ist. Mit anderen Worten, dem jüngsten Signal würde das Scheitern an dem Widerstand 350 und das Zurückfallen auf die 300 folgen, was wiederum nur Vorbote eines Bruchs der 300 wäre. Das Kursrisiko in der Folge wären dann nochmals 80-100 Punkte. Rund um den Globus haben sich bei einigen Leitindizes auf den ersten Blick ähnliche Entwicklungen wie beim Dow Jones STOXX 600 im Wochenverlauf ergeben. Dies ist vorab einmal schlichtweg zur Kenntnis zu nehmen. Das Risiko für einen institutionellen Trader (dem alleinigen Adressat dieser Publikation), dass es sich bei dem jüngst gesehenen Kursdruck um einen noch intakten übergeordneten Abwärtsimpuls handelt, ist somit gegeben.

Der nicht enden wollenden Flut, der die Erwartungen verfehlten Mikro- und Makro-Daten im neuen Jahr, sind DAX und S&P 500 formaltechnisch noch nicht zum Opfer gefallen; jedenfalls nicht so, dass man bereits vom Verletzen der Signalmarken für das Einläuten des Übergangs vom Bullzum Bear-Markt sprechen könnte. Gemeint sind die 7450 und die 1360. Typischerweise wurden zuletzt die maßgeblichen Marken vergleichsweise exakt markiert. Damit wurde jedoch lediglich ihre ohnehin vermutete Bedeutung unterstrichen und somit die Aussagekraft eines späteren Signals bei Verletzten der Marken. Wir vermissen hier überzeugende Indikationen, dass die Supports nachhaltig verteidigt werden können, aber auch hinsichtlich der unmittelbaren Standfestigkeit sind Zweifel angebracht.

Vorab aber das Positive: Im Widerstreit der Chartpattern hatte der DAX lange Zeit ein Ascending Triangle aufzuweisen, das ihm über Monate im positiven Sinne ein historisch ungekanntes Eigenleben gegenüber den krisenhaft verschlechterten Umfeldkonstellationen verlieh. Mit dem Verteidigen der 7450, dem Tief im November ist formaltechnisch, aufgrund des gestrigen höheren Closings, weiter ein Aufsteigendes Dreieck einzuzeichnen, und die 8150 wartet ebenfalls immer noch auf Entjungferung. Auch die Häufigkeitsverteilungen lassen keine Anstalten erkennen, dass der aktuelle übergeordnete Handelsbereich, der sich von 7060 bis 8150 erstreckt, nach unten verlassen werden will.

Zum Fragwürdigen: Zunächst ist das Pattern des S&P 500 weiter unbestreitbar das einer oberen Trendwendeformation, bei der man sich redlich darüber streiten kann, ob es sich um ein Rounding Top, ein multiples Top oder ein Head And Shoulder Top handelt. Im letzten Fall wäre weiterhin Aufschub für den Bruch der Nackenline im Zeitrahmen von bis zu einem Quartal gegeben, danach wäre der Bruch der Nackenlinie nach klassischer Lehre allerdings ebenfalls nur schwer abwendbar.

In diesem Zusammenhang sei ein Blick auf die Indikatorenfront abseits der Charts genommen. Auffällig ist, dass der zum Jahresbeginn zentrale Eindruck des fehlenden Commitments der Anleger, dem Konflikt extrem konträrer Indikationen gewichen ist. Ersteres zog die Gefahr eines sehr kräftigen Sentimentimpulses an der Börse nach sich, was eine Positionierung im großen Stil verbot. Die aktuelle Konstellation ist charakteristisch für einen Markt in der Transition, aktuell möglicherweise vom Übergang vom Bull- zum Bear-Markt. Indikatorengruppen übergreifend könnte man zum Beispiel anführen, dass sich die Money Flows in den USA nach wie, im Trend verschlechtern und grundsätzlich weiter sehr negativ zu werten sind. Auf der Marktstruktur-Seite ist umgekehrt ein NYSE-Advance-Decline-Ratio zu beobachten, das sich sehr stark positiv divergent präsentiert. Die Polarisierung der Indikatoren setzt sich jedoch auch innerhalb der Indikatorengruppen fort, so z.B. beim Sentiment. Die Umfragen der American Association of Individual Investors wissen derzeit von Rekordpessimismus zu berichten, was unter Contrarian-Überlegungen ein Kaufsignal bedeutet. Der Volatilitäts-Skew von Index-Optionen auf den S&P 500 hingegen ist sehr flach. Mit anderen Worten, wenn es um die konkrete Positionierung geht, scheint man sich in den letzten Tagen sonderbarerweise trotz starker Abgaben konkret auf kein größeres Kursrisiko zu positionieren.

Wo ist die Conclusio? Die Suche nach Eindeutigkeit der Indikatoren muss in einer Phase des Übergangs vom Bull- zum Bear-Markt erfolglos bleiben. Die Antwort auf die Frage ob es sich überhaupt um einen solchen Übergang handelt, wird erschwert durch den Umstand, dass das zentrale Pattern der oberen Trendwende beim S&P 500, im Zuge seines Fortschreiten vor dem Bruch der Nackenlinie eher durch wenig indikative Umsatzindikationen geprägt ist. Mit anderen Worten ein Sellout oberhalb der Nackenlinie einer oberen Trendwendeformation ist ein Widerspruch in sich selbst, womit auch diesbezüglich eindeutige Signale nicht zu erwarten sind. Erschwerend kommt hinzu, dass die Historie keine Sellouts am Jahresbeginn kennt und die monatelange Zurückhaltung der Investoren diesbezüglich ebenfalls wenig hilfreich ist. Die globalen Umsatzindikationen zeigen insofern, abgesehen von einzelnen Brandherden auch keinen Flächenbrand, was angesichts derart kritischer Chartpattern notwendig wäre, um die Basis für überzeugende Gegenbewegungen zu bilden.

Ein letzter Faktor in diesem Spiel sei ebenfalls erwähnt, nämlich der, dass, sobald es zu einem Bruch der signalgebenden mittelfristigen Marken kommt, in der Regel auch bereits die kurzfristige Gegenbewegung startet.

Vor diesem letzten Hintergrund hatten wir bislang lediglich ein vorsichtig selektives Vorgehen empfohlen und es vor einer Woche für den Fall eines negativen Ausgangs der Tests der Supports als möglich erachtet, dass sich damit Indikationen ergeben, die uns im Gegensatz zu der bisherigen Situation zu einer Trading- Buy-Empfehlung auf Basis des Markettimings bewegen. Diese Einschätzung können wir hier wiederholen.

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Über den Experten

Harald Weygand
Harald Weygand
Head of Trading

Harald Weygand entschied sich nach dem Zweiten Staatsexamen in Medizin, einer weiteren wirklichen Leidenschaft, dem charttechnischen Analysieren der Märkte und dem Trading, nachzugehen. Nach längerem, intensivem Studium der Theorie ist Weygand als Profi-Trader seit 1998 am Markt aktiv. Im Jahr 2000 war er einer der Gründer der stock3 AG und des Portals www.stock3.com. Dort ist er für die charttechnische Analyse von Aktien, Indizes, Rohstoffen, Devisen und Anleihen zuständig. Über die Branche hinaus bekannt ist der Profi-Trader für seine Finanzmarktanalysen sowie aufgrund seiner Live-Analysen auf Anlegerveranstaltungen und Messen.

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