Kommentar
10:28 Uhr, 10.08.2016

Über den Sinn und Unsinn von Prognosen

Ich erinnere mich noch sehr gut an die Zeit, als ich anfing als Finanzberater zu arbeiten. Jeder Kundenkontakt war ungemein wertvoll und gerade als "Frischling" quoll das Telefonbuch nicht gerade vor potentiellen Kontakten über.

Da wollte man umso weniger Fehler machen und war dankbar für jeden Tipp. Die älteren und erfahreneren Kollegen nahmen mich mit, so dass ich zusehen und lernen konnte. Nach den Terminen gab es dann wertvolle Ratschläge. So lernte ich, dass man immer eine Krawatte tragen muss, auch wenn man sich zur Besprechung in einem Eiscafé trifft. Auf einem Seminar wurde ich geschult, immer Blickkontakt zu halten und den Kopf leicht schräg zu neigen. Ein ganz heißer Tipp war, immer warme Getränke zu bestellen, das würde den Vertrauensaufbau und die gegenseitige Nähe stärken.

Sie können sich in etwa ausmalen wie mein erstes eigenes Gespräch verlief. Ich saß bei 30 Grad in der Sonne, trank warmen Tee, die korrekt gebundene Krawatte ließ keinen Lufthauch durch und mein Kunde fragte mich, ob ich Probleme mit meiner Nackenmuskulatur hätte. Ich war unkonzentriert, da ich die Tipps in meinem Kopf verfolgte und das Gespräch wurde natürlich ein Flop.

Im Anschluss dachte ich immer wieder viel über Ratschläge und Tipps im Allgemeinen nach. Die meisten Empfehlungen werden ja aus guter Gesinnung heraus gegeben und basieren auf persönlichen Erfahrungen. Die Ratschläge haben für den Tippgeber gut funktioniert, aber würden sie auch für mich funktionieren?

In sozialen Netzwerken und in den Medien werden wir jeden Tag mit Tipps und Prognosen überhäuft. "Essen Sie diese 10 Lebensmittel um nicht krank zu werden" oder "Der eine Fehler, warum Sie Ihren Traumpartner noch nicht gefunden haben". Aber auch in finanziellen Fragen sind Prognosen nicht weit. Tipps für die besten "Dividendenwerte" oder "Warnsignale" für einen bevorstehenden Aktiencrash können wir beinahe täglich den Medien entnehmen. (1)

Das Problem von Prognosen ist, dass sie selten etwas mit unserer persönlichen Situation zu tun haben. Wenn eine Hedgefondsgröße dazu rät Aktien zu verkaufen und Gold zu horten, dann mag das für ihn als Manager eines flexiblen Finanzproduktes eine geeignete Strategie sein. Aber ist es auch für Sie mit Ihren persönlichen Zielen und Ihrer individuellen Strategie die geeignete Empfehlung?

Ein Beispiel. Überall lesen wir, dass Anleihen keine Zinsen mehr bringen und nun Aktien die richtige Wahl seien. Tatsächlich sind Anleihen- und Anleihenfonds kein gutes Geschäft im Moment, insbesondere nach Trading- und Managementkosten. Aber für einige Menschen in bestimmten Situationen könnten Anleihen die geeignete Anlage sein. Zum Beispiel wenn ein Vermögen extrem risikoarm gestreut werden soll. Dies kann für Menschen im Ruhestand, die sich keine großen Marktschwankungen erlauben können, da sie jederzeit auf das Geld angewiesen sind, zutreffen. Die Empfehlung, nun auf Aktien umzusteigen, wäre für jene Anleger sogar mit fatalen Folgen verbunden. (2)

Sie dürfen also allgemeine Ratschläge in Finanzfragen getrost ignorieren.

Ein weiteres und allgemein bekanntes Problem ist, dass Prognosen selten zutreffen. Ohne jetzt die zahlreichen Statistiken zu bemühen, die die Fehlbarkeit von Ökonomen und Finanzanalysten in der Prognose zukünftiger Entwicklungen belegen, möchte ich auf einen viel einfacheren Zusammenhang hinweisen, warum Sie Prognosen nicht interessieren dürfen.

Finanzanalysten benutzen unglaublich intelligente Systeme um auszuloten, wie sich die Märkte oder einzelne Aktien in Zukunft entwickeln werden. Sie verfügen meist über riesige Datenmengen und Finanzinstitute geben viel Geld aus, um immer bessere Modelle zur Prognose von Börsenkursen und Wirtschaftsindikatoren zu entwickeln. Doch zwei Dinge werden dabei immer wieder vernachlässigt.

Es ist der Mensch und die Natur, die niemals prognostizierbar werden und ihr Einfluss auf die Finanzmärkte, das wissen Sie aus eigener Erfahrung, ist meist sehr groß. Es gibt keine Modelle, um einen politischen Putsch, die Auswirkungen einer Umweltkatastrophe oder menschliches Versagen hervorzusehen.

Wussten Sie, dass der Dow Jones Index 1998 eine Abwärtsbewegung machte, als die Clinton-Lewinsky-Affäre bekannt wurde? (3)

Die Märkte sind keine exakte Wissenschaft, sondern beruhen auf dem Verhalten von Menschen. Allein diese Eigenschaft macht jede sichere Prognose unmöglich.

Mein prognosefreier Tipp daher für Sie ist: Gehen Sie Ihren persönlichen Weg an den Märkten und lassen Sie sich vom Lärm der Medien nicht irritieren. Das einzige, was Sie dafür benötigen ist eine individuelle Strategie, die zu Ihnen passt. Finden Sie heraus, was Ihre Ziele für Ihre Geldanlage sind und wählen Sie anschließend die richtige Mischung von Anlageklassen (Aktien, Anleihen, Rohstoffe, Immobilien, Derivate - falls nötig) aus, die zu Ihrer Lebenssituation und Ihren Wünschen passen.

PS: Ich habe später in der Finanzberatung ebenfalls gute Erfahrungen gemacht, meinem eigenen und persönlichen Stil zu folgen. Der Vorteil war, dass ich Menschen traf, die eine gemeinsame Philosophie teilten. Den meisten war es dann auch gleich, ob ich mit oder ohne Krawatte zum nächsten Termin kam.

Viele Grüße
Jakob Penndorf

--
(1) Why Marc Faber is calling for an ugly stock-market crash—again. Online-Artikel auf Marketwatch vom 10.08.2016, abgerufen am 10.08.2016 
(2) Sparkassen-Ärger: Wie eine 89-Jährige ihr Sparbuch verliert. Online-Artikel über die Sendung "Marktcheck" des SWR vom 13.10.2015. Abgerufen am 10.08.2016 
(3) Seelenfrieden für Ihr Vermögen von Markus Marquardt, Berlin, 2014, Seite 27f.

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  • Mitdenker
    Mitdenker

    guter Artikel

    10:49 Uhr, 10.08.2016

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Über den Experten

Jakob Penndorf
Jakob Penndorf

Jakob Penndorf teilt seit 2015 seine Expertise als Finanz- und Tradingexperte auf GodmodeTrader und Guidants, den Finanzportalen der BörseGo AG. Er startete seine Karriere als Börsenhändler und Analyst bei einer Wertpapierhandelsbank, war Berater und Fondsmanager für Asset Manager in Frankfurt am Main und Gründer eines Finanztechnologie-Unternehmens in Berlin. Jakob Penndorf hat zahlreiche Lehrgänge absolviert, u.a. ist er akkreditierter Berater der namhaften Investmentgesellschaft Dimensional Funds Advisors (DFA) aus den USA, deren Vorstand und Verwaltungsrat führende Finanzforscher wie Kenneth French, Roger Ibbotson oder Eugene Fama angehören. Jakob Penndorf veröffentlichte zahlreiche Fachartikel über Börsenstrategien, Anlegerverhalten und technische Handelssysteme. Er trainiert Unternehmer, Börsenhändler und Investoren im Umgang mit Risiken an den Finanzmärkten.

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