Trefferquote, Münzwurf und profitables Trading
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Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
Vielleicht haben Sie die Diskussion mitverfolgt, die seit einiger Zeit unter den Tradern in unserem Team stattfindet und bei der über die Bedeutung der Trefferquote beim Traden debattiert wird. Mein Kollege Marko Strehk hat kürzlich einen Beitrag in Harald Weygands Blog veröffentlicht, in dem er seine Sicht auf diese Fragestellung beschreibt. Zuvor hatte auch René Berteit im selben Blog hierzu in einem ausführlichen Artikel zum Trading Stellung bezogen. Die Abonnenten von Rocco Gräfes Tradingservice wissen, dass er die Meinung vertritt, wonach unweigerlich etwa 40% der Trades danebengehen und es darauf ankommt, mit den übrigen 60% der Gewinnertrades diese Verluste mehr als zu kompensieren. Auf den ersten Blick scheint bei allen Kollegen Einigkeit darüber zu bestehen, dass die Trefferquote keine Rolle spielt. Bei genauerer Betrachtung ergeben sich einige Unterschiede und scheinbare Widersprüche, die erst bei einer noch präziseren Untersuchung wieder in einen Konsens münden.
Ich möchte mit diesem Artikel versuchen, ein paar Missverständnisse auszuräumen, einige Begriffe genauer zu definieren und meine Sicht auf diese Fragestellung beschreiben.
- Meinungsverschiedenheiten unter Profis?
Dass es überhaupt zu einer solchen Diskussion unter den Tradern kommt, könnte zunächst verwundern. Gehört diese Thematik denn nicht zum elementaren Wissen, das jeder professionelle Trader beherrschen muss? Doch; aber es gibt bekanntlich nicht den einen einzigen richtigen Weg zum Börsenerfolg, sondern es sind sehr viele verschiedene Strategien möglich und legitim. Idealerweise sollte diejenige Strategie verfolgt werden, die dem eigenen Charakter am besten entspricht. Dieses Thema hat insbesondere Van Tharp in seinen Büchern ausführlich diskutiert [Link "[1]" nicht mehr verfügbar][Link "." nicht mehr verfügbar]
Letztlich zählt nur der Erfolg einer Strategie, und nicht der Weg der dafür eingeschlagen wird. Ein Trader, der versucht eine besonders hohe Trefferquote zu erzielen kann ebenso erfolgreich sein wie ein Kollege, der sich nicht im Geringsten um die Statistik der Trefferquote kümmert. Der Unterschied liegt im Tradingstil. Jeder Trader hat einen weitgehend individuellen Stil. Wir bei GodmodeTrader.de sind durch unsere Leidenschaft fürs Trading zu dieser Tätigkeit gekommen, und nicht infolge einer einheitlichen Ausbildung, durch die uns der vermeintlich richtige Weg zum Börsenerfolg beigebracht wurde. Folglich gibt es manchmal etwas abweichende Ansichten zur Vorgehensweise beim Trading. Aber Sie werden sehen: Die Auffassungen sind viel weniger unterschiedlich als es zunächst erscheinen mag.
- Völlig unwichtig?
Ich stelle mich hier als das schwarze Schaf im Team dar und vertrete provokant im Gegensatz zum Konsens meiner Kollegen die These, dass die Trefferquote sehr wohl wichtig ist. Sie ist sogar von größter Wichtigkeit, wie sich sofort an zwei Extrembeispielen erkennen lässt: Ein mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestatteter Trader, dessen Trefferquote bei 100% liegt – bei dem also jeder Trade erfolgreich abgeschlossen wird- braucht sich um die restlichen Aspekte der Tradingstrategie keine Gedanken zu machen: Er wird auf jeden Fall erfolgreich sein. Sein hypothetisches Gegenstück, der notorische Pechvogel bei dem alle Trades danebengehen (Trefferquote 0%), kann das Moneymanagement und alle anderen Regeln des Tradings peinlichst genau beachten – er wird trotzdem auf jeden Fall verlieren. Somit kann die Aussage „die Trefferquote spielt keine Rolle“ so nicht richtig sein.
Natürlich wissen das meine Kollegen Gräfe, Strehk, und Berteit bestens. Sie meinen etwas anderes, wenn sie die Bedeutung der Trefferquote abstreiten. Ein paar Interpretationsversuche:
- Nicht beeinflussbar?
Unterschiedliche Ansichten zeichnen sich ab, wenn es darum geht, ob man die Trefferquote erhöhen kann. Einige Kollegen gehen davon aus, dass auf Dauer keine Trefferquote von mehr als 70% erzielt werden kann und dass auf lange Sicht immer mindestens 40 bis 45% Fehltrades toleriert werden müssen. Wenn man dieser Auffassung ist, dann spielt die Trefferquote insofern keine Rolle, als sie eine konstante Größe ist, die der Trader durch sein Handeln ohnehin nicht beeinflussen kann. In diesem Fall müssen andere Aspekte optimiert werden (clevere Gewinnmitnahmen, Einsatz von trailing stops,…) um einen langfristigen Börsenerfolg zu sichern. Wenn man diese Meinung vertritt, dann bleibt die Frage ungeklärt, woher diese „magische Zahl“ von 40-45% Verlusttrades herrührt. Ist das eine bislang unbeachtete Naturkonstante? Kann man diese Zahl zuverlässig und unabhängig vom Trader messen? Hat jeder Trader eine typische Trefferquote, die ihm genetisch mitgegeben ist? Selbstverständlich sind alle diese Fragen klar mit Nein zu beantworten. Wir kommen später darauf zurück.
- Ohne Aussagekraft?
Übereinstimmung herrscht hingegen bei der Feststellung, dass die Trefferquote alleine praktisch keinen Rückschluss darauf erlaubt, ob ein Trader erfolgreich ist oder nicht. Wem es gelingt, mit einem kleinen Anteil erfolgreicher Trades einen sehr großen Gewinn zu realisieren, der braucht sich über kleine Verluste bei den anderen Trades nicht zu sorgen, selbst wenn sie zahlreich sind. Insofern wird dieser Parameter tatsächlich überschätzt, denn die Trefferquote ist nicht der einzige Faktor, der über den Erfolg entscheidet. Die Trefferquote ist also sehr wohl wichtig – aber sie ist nur einer von mehreren entscheidenden Parametern.
- Reine Ansichtssache?
Diesen Punkt halte ich für den wichtigsten, denn mit ihm können praktisch alle scheinbaren Widersprüche aufgelöst werden. Die Sache ist meines Erachtens eindeutig: Sie können die Trefferquote weitgehend nach Belieben selbst festlegen. Der Haken daran ist, dass Sie dadurch nicht unbedingt erfolgreicher werden, denn es werden andere Faktoren dadurch entsprechend erniedrigt – insbesondere der durchschnittliche Gewinn pro Trade nimmt dramatisch ab. Dieser Trick mit der hohen Trefferquote wird übrigens gerne von manchen Zeitgenossen verwendet, die esoterische Ansätze fürs Trading vertreten und eine hohe Trefferquote als einen vermeintlichen Beweis für ihre übernatürlichen Kräfte aufführen. Auch das Finanzwesen bleibt von solchem Schabernack leider nicht verschont.
- Der berühmte Münzwurf
Wenn ein Trader nur 50% seiner Trades erfolgreich abschließt, neigen Anfänger dazu, diese Statistik zu belächeln. Intuitiv wird dann argumentiert, man könne genauso gut nach reinem Zufallsprinzip vorgehen und durch das Werfen einer Münze festlegen, ob man eine Long- oder eine Shortposition eröffnet. Diese Schlussfolgerung ist grundlegend falsch, denn sie lässt wesentliche Aspekte des Trades außer Acht und basiert auf einem unzulässigen Vergleich. Es wird nämlich nicht berücksichtigt, welche Ereignisse einen Trade als „Treffer“ bzw. „Verlust“ identifizieren. Diese können sehr unterschiedlich festgelegt sein. Denken Sie z.B. an eine Dartscheibe: Wenn ein Werfer in 50% der Fälle ins Schwarze trifft (dem sogenannten „bull’s eye“), dann werden Sie gegen diesen Spieler kaum eine Chance haben. Gegen jemanden, der gerade einmal in 50% der Fälle überhaupt die Dartscheibe trifft, sollte es hingegen einfach sein. Es geht darum, was man als Treffer bezeichnet. Das gilt auch beim Trading.
- Chance-Risiko-Verhältnis und Profitfaktor
Kommen wir nochmal auf den Punkt zurück, wonach man angeblich die Trefferquote selbst bestimmen kann. Wie soll das gehen? Der Vergleich mit der Dartscheibe liefert auch hierfür die Antwort. Je wahrscheinlicher ein Ereignis ist, umso häufiger wird es „getroffen“. Wer in 90% der Fälle die Dartscheibe trifft ist noch lange kein guter Spieler. Beim Trading übernimmt das Chance-Risiko-Verhältnis die Rolle der Dartscheibe. Für charttechnisch orientierte professionelle Trader ist ein hohes Chance-Risiko-Verhältnis (CRV) eine alltägliche und so selbstverständliche Grundanforderung für einen Trade, dass dessen Bedeutung kaum ins Bewusstsein rückt. Selbstverständlich wird die KO-Schwelle bzw. das Stoploss relativ nah an den aktuellen Kurs gesetzt, und selbstverständlich ist das Kursziel immer viel weiter vom aktuellen Kurs entfernt als das Stoploss. Die Position des Stoploss wird durch Trendlinien, Unterstützungen, Hochs und Tiefs festgelegt. Ebenso die Kursziele. Somit ergibt sich kaum eine Möglichkeit, das CRV zu ändern. Was aber, wenn jemand sich überhaupt nicht um Charttechnik und um elementare Tradingstrategien kümmert und z.B. das Stoploss viel zu tief oder gar nicht setzt? Dann erhöht sich die Chance eines Treffers, aber auch die Gefahr eines sehr großen Verlusts. Ob ein Trade ein Treffer war oder nicht, wird erst beim Verkauf der Position entschieden. Ein unverbesserlicher Optimist könnte z.B. einen starken Verlust bei einer Position tolerieren und „aussitzen“, in der Hoffnung, dass der Kurs irgendwann wieder steigt. Dies stellt zwar einen elementaren Anfängerfehler dar, aber von der Statistik her ist ein laufender Trade weder ein Treffer noch ein Verlust. Wer also nur dann eine Position verkauft, wenn sie im Plus liegt, wird zwar nur für kurze Zeit an der Börse tätig sein - Aber dessen Trefferquote wäre zumindest eine ganze Zeit lang makellos.
Der Profitfaktor ist das Produkt von Trefferquote und durchschnittlichem Gewinn, geteilt durch den durchschnittlichen Verlust [Link "[2]" nicht mehr verfügbar]. In einer kleinen Abwandlung davon kann man diesen Wert auch als das Produkt von Trefferquote und durchschnittlichem CRV definieren (unter der Annahme, dass keine Teilgewinne realisiert werden, keine Stops nachgezogen werden und keine frühzeitigen Gewinnmitnahmen erfolgen). Damit werden zwei wesentliche Größen miteinander verknüpft, die insgesamt tatsächlich eine Aussagekraft haben. Ist der Profitfaktor grösser als eins, dann ist die Strategie oder das System profitabel – sofern man von Transaktionsgebühren absieht.
- Trefferquote also doch ohne Bedeutung?
In mathematischer Hinsicht spielt die Trefferquote alleine also tatsächlich keine Rolle, wenn es darum geht, den Erfolg eines Tradingansatzes zu messen. Allerdings ist generell eine hohe Trefferquote doch vorteilhaft. Die Gründe liegen in der menschlichen Natur: Es ist einfach zermürbend, etliche Fehltrades hinnehmen zu müssen und geduldig darauf warten zu müssen, bis endlich der eine Trade getroffen wird, der enorme Gewinne liefert und sämtliche Verluste ausgleicht. Zweifel, Sorgen und Ängste können den Trader nach einer Serie von Verlusttrades zu einer drastischen und nicht unbedingt sinnvollen Änderung der Strategie bewegen. Außerdem bedarf es enorm starker Nerven, eine Position weiterlaufen zu lassen, die z.B. schon bei 1000% im Plus liegt. Das ist auch ein Problem beim sogenannten „Backtesting“ von Handelsstrategien am Computer, bei dem diese psychologischen Aspekte ausgeblendet werden. Die Realität des Trading ist anders als die von Maschinen. Unser Tradingpsychologe Norman Welz kann Ihnen dazu einiges berichten.
- Zusammenfassung
Erst in Verbindung mit dem durchschnittlichen Chance-Risiko-Verhältnis erhält die Trefferquote eines Traders eine wesentliche Bedeutung. Der Erfolg einer Tradingstrategie kann mit einer modifizierten Form des Profitfaktors gemessen werden, bei dem das mittlere Chance-Risiko-Verhältnis mit der Trefferquote multipliziert wird. Hier teile ich voll und ganz die Ansicht von Herrn Strehk, der dies auf ähnliche Weise in seinem Artikel neulich beschrieben hat.
Lassen Sie sich also nicht von hohen Trefferquoten beeindrucken, und lassen Sie sich umgekehrt nicht von niedrigen Trefferquoten abschrecken. Die Charttechnik hilft dabei, eine hohe Trefferquote bei hohem CRV anzustreben. Die Kombination macht’s!
Ich wünsche Ihnen viel Spaß und viel Erfolg beim Traden!
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Riccardo Hertel
Charttechnischer Analyst bei GodmodeTrader.de
Literatur:
[Link "[1]" nicht mehr verfügbar] Van K. Tharp, Trade Your Way to Financial Freedom, McGraw-Hill Professional; 2nd ed. (2006)
[Link "[2]" nicht mehr verfügbar] B. Jünemann und H. Imbacher, Money Management - die Formel für Ihren Börsenerfolg: Chancen nutzen - Risiken minimieren, FinanzBuch Verlag; Erste Aufl. (2007)
Hallo!
Ich würde sagen im Kern ist alles richtig was sie schreiben. Wobei es etwas abgehoben geschrieben scheint und sicher nicht bei allen Leuten sofort der Groschen fallen wird.
Auf den Punkt gebracht: Das Problem der Trefferquote liegt in ihrer Definition und Verwendung. Da ein Tick Gewinn als Treffer ausreicht, egal wie die Kurse vorher liefen, wird die TQ durch die verwendeten Exittaktiken völlig manipulierbar. Dadurch fehlt ihr auch die Aussagekraft bei der Bewertung der Qualität des reinen Einstieg-Setups. Genau hierfür wird sie aber von den meisten Tradern verwendet.
Schöne Grüße