Kommentar
07:47 Uhr, 03.09.2015

Trading vs. Investment: die Rolle der Analysten

Anleger haben es momentan wirklich nicht leicht. Gerade eben erst mussten sie einen Crash durchstehen. Als der Crash schon wieder fast vorbei bei war schrien Analysten: „Verkaufen!“ Jetzt, nur wenige Tage später, da sich die Kurse wieder etwas stabilisieren, schreien alle: „Kaufen!“ Was gilt denn nun?

Wenn es an der Börse Eines nicht gibt, dann ist es eine einzige Wahrheit. Besonders deutlich zeigt sich das, wenn die Märkte einen relativ schnellen Trendwechsel vollziehen. Diejenigen, die am Morgen noch Bullen waren, sind am Nachmittag vielleicht schon Bär und am nächsten Tag wieder Bulle. Das hat auch durchaus seine Berechtigung. Unter Anlegern führt so etwas jedoch zu großer Missstimmung.

Als Anleger wünscht man sich, dass Analysten einem klar sagen, wohin der Markt geht. Dreht dann der Markt, dann wollen viele nichts von einer anderen Einschätzung wissen – aus welchen Gründen auch immer. Resultat ist immer das gleiche. Es kommt ein Sturm der Entrüstung. Analysten wird Inkonsistenz vorgeworfen, wobei das noch einer der netteren Vorwürfe ist.

Wenn die Volatilität hoch ist und die Depots fast stündlich kleiner werden, dann ist Frust und die Suche nach Schuldigen verständlich. Dem Anleger selbst hilft das jedoch wenig, denn anstatt zu agieren wird Dampf abgelassen und das Depot schrumpft weiter. Immerhin hilft es emotional, einen Schuldigen zu finden und den kann man an der Börse immer finden. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt findet man Analysten, Investmentgurus und Star-Investoren, die komplett gegensätzlicher Meinung sind. Einen Schuldigen findet man also immer, wenn man nur will.

Der Fingerzeig ändert nichts an der Depotperformance, wenigstens aber muss man nicht selbst die Verantwortung übernehmen, wenn etwas schief geht. Letztlich kann das jeder halten wie er will, doch die Frage, was man als Anleger eigentlich will, bleibt oft unbeantwortet. Dabei ist genau diese Frage (Was will ich eigentlich?) absolut essentiell und muss beantwortet werden.

Jeder will natürlich möglichst schnell eine möglichst hohe Rendite erzielen. Der Weg dorthin ist nicht einfach. Grundsätzlich stehen Anlegern jedoch zwei Möglichkeiten zur Verfügung. Entweder wird investiert oder es wird getradet. Das sind schon einmal grundverschiedene Ansätze. Wer investiert, muss Sitzfleisch mitbringen. Dabei geht es nicht um Wochen oder Monate, sondern Jahre. Will man investieren, dann bringt es wenig seine Entscheidungen aufgrund von Meinungen von Tradern zu treffen. Ein Trader hat einen Zeithorizont von wenigen Minuten bis maximal wenige Wochen. Das ist etwas ganz anderes als Unternehmen zu suchen, denen man in den kommenden Jahren viel zutraut.

Wer investiert, dann aber in Panik gerät, weil ein Trader auf einmal bärisch wird und sein Investment verkauft, hat etwas grundlegend falsch verstanden. Der Trader ist vielleicht einen Tag später schon wieder bullisch. Der Anleger ist genervt, weil die Aktien gerade verkauft wurden und es jetzt plötzlich wieder heißt, der Markt solle steigen. Aktien werden zurückgekauft, oft zu höheren Preisen und schon beginnt der Markt wieder zu fallen. Die Angespanntheit steigt.

Man kann sich selbst einen großen Gefallen tun, wenn man sich die Frage beantwortet, was man überhaupt will: will man investieren oder traden? Wer investieren will, der kann den Analysen von Tradern folgen, sollte aber auf deren Basis keine Entscheidungen treffen. Das gleiche gilt für Trader. Der Wert einer Analyse eines langfristig orientierten Investors ist für die Handlungsentscheidung eines Traders null. Es mag zwar interessant sein zu wissen, welche makroökonomischen Probleme in Europa vorherrschen, doch für einen Trade, der ein paar Stunden dauert, ist die Relevanz einfach nicht gegeben.

Weiß man als Anleger, was man will, dann ist das schon einmal die halbe Miete. Es ist damit aber noch lange nicht getan. Für Investitionen sind langfristige Trends ausschlaggebend. Diese haben für gewöhnlich weder heute noch morgen eine direkte Auswirkung auf die Börse. China ist zwar heute maßlos überschuldet, doch das heißt nicht, dass die Schuldenkrise gleich um die Ecke steht und man Hals über Kopf alle Aktien auf den Markt werfen sollte. Vielmehr sollte Anleger so etwas davor bewahren z.B. chinesische Bankaktien zu kaufen. Wer bereits solche besitzt, muss auch nicht gleich verkaufen, sondern kann Gewinne laufen lassen. Man sollte sich jedoch bewusst sein, dass jedes Investment auch einmal ein Ablaufdatum hat.

Ein Trader interessiert die Perspektive von chinesischen Bankaktien auf Sicht von Jahren wenig. Es kann gut sein, dass ein Investor zu einer ganz anderen Überzeugung gelangt als ein Trader. Ersterer kommt zu dem Schluss, dass nun ein guter Verkaufszeitpunkt ist. Letzterer sieht charttechnisch die Chance auf einen Aufwärtsimpuls auf Sicht von Tagen und kauft.
Die Sache kann noch deutlich komplizierter werden. Der gleiche Investor, der Bankaktien verkauft und nun viel Cash hat, investiert in ein kleines Unternehmen, welches auf den ersten Blick wie eine Bank aussieht. Was gilt nun? Einerseits wird der Sektor verkauft, andererseits wird ein spezifisches Unternehmen der Branche wieder ins Depot geholt? Das wirkt inkonsistent, ist es aber nicht.

Es kann sein, dass ein ganzer Sektor interessante Investitionsmöglichkeiten bietet. Es kann aber auch sein, dass ein Sektor, der eigentlich auf dem absteigenden Ast ist, für Einzelunternehmen hervorragende Perspektiven bietet. So kann die Bankbranche zwar unter steigenden Kreditausfällen leiden, doch das mag für ein junges Unternehmen, welches ein komplett neues Bankkonzept im Internet betreibt, vollkommen unbedeutend sein.

Als Anleger kommt man nicht umhin, sich zu entscheiden, was man will. Hat man das getan, dann muss man immer noch differenzieren und in der Lage sein, sich sein eigenes Bild zu machen.
Was denke ich persönlich nun über den US Markt? Meiner ganz persönlichen Meinung nach ist der Markt überbewertet. Das ist eine fundamentale Einschätzung, die nichts damit zu tun hat, wo der Markt morgen oder in einem Monat steht. Während der Gesamtmarkt überbewertet ist gibt es natürlich trotzdem Kaufkandidaten. Einzelunternehmen können vollkommen anders eingeschätzt werden als der Markt.

Der Crash letzter Woche ändert an der Langfristeinschätzung nichts. Für mich ist der Gesamtmarkt (gemessen am S&P 500) erst bei ca. 1.700 Punkten wieder ein Kauf. Für Einzelwerte gilt das nicht. Meine Meinung zum Gesamtmarkt hat nichts mit Einzelunternehmen zu tun.

Für Trader war der Crash vermutlich eine Goldgrube. Auch als Investor hätte man einzelne Schnäppchen machen können, wenn man den ganzen Tag vor dem Bildschirm saß. Wie dem auch sei, als Investor hat man Zeit. Der nächste Crash kommt bestimmt, immerhin ist der Markt noch immer überbewertet. Ob die Korrektur deswegen gleich morgen weitergeht, weiß keiner. Der Markt ist kurz- bis mittelfristig irrational. Nur weil der Markt heute überbewertet ist, muss er nicht gleich morgen fallen. Das kann auch noch viele Monate oder gar einige Jahre dauern. Langfristig kehrt der Markt jedoch zu seinem fairen Wert zurück. Genau darauf zählen Investoren und lassen sich von dem kurzfristigen, irrationalen Bewegungen nicht aus der Ruhe bringen.

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3 Kommentare

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    Mmmmh, wer sagt denn, dass der Crash denn schon vorbei ist?

    08:10 Uhr, 03.09. 2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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