Kommentar
09:12 Uhr, 03.03.2016

Systemrisiko BREXIT - Bricht die EU auseinander?

Der Internationale Währungsfonds bezeichnete den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union auf dem G20 Gipfel als mögliches Schockereignis für die Welt, als Systemrisiko. Der Schock dürfte jedoch für Großbritannien selbst größer werden als für den Rest der Welt.

Großbritannien reagierte auf die Äußerungen des IWF zunächst etwas brüskiert. Man empfand es wohl als Einmischung in „innere Angelegenheiten.“ In der vorläufigen Abschlusserklärung des G20 Gipfels stand diese Feststellung dann schwarz auf weiß geschrieben. Auch der britische Finanzminister stimmte dem Statement zu. Vielleicht bewirkt es ja etwas, wenn sich die Weltgemeinschaft so um die Briten sorgt. Der Wahlkampf für den Verbleib in der EU wird schwer genug.

Ob Statements wie jene vom G20 Gipfel der Regierung helfen, bleibt abzuwarten. Meist werden Äußerungen von außen mit Hinweisen auf das richtige Vorgehen sehr verhalten entgegengenommen. Oftmals führt es auch zu einer Trotzreaktion. Wie trotzig Großbritannien sein wird, ist noch vollkommen unklar. Eines aber ist sicher: Stimmen die Briten gegen den Verbleib in den EU, dann wird es hässlich.

Von den Briten inspiriert dürfte Schottland die Abspaltung von England wieder vorantreiben. Es würde auch den Katalanen und Basken wieder Rückenwind geben. Auch im Norden, Süden und Osten der EU gibt es viele Länder, die mit der EU Politik nicht einverstanden sind. Auch sie könnten an einen Austritt denken.

Der Brexit hat das Potenzialm die EU zu sprengen. Die Schuldenkrise nach der Finanzkrise wird uns dann wie ein gemütlicher Spaziergang vorkommen. Die Staaten der EU sind so eng miteinander verflochten, dass eine Auflösung der Gemeinschaft chaotisch vonstattengehen dürfte.

Großbritannien hat für sich schon immer eine Sonderstellung beansprucht. Nach den Verhandlungen mit Premier Cameron ist die Stellung Großbritanniens nun noch etwas sonderbarer geworden. Cameron wollte für sein Land Sonderregeln heraushandeln. Das ist bis zu einem gewissen Grad gelungen. Das Ergebnis ist jedoch nicht so sehr eine Besserstellung, sondern vielmehr eine Sackgasse, in die sich Großbritannien manövriert hat.

Die Position ist nun tatsächlich etwas sonderbar, denn vollmundig kündigte Cameron Verbesserungen an. Mit dem Referendum über den EU-Austritt wollte er seine Verhandlungsposition stärken und die letzten Wahlen gewinnen. Letzteres ist ihm gelungen, ersteres weniger. Zudem findet das Referendum nach wie vor statt, ohne dass Cameron wirklich viel vorzuweisen hat. Da die Regierung aber immerhin etwas bewegen konnte, wenn auch nicht viel, muss sie sich nun gegen den Brexit aussprechen.

Mit diesem waghalsigen Manöver hat Cameron nun das schlechteste aus zwei Welten zusammengebracht. Er hat sich und sein Land in der EU weiter isoliert und in Großbritannien nun wohl seine Glaubwürdigkeit verloren. Das zeigt schon die Tatsache, dass selbst Politiker der eigenen Partei gegen die Linie Camerons sind.

Das politische Manöver, welches man schon jetzt als Desaster bezeichnen kann, hat das Potenzial, die ganze EU und auch die Welt in Schieflage zu bringen. Je näher die Abstimmung im Sommer rückt, desto nervöser dürften die Märkte werden. Aktuell halten sich die Befürworter und Gegner des Brexit die Waage.

Das Referendum kommt zu einem Zeitpunkt, da sich die britische Wirtschaft abzuschwächen droht. Das spiegelt sich nicht nur in den Aktienkursen, sondern auch in der Währung wider. Grafik 1 zeigt das Wechselkursverhältnis vom US-Dollar zum Pfund, sowie den Verlauf des Aktienmarktes. Seit den frühen 90er Jahren ist eine hohe Korrelation zwischen Aktien und Währung festzustellen. Durch die Unsicherheit – erst durch Schottlands Referendum vor anderthalb Jahren und nun das Referendum Großbritanniens – ist das Pfund stark unter Druck geraten. Für den Markt und die Wirtschaft bedeutet das nichts Gutes.

Großbritannien hat viele wirtschaftliche Herausforderungen zu meistern. Dem Land geht es im Vergleich zu vielen anderen EU Ländern gut. Die Lage trübt sich jedoch ein. Die Arbeitslosigkeit sinkt nicht mehr, die Produktivität steigt so langsam wie in kaum einem anderen Land, der Immobilienmarkt ist überhitzt und es boomt vor allem die Teilzeitarbeit.

Obwohl die Währung abwertet, hat Großbritannien ein rekordhohes Handels- und Leistungsbilanzdefizit. Die Verschuldung des Staates dürfte in diesem Jahr über die Marke von 90 % der Wirtschaftsleistung steigen. Steuereinnahmen können das nicht auffangen, zumal das Vertrauen von Unternehmen und Verbrauchern gerade deutlich sinkt.

Die trübe Lage spiegelt sich sehr gut auf dem Aktienmarkt wider. Der Leitindex FTSE 100 ist vor allem von Finanzdienstleistungs- und Rohstoffunternehmen getrieben. Sie machen ungefähr die Hälfte des Index aus. London könnte als Finanzzentrum in Gefahr sein, sollte Großbritannien aus der EU austreten. Die Deutsche Börse und die London Stock Exchange kündigten in ihren Fusionsgesprächen an, dass die den Hauptsitz der Gesellschaft nach Frankfurt verlegen wollen, sollte es zum Brexit kommen.

Unternehmen ringen derzeit mit allen Mitteln um die Gunst der Anleger. Sie schütten Rekordsummen an Aktionäre aus. Grafik 2 zeigt die Auszahlungsquote britischer Unternehmen im internationalen Vergleich. Aktuell werden 70 % aller Gewinn in Form von Dividenden an Aktionäre weitergegeben.

In anderen Ländern, wie etwa den USA, schütten Unternehmen mehr Geld in Form von Aktienrückkäufen aus. Dennoch zählt Großbritannien zu den Ländern mit den höchsten Auszahlungsquoten weltweit. Das liegt nicht so sehr daran, dass die Dividenden so stark erhöht wurden, sondern vielmehr an den wegbrechenden Gewinnen.

Rohstoffunternehmen wie BHP Billiton kürzten bereits ihre Dividenden, doch da sie noch immer Geld ausschütten, obwohl Verluste geschrieben werden, steigt die Auszahlungsquote des Marktes rasch an. Der Öl- und Gassektor, unter anderem durch Shell und BG (wird von Shell übernommen) repräsentiert, schüttet mehr als 100 % seiner Gewinne aus, wie das Wall Street Journal am Wochenende berichtete.

Der Dividendenexzess ist kein gutes Zeichen. Unternehmen tendieren dazu Anleger zu beruhigen und bei Laune zu halten, indem sie Geldgeschenke machen. Das ist nicht anders als bei Politikern vor der Wahl. Eine Zeit lang können diese Geschenke die Anleger blenden. Auf Dauer wird jedoch klar, dass Dividenden die Probleme nicht überdecken können.

Die letzte Grafik zeigt die Entwicklung der Auszahlungsquote sowie von Aktien seit 1965. Sehr hohe Auszahlungsquoten wie Ende der 60er Jahre sowie Mitte der 90er Jahre deuten langfristige Probleme an. Unternehmen versuchen nicht nur die schwindende Ertragskraft zu überdecken, sondern schwächen auch ihre eigenen Bilanzen. Es wird weniger investiert, dafür werden mehr Schulden aufgenommen. Langfristig führt dies zu sinkender Wettbewerbsfähigkeit.

Großbritannien ist ein Risiko für den Weltmarkt, vor allem aber für sich selbst. Reformen wurden nicht angepackt und die abwertende Währung hilft kaum. Dazu hat Großbritannien zu wenig Industrie. Ein Brexit würden die Finanzindustrie zur Abwanderung motivieren. Das wiederum führt zu einer Abwanderung von hochbezahlten Bankern, die den Immobilienmarkt boomen lassen.

Wie man es dreht und wendet, die Perspektiven für Großbritanniens Wirtschaft und für den Aktienmarkt sind aktuell schlecht. Der Markt dürfte im Vorfeld des Referendums überproportional verlieren, wenn die Brexit-Befürworter in der Überzahl sind. Für Anleger entsteht dann möglicherweise eine Chance.

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16 Kommentare

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  • PThompson
    PThompson

    Ohne UK und die Niederlande ist die EU mittlerweile doch nur noch ein linker Sozialistenverein - mittlerweile zählt sogar die Deutsche Regierung mit Ihrer Hippypolitik dazu und wird vom Rest der Welt nicht mehr ernst genommen- vom alkoholiker Junker ganz zu schweigen ! gemeinsamer Markt ja- politische Bevormundung aus Brüssel und Chaospolitik aus Berlin nein... Jedem Bürger der EU mit einem Funken Patriotismus sollte sich gegen die EU mitsamt Abschaffung der Nationalstaaten stellen...Nichtgewählte Eliten die gegen die Bürger und Staaten regieren- LMA

    19:30 Uhr, 03.03.2016
  • Kasnapoff
    Kasnapoff

    Ifo-Chef Sinn wirft Kanzlerin Merkel heute in der Welt absolutes Versagen vor. Sowohl in der Euro als auch in der Flüchtlingskrise. Na, der alte Sinn geht ja in Rente und hat bestimmt keine Ahnung, wahrscheinlich treibt er sich öfters auf Schrottseiten herum.

    Angie wird es doch bestimmt wieder richten, oder hat da irgendjemand irgendwelche Zweifel?

    Ein russisches Sprichwort zum Abschluss:



    „Wo Teufel nicht selbst hin gehen will, schickt er
    ein altes Weib oder einen Pfaffen.“





    Hier ist er auf Nummer sicher gegangen und hat gleich beides geschickt. :-))

    19:00 Uhr, 03.03.2016
    3 Antworten anzeigen
  • Peter Zumdeick
    Peter Zumdeick

    Ich sehe das anders:

    Die EU hat sich bei den Verhandlungen wieder einmal von den Briten über den Tisch ziehen lassen. Cameron hat ein für Großbritannien exzellentes Ergebnis erreicht. Und der Rest der EU hat sich wieder zum Deppen gemacht.

    Meine Meinung: Reisende soll man nicht aufhalten ... - wenn sie raus wollen, lasst sie doch ...

    17:33 Uhr, 03.03.2016
  • Einspruch35
    Einspruch35

    Eine EU als reine Egoismusveranstaltung von mindestens 10 der 28 Teilnehmer ist moralisch schon lange am Ende. Und die Bürokraten, die von dem ganzen Verein bombastisch leben, lassen sich auch noch jede Unverschämtheit aus Athen, Budapest, Warschau, London, Bratislava gefallen und beten ihr Mantra davon, daß dieser kaputte Laden um jeden Preis zusammengehalten werden muss. Cameron prahlt damit, dass man nie dem Euro beitreten werde und trotzdem im Fahrersitz sei, wenn es um Entscheidungen geht, die den Euro betreffen. Ja, geht es eigentlich noch?

    Und die ganze Selbstverachtung der dummen, nettozahlenden Beschwichtiger, die wird dann garantieren, daß es keine Kriege mehr gibt in Europa? Das ganz große Projekt? Ach, wenn es doch so wäre! Und wenn sie dieses degenerierte Gebilde von Brüssel aus versuchen, mit noch so vielen Stahlklammern zusammenzuhalten. Die marginalisierten, von der Bürokratie malträtierten Bürger in den Nationalstaaten werden es von dort aus irgend wann zur Implosion bringen, wenn ihnen endlich der Kragen platzt.

    15:42 Uhr, 03.03.2016
  • Viktor Koß
    Viktor Koß

    Wie groß sind eigentlich die Schulden, des Staates und der Banken? Das weiß keiner ganz genau. Die Verschuldung Großbritanien gemäß Maastrichtdefinition liegt bei 90%. Ja, aber bei dieser Rechnung sind nicht die Effekten der finanziellen Unterstützung des Bankensektors einkalkuliert. Mit diesen Unterstützungseffekten lag die Verschuldung GB schon im Februar 2012 bei 137,9% des nominalen BIPs. Das ist auch nicht so ganz schlimm bis man die Bilanzsummen der Banken nicht berücksichtigt und die liegen über 7-fachen BIP. Zwar haben die anderen Länder ein ähnliches Problem, aber die Zahlenverhältnisse weisen auf einen wesentlichen Unterschied zu GB.

    12:33 Uhr, 03.03.2016
  • 1 Antwort anzeigen
  • moneymaker22
    moneymaker22

    da sieht man mal wieder wie unfähig unsere Politiker sind, wenn die nur ein wenig mehr Rückrad gegen GB hätten wäre ein Austritt aus der EU für die Briten der klassische Schuss ins eigene Knie, weil Europa könnte sehr gut auch ohne die Briten, aber diese nicht ohne EU !!!

    09:36 Uhr, 03.03.2016
  • Andreas Hoose
    Andreas Hoose

    Eines der größten Risiken für Großbritannien ist die überproportionale Gewichtung des Finanzsektors. Dieser wurde in den vergangenen Jahrzehnten zu Lasten der produzierenden Sektoren immer weiter ausgebaut. Die Quittung hierfür wird schmerzhaft und sie wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.

    09:27 Uhr, 03.03.2016
    2 Antworten anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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