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16:30 Uhr, 12.06.2019

Südostasien profitiert vom Handelskonflikt

Bei ausländischen Anlegern und Unternehmen wird Alistair Way, Leiter im Bereich Schwellenmarktaktien bei Aviva Investors, zufolge Vietnam zunehmend beliebter.

London (GodmodeTrader.de) - Die Handelskriege haben die Lieferketten gestört und die Wertentwicklung der Aktien in den Schwellenmärkten belastet. Da Unternehmen ihre Produktion von China weg verlagern, um Zölle zu umgehen, erkennen einige Nachbarländer darin eine Chance, wie Alistair Way, Leiter im Bereich Schwellenmarktaktien bei Aviva Investors, in einem Marktkommentar schreibt.

Handelsspannungen zwischen den USA und China mögen für die Volkswirtschaften in Südostasien, die in den letzten Jahrzehnten von verbesserten globalen Handelsströmen profitiert hätten, eine schlechte Nachricht sein. Höhere Zölle hätten die Lieferketten beeinträchtigt und die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit Chinas, des wichtigsten Handelspartners vieler Länder der Region, gefährdet, heißt es weiter.

„Aber der Handelskonflikt hat auch einige Vorteile mit sich gebracht. Als die Zölle von Trump die chinesischen Exporte in die USA trafen, haben Unternehmen der Maschinenbau-, Textil- und Technologiebranche damit begonnen, Pläne zur Verlagerung der Produktion aus China in die Nachbarländer umzusetzen, um nicht ins Kreuzfeuer zu geraten. Der vietnamesische Premierminister Nguyen Xuan Phuc schloss sich der indonesischen Regierung an und forderte seine Nation auf, die Gelegenheit zu ergreifen, mehr auf ausländische Investitionen zu setzen“, so Way.

Die Volkswirtschaften Südostasiens hätten im vergangenen Jahr eine durchwachsene Wirtschaftsentwicklung verzeichnet, die von den Handelsstreitigkeiten und dem Zinsanhebungszyklus der US-Notenbank geprägt gewesen sei. Laut Daten der Asiatischen Entwicklungsbank habe das gewichtete durchschnittliche BIP-Wachstum in den fünf großen Volkswirtschaften der Region – Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Singapur und Thailand – 2018 4,8 Prozent betragen und damit unter dem Wert von 5,1 Prozent im Jahr 2017 gelegen, heißt es weiter.

„Höhere US-Zinsen und ein steigender US-Dollar führen tendenziell zu Investitionsabflüssen aus den Schwellenmärkten. Diese Entwicklung könnte die von ausländischen Kapitalflüssen abhängigen Volkswirtschaften in Bedrängnis bringe. Die Auswirkungen dieser Faktoren waren 2018 jedoch weniger stark ausgeprägt als während des sogenannten Taper Tantrum im Jahr 2013, da die Volkswirtschaften der Region heute insgesamt widerstandsfähiger sind als vor sechs Jahren“, so Way.

In jüngster Zeit habe die US-Notenbank jedoch einen Wechsel zu einer gemäßigteren Geldpolitik vollzogen und China habe beschlossen, seine Wirtschaft entschlossener anzukurbeln, was beides eine erhebliche Entlastung für Asien und die breiteren Schwellenmärkte darstelle, heißt es weiter.

„Handelskriege bleiben zwar nach wie vor eine Bedrohung, doch die südostasiatischen Volkswirtschaften könnten dennoch davon profitieren, wenn es ihnen gelingt, den kurzfristigen Schaden überstehen. Große ausländische Elektronikunternehmen gehören zu den Unternehmen, die ihre Pläne zur Verlagerung ihrer Produktionsstätten aus China beschleunigen, um Zölle zu vermeiden. Thailand, Indonesien, Malaysia und Vietnam sind hierbei die Favoriten. Obwohl viele dieser Länder Waren nach China exportieren, haben sie noch viel Spielraum, um ihre Exporte in die USA zu erhöhen“, so Way.

Nach Angaben der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) sei Südostasien im letzten Jahr weltweit der größte Wachstumsmotor in Bezug auf ausländische Direktinvestitionen gewesen. Die Zuflüsse seien um elf Prozent auf ein Rekordniveau von 145 Milliarden US-Dollar gestiegen und hätten damit höher gelegen als in Europa und China. Laut einer kürzlich durchgeführten Umfrage hätten mehr als 70 Prozent der in Südchina tätigen US-Unternehmen angegeben, dass sie erwägen würden, Investitionen zu verschieben oder ihre Produktion in andere Länder zu verlagern, wobei Südostasien das wahrscheinlichste Ziel sei, heißt es weiter.

„Japanische Unternehmen, die in China Produktionsstätten aufgebaut hatten, um indirekt in den Westen zu exportieren, sind bereits auf dem Sprung. Bei der Bekanntgabe seiner Entscheidung, die Produktion seiner Autoradios im Oktober 2018 von China nach Thailand und Malaysia sowie nach Mexiko zu verlagern, begründete Panasonic diese damit, dass Trumps Drohung mit zusätzlichen Zöllen auf chinesische Importe seine jährlichen Gewinne um 10 Milliarden Yen (89 Millionen US-Dollar) verringern könnte. Andere Unternehmen wie Yokowo, Sumitomo und Daikin Industries haben ebenfalls damit begonnen, einige Produktionsstätten nach Südostasien zu verlagern“, so Way.

Bei ausländischen Anlegern und Unternehmen werde etwa Vietnam zunehmend beliebter. Im Jahr 2018 seien ausländische Direktinvestitionen in Höhe von 19 Milliarden US-Dollar in das Land geflossen, was einen Rekord darstelle. Vietnam habe viele Qualitäten, die von produzierenden Unternehmen geschätzt würden: politische Stabilität, Nähe zu den wichtigsten Lieferketten, stabile Infrastruktur und Arbeitskräfte, die dank der gezielten Investitionen der Regierung in Bildung und Ausbildung für die Hightech-Produktion adäquat geschult seien, heißt es weiter.

„Bereits lange vor den Handelsspannungen zwischen den USA und China hatten Unternehmen wie Foxconn, Intel und Samsung damit begonnen, ihre Produktionsbasis von China nach Vietnam zu verlagern. Die Furcht vor einem eskalierenden Handelskrieg hat den Prozess weiter beschleunigt, wobei die Zuflüsse im Bereich der Produktion in den ersten neun Monaten des Jahres 2018 um 18 Prozent gestiegen sind. Die Begeisterung von Samsung für den vietnamesischen Markt führte dazu, dass das Unternehmen heute der größte ausländische Arbeitgeber des Landes ist“, so Way.

Vietnams erfolgreiche Strategie, zunehmend Produktionsbetriebe anzulocken, könnte jedoch Probleme mit sich bringen. Wenn immer mehr Unternehmen nach Vietnam abwanderten und von dort aus in die USA exportierten, könnte sich Trumps protektionistischer Zorn auf Hanoi richten. Vietnam habe einen Handelsüberschuss von 40 Milliarden Dollar gegenüber den USA und sei 2016 von Zöllen belastet worden, als chinesische Unternehmen Stahlexporte durch das Land umgeleitet hätten, um Abgaben für chinesische Unternehmen zu entgehen. Vietnams Premierminister Nguyen Xuan Phuc sei sich dieser Gefahr bewusst und habe betont, dass seine Regierung im Handelsstreit keine Partei ergreifen werde, heißt es weiter.

„Diejenigen, die auf den Anstieg der ausländischen Direktinvestitionen in Südostasien setzen, sollten sich darüber im Klaren sein, dass nicht alle Unternehmen in der Lage sein werden, ihre Produktion ohne erhebliche Kosten zu verlagern. Dies gilt insbesondere für Unternehmen, die in komplexe regionale Lieferketten eingebunden sind: The Economist schätzt die Gesamtkosten für die Lieferanten von Apple bei der Verlagerung der iPhone-Produktion aus China auf 25 bis 90 Milliarden US-Dollar“, so Way.

Hingegen hätten Unternehmen, die ihre Produktion flexibel verlagern könnten, einen Vorteil – sie vermieden nicht nur hohe Zölle auf Exporte, sondern profitierten auch von niedrigeren Arbeitskosten. Größere Unternehmen, die flexibel genug seien, um schnell Produktionsstätten über Grenzen hinweg zu verlagern, sollten ebenso gut positioniert sein wie Unternehmen für Fertigungslösungen: das taiwanesische Unternehmen New Kinpo etwa mit Produktionsnetzwerken in ganz Südostasien, heißt es weiter.

„Inländische Produktionsunternehmen in Vietnam, Malaysia und Thailand dürften neue Aufträge gewinnen. Es könnte ein größeres Gefälle bei der Performance zwischen den Unternehmen entstehen, je nachdem wie flexibel sie die neue Lage auf dem Welthandel für sich nutzen können.

Es kann zwar noch einige Zeit dauern, bis Unternehmen ihre Aktivitäten nach Südostasien verlagern, und bis die Gastländer die wirtschaftlichen Vorteile höherer Investitionen spüren werden: Aber diese Entwicklung wird mittelfristig eintreten“, so Way.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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