Kommentar
18:30 Uhr, 07.12.2016

Steuersenkungen führen zu mehr Wachstum? Unsinn!

Es gilt als Tatsache: Wer die Steuern senkt, schiebt das Wirtschaftswachstum an. Das ist Unsinn wie jahrzehntelange Erfahrung zeigt.

Eine Volkswirtschaft ist ein komplexes Geflecht. Es ist so komplex, dass auch Jahrhunderte an Forschung noch nicht dazu geführt haben, dass man Ursache und Wirkung gut versteht. Die Dinge ändern sich auch. Lange Zeit galt es quasi als Gesetz, dass niedrige Arbeitslosigkeit zu hoher Inflation führt. In den letzten Jahren ließ sich das in keiner entwickelten Volkswirtschaft beobachten.

Gewiss, es kamen viele Sonderfaktoren zum Tragen (etwa niedrige Ölpreise), doch bestimmte Zusammenhänge scheinen nicht mehr so zu gelten, wie sie zwischen 1950 und 2008 zu gelten schienen. Was Wissenschaftlern übrig bleibt, ist erstaunt zuzuschauen und ihre Modelle zu kalibrieren.

Generell kann man sagen, dass die meisten Modelle, die Wirtschaftswachstum oder Inflation vorhersagen sollen, auf Basis der Erfahrung entstanden sind. Vereinfacht ausgedrückt wird ein Modell gebaut und so lange verfeinert bis es die Resultate der Vergangenheit möglichst gut repliziert. Eine bessere Methode hat man einfach nicht.

Aus diesem Grund tut man sich auch sehr schwer neue Maßnahmen im Vorhinein zu beurteilen. Die experimentelle Geldpolitik der letzten Jahre ist ein gutes Beispiel. Dem Hausverstand nach war klar: niedrige Zinsen führen zu mehr Wachstum und Inflation. Man kann nun nicht sagen, dass der Hausverstand versagt hat, aber der ganze große Erfolg lässt noch auf sich warten. Die Geldpolitik hat nicht so gewirkt wie erwartet. Zwischen Konzept und Realität klafft eine große Lücke.

So ist es auch mit den Steuern. Der Hausverstand sagt: werden die Steuern gesenkt, dann wächst die Wirtschaft schneller. Das ist eigentlich ganz logisch. Sinken die Steuern, haben Menschen mehr Geld zur Verfügung, welches sie ausgeben. Sinken die Unternehmenssteuern, siedeln sich mehr Unternehmen an und investieren.

Die Logik des Hausverstandes ist bestechend. Die Praxis zeigt jedoch, dass einen die Logik aufs Glatteis führt. Grafik 1 zeigt die Entwicklung der Einkommenssteuersätze in den USA, vom niedrigsten bis zum höchsten. Parallel dazu ist das Wirtschaftswachstum abgebildet.

Die Steuern sind in den USA heute nicht wirklich übermäßig hoch. Da gab es ganz andere Zeiten, von den späten 1930er Jahren bis zu Ronald Reagan, der die Steuern auf den niedrigsten Stand seit den 1920er Jahre senkte.

Im Vergleich von Steuersätzen zum Wachstum zeigt sich kein eindeutiges Bild. Teilweise lässt sich sogar eine negative Korrelation feststellen, bei der sich das Wachstum in Zeiten beschleunigte, in denen Steuern erhöht wurden. Eine solche Phase gab es nach dem Ersten Weltkrieg. Die Steuern stiegen kräftig, ebenso das Wachstum.

In den Jahren davor lagen die Einkommenssteuern bei 0 %. Sie wurden in den 1890er Jahren für verfassungswidrig erklärt und abgeschafft. Das Wachstum lag in der Zeit der Nullsteuern bei durchschnittlich 3,7 %. In den Jahren davor lag das Wachstum bei höheren Steuern bei durchschnittlich 4,4 %.
Als Ronald Reagan die Steuern senkte, sackte das Wachstum überraschend ab. Die Steuererhöhungen unter Clinton gingen hingegen mit einem Wachstumsanstieg einher. Das soll nun nicht bedeuten, dass höhere Steuern zu mehr Wachstum führen. Korrelation bedingt keine Kausalität.

Eine formale Untersuchung des US Congressional Research Services hat die Steuer- und Wachstumshistorie untersucht. Diese Abteilung des Kongresses ist parteiunabhängig. Sie wird also nicht von einer Partei besetzt oder bestellt.

Die Untersuchung kam zu dem Schluss, dass es keine Korrelation zwischen den Spitzensteuersätzen und dem Wachstum gibt. Mit anderen Worten: Ob man die Steuern für die Reichen senkt oder anhebt ist irrelevant. Das Wachstum wird dadurch nicht beeinflusst.

Es zeigt sich hingegen eine leicht positive Korrelation zwischen höheren Kapitalertragssteuern und dem Wirtschaftswachstum. Vermutlich ist dies darauf zurückzuführen, dass hohe Kapitalertragssteuern Spekulation weniger attraktiv machen als reale Investitionen in die Wirtschaft.

Was nicht überrascht, ist eine hohe Korrelation aus Steuersenkungen und Ungleichheit. Werden die Spitzensteuersätze gesenkt wird das soziale Gefälle größer. Bei den niedrigsten Einkommensschichten bringen Steuersenkungen nichts, weil die Einkommen ohnehin so gering sind, dass keine Steuern gezahlt werden müssen.

Je niedriger der Spitzen- und Kapitalertragssteuersatz, desto schneller geht die Schere zwischen Arm und Reich auf. Werden diese Steuersätze hingegen angehoben, ergibt sich ein positiver Trend. Ein höherer Prozentsatz des Nationaleinkommens geht an den Faktor Arbeit und weniger an den Faktor Kapital.

Über Steuersenkungen beschwert sich vermutlich niemand. Auch der Hausverstand sagt, dass sie gut sind. In der Praxis haben sich allerdings noch nie positive Effekte ergeben. Wenn Politiker heute also meinen, sie könnten das Wachstum durch Steuersenkungen magisch anheben, dann sagen sie nichts Anderes als „diesmal ist alles anders.“ Was so eine Einstellung an der Börse bedeutet, weiß jeder Anleger.

Clemens Schmale

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3 Kommentare

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    Der Hausverstand sagt: werden die Steuern gesenkt, dann wächst die Wirtschaft schneller. Das ist eigentlich ganz logisch. Sinken die Steuern, haben Menschen mehr Geld zur Verfügung, welches sie ausgeben.

    Das ist nicht logisch. Sinken die Steuern, dann wechselt das Geld nur den Besitzer: vom Staat zu den Privathaushalten und Unternehmen zurück. Das Geldvolumen vermehrt sich dadurch nicht, nur die Struktur der Ausgaben. Privathaushalte und Unternehmen werden ihr Geld für andere Dinge ausgeben, als der Staat es tut.

    Sinken die Unternehmenssteuern, siedeln sich mehr Unternehmen an und investieren. Die Logik des Hausverstandes ist bestechend.

    Das ist nicht logisch. Ob die Zinsen hoch oder niedrig sind, entscheidet noch nicht über die Investitionsbereitschaft. Es ist die Aussicht auf Gewinn, die zur Investition anregt. Gibt es sie, dann können auch hohe Zinsen nicht schrecken. Weder Steuer- noch Zinssenkungen noch Gelddruckerei können diese Aussicht offensichtlich schaffen.

    Bliebe nur noch die Krise zur Marktbereinigung als Lösung übrig. Aber wer will schon Schmerzen haben?

    11:53 Uhr, 08.12. 2016
  • einfach
    einfach

    herr schmale

    sie donnern hier einen artikel nach dem anderen heraus nach dem motto: einleitung erst mal überzogen mit einer nachträglichen abschwächung und dann ein wird vielleicht doch nicht so eintreffen.

    wenn ihre recherche auch so präzise wären wie die übernommenen datencharts, dann würden sie bei den arbeitslosenzahlen aus der vergangenheit feststellen, dass jahrzehnt für jahrzehnt die berechnung und zählung der arbeitslosenstatistik immer mehr verwässert wurde um den anschein einer funktionierenden volkswirtschaft aufrecht zu erhalten.

    die heutigen zahlen von 4,6% sind auf keinen fall vergleichbar mit 4,6% aus den 70er jahren.

    mit den einkommensteuern verhält es sich umgekehrt.

    da der staat kein geld spart sondern investiert egal wohin ob sinnvoll oder sinnlos, schaffen diese investitionen arbeitsplätze und gewinne.

    bei den einkommensteuerzahlern verhält es sich genau umgekehrt je höher die gewinne und niedriger die einkommensteuern sind, desto mehr geld wird gespart und dem kreislauf entzogen was zu einem rückläufigem oder stagnierenden bip führt.

    ein nicht so sparsamer staat, ist von den guten arbeitsplätzen für viele immer besser, als ein sparsamer vermögender der sein vemögen in papier parkt und ein paar schlechtbezahle dienstleistungsjobs vergibt.

    verstehen sie diesen kommentar bitte nicht als kritik an ihr bemühen lesenswerte artikel zu produzieren, sondern an die qualität ihrer inhalte, aussagen und schlußfolgerungen.

    21:15 Uhr, 07.12. 2016
  • Löwe30
    Löwe30

    "Korrelation bedingt keine Kausalität."

    Das ist zweifellos richtig. Da Wachstum allerdings von sehr vielen Faktoren abhängig ist, ist es wohl auch nicht so einfach eine Kausalität wie: "Steuersenkungen führen zu mehr Wachstum? Unsinn!" abzuleiten, wie im Artikel versucht wird. Da spielt z.B. die Geldpolitik (reine Planwirtschaft) eine wesentliche Rolle, wie auch die Verschuldung des Staates, der Unternehmen und der Privathaushalte oder wie solide die Banken dastehen. Dann spielt noch eine Rolle, wie die Handelsbilanz sich über die Jahre bzw. Jahrzehnte entwickelt usw.

    Nehmen wir beispielsweise mal die USA. Deren Handelsbilanzdefizit betrug im Jahr 2015 Minus $736 Milliarden. Es ist seit 10 Jahren immer schon negativ. Womit bezahlen die USA ihre Güter, die sie importieren? Sie zahlen sie mit aus dem Nichts geschöpften Dollars der FED. Sie haben also keinerlei Gegenleistung erbracht. Wie soll da denn Handel für alle Beteiligten noch den Vorteil bringen? Was hier abläuft ist Raub in gigantischem Ausmaß. Da kann es natürlich nicht zu den komparativen Kostenvorteilen kommen, die Ricardo postulierte. Wenn man einmal tiefer schaut sind die Gesellschaftssysteme weltweit auf Raub gegründet. Da gelten die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten eben nicht mehr.

    In einem solchen Umfeld wird auch eine Steuersenkung die Wirtschaft nicht nachhaltig auf Wachstumskurs bringen, sondern allenfalls eine durch deficit spending hervorgerufene kurzfristige Belebung, die dann wieder in sich zusammenbricht. Inzwischen schwimmen die Volkswirtschaften auf einem Meer keynesianischer Schulden.

    Dazu kommt noch: Das Wachstum, welches über das BIP berechnet wird, ermöglicht so gut wie keine vernünftige Einschätzung über die Entwicklung des allgemeinen Wohlstands und der Lebensqualität der Menschen in einer Volkswirtschaft. Dazu folgende Begründung:

    Da in die Berechnung des BIP "Produktions- und Importabgaben an den Staat" mit einbezogen werden, und das Wachstum sich auf das Wachstum des BIP bezieht, wirken sich Steuererhöhungen im BIP theoretisch positiv aus. Demnach würde bei 100% Steuern, das Wachstum theoretisch ein Maximum erreichen. Was zeigt, dass diese Methode ungeeignet ist, um Aussage über die wirtschaftliche Prosperität einer Volkswirtschaft zu machen, denn bei 100% Steuern handelt es sich um eine Staatswirtschaft und die ist bekanntlich alles andere nur nicht dafür bekannt, allgemeinen Wohlstand zu generieren.

    Der Artikel von Clemes Schmale bestätigt Ludwig von Mises, der feststellte, dass das was aus solchen Modellen, wie sie die klassischen, mathematisch arbeitenden Ökonomen verwenden, heraus kommt, nichts weiter sind als „großartige mathematische Kartenhäuser“.

    19:31 Uhr, 07.12. 2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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