Kommentar
06:54 Uhr, 14.01.2016

Steigende Zinsen=fallende Kurse?

Die Zeit des billigen Geldes ist vorbei. Das kann eigentlich nur eines bedeuten: es wird an den Börsen ungemütlich. Oder?

Die meisten Banken, Analysten und Beobachter sind sich einige: nach der US Zinswende wird es ungemütlich. Der Hintergrund dieser Vermutung ist kurz beschrieben. Steigen die Zinsen, dann steigen die Kosten von Geld. Es fließt spekulatives Kapital ab. So einfach dieser Zusammenhang ist, so schwierig ist er in der Realität.

Für die einen steigen die Kosten (Kreditnehmer), für die anderen steigen die Opportunitätskosten von Geld. Ersteres ist leicht nachvollziehbar. Wer bei höheren Leitzinsen einen Kredit aufnehmen will, der muss höhere Kreditzinsen zahlen. Letzteres ist nicht ganz so leicht nachvollziehbar.

Opportunitätskosten entstehen, wenn man die Wahl zwischen mindestens zwei Alternativen hat. Habe ich z.B. 100.000 Euro zur Verfügung und möchte diese anlegen, dann habe ich die Wahl zwischen vielen Assetklassen. Ich kann das Geld in Aktien investieren. Wenn ich das tue, kann ich nicht gleichzeitig das gleiche Geld in Anleihen stecken. Ich muss mich entscheiden, welches Investment ich tätige. Für gewöhnlich wird das jenes Investment sein, welches die höchste Rendite verspricht.

Nehmen wir an, ich kann mit Aktien 6 % erwirtschaften und mit Anleihen 3 %. Investiere ich in Anleihen und nicht Aktien, dann liegen meine Opportunitätskosten bei 3 % - theoretisch zumindest. Die Rechnung lässt andere Aspekte vollkommen außen vor. Aktien sind sehr viel schwankungsanfälliger als Anleihen. Habe ich einen kurzen Anlagehorizont, dann kann ich vielleicht 6 % verdienen, habe aber auch die Gefahr, dass ich am Ende mit 10 % weniger dastehe. Bei Anleihen kann ich 3 % verdienen und im schlimmsten Fall z.B. 3 % verlieren. Was ist nun besser?

Im Umfeld steigender Zinsen werden weniger volatile Anlagen interessant. Anleihen ermöglichen eine etwas höhere Rendite als noch vor wenigen Monaten. Wer es ganz sicher will, nutzt Geldmarktinstrumente. Letztlich sollte alles, was als sicherer als Aktien gilt von steigenden Zinse profitieren. Im Gegenzug dazu sinkt das Interesse an Aktien, weil die Opportunitätskosten steigen.

Die Zinswende sorgt dafür, dass die risikoadjustierte Rendite von Aktien nicht mehr stimmt. Es gibt weniger volatile Anlagen, die eine solide Rendite bringen. Immer mehr Anleger entscheiden sich daher gegen Aktien.
Die Renditedifferenz ist das eine, die direkten Kosten das andere. Anleger wie auch Unternehmen konnten sich zu sehr niedrigen Kosten verschulden. An der Börse werden über Kredit (Margin) große Summen bewegt. Steigen nun die Kosten der Margin, dann wird die Anlage unattraktiver. Viel spekulatives Kapital fließt ab.

Viele Unternehmen wiederum müssen ihre Strategie grundlegend ändern. Viele Firmen haben ihr Wachstum allein durch immer höhere Schulden finanziert. Solange Schulden sehr günstig sind, kann das Sinn machen. Steigen die Kosten nun, dann ist es vielleicht besser, weniger Schulden aufzunehmen bzw. Schulden zurückzuzahlen – auf Kosten des Wachstums. Das gefällt Aktionären selten.

Kurz gesagt: steigende Zinsen wirken an mehreren Stellen gegen Aktien. Sie erhöhen die Opportunitätskosten, die direkten Kosten, die mit der Anlage verbunden sind steigen und viele Firmen werden ihre Wachstumsstrategien überdenken müssen. Es liegt auf der Hand, dass Aktien die Verlierer der Zinswende sind.

Der Haken an der Sache: es ist nicht so. Was logisch und einleuchtend klingt, lässt sich in der Praxis kaum bestätigen. Steigende Zinsen sind per se kein Argument für fallende Kurse. Viele argumentieren nicht nur, dass die Kurse fallen werden, sondern auch, dass die Volatilität massiv ansteigt. Auch das lässt sich nicht bestätigen.

Grafik 1 zeigt die Volatilität des S&P 500 sowie die Fed Funds Rate. In den meisten Zinserhöhungszyklen sank die Volatilität. Das steht der derzeitigen Überzeugung vollkommen entgegen. Man liest kaum einen Jahresausblick, indem nicht von einem schwierigen Jahr mit erhöhter Volatilität ausgegangen wird.

Steigende Volatilität allein aufgrund steigender Zinsen herzuleiten ist abwegig. Es wäre das erste Mal in der Historie, dass hier ein kausaler Zusammenhang bestehen würde. Grafik 1 zeigt die realisierte Volatilität des S&P 500 auf Jahressicht. Hier zeigt sich sehr schön, dass die Schwankungsbreite seit über einem Jahr zunimmt.

Der Markt ist aufgrund der Zinswende schön länger nervös. Diese Nervosität vor einer Zinserhöhung ist ungewöhnlich. Eigentlich ist es das erste Mal, dass die Volatilität vor einem Zinsentscheid substantiell angestiegen ist. Man darf also guten Gewissens bezweifeln, dass es sich hierbei um Kausalität handelt.

Die höhere Schwankungsbreite im Vorfeld der Zinswende allein dem Zufall zuzuschreiben wird nicht gerade von der Mehrheit unterstützt. Dennoch darf man diese Möglichkeit nicht außer Acht lassen. Genügend andere Gründe für einen Anstieg der Volatilität gab es (China, Ölpreis, politische Unruhen usw.).

Ob die Zinswende für den Anstieg der Volatilität nun verantwortlich war oder nicht, ist eigentlich unerheblich. Viel wichtiger ist, ob sich der Zustand fortsetzt. Die meisten gehen davon aus. Ein Blick auf die längere Historie des Dow Jones seit 1900 gibt Aufschluss darüber wie realistisch diese Erwartung ist.

Grafik 2 zeigt den Dow Jones seit 1900 mit der dazugehörigen einmonatigen, historischen Volatilität. Diese Schwankungsbreite ist das, was viele Anleger beachten. Die Volatilitätsindizes wie der VIX (S&P 500) oder VDax bilden die erwartete Volatilität auf Sicht eines Monats ab.

Lässt man die Zeit des Ersten Weltkriegs, der Großen Depression und des zweiten Weltkrieges einmal außen vor, dann schwankte die Volatilität in einem Bereich von 2 bis 10 %. Diese Range wurde nur wenige Male verlassen. Der Crash 1987 führte zum Spitzenwert in den letzten 85 Jahren. Gefolgt wird dieser Spitzenwert von der Zeit Ende 2008. Die Asienkrise, 9/11 und der Sommercrash 2011 führten ebenfalls zu einem kurzen Überschreiten der oberen Range.

2015 wurde die obere Range beinahe wieder erreicht. Die heftige und kurze Korrektur im August führte zu der größten Bewegung der Schwankungsbreite seit 2011. Viele sehen darin den Anfang eines systematischen Volatilitätsanstiegs. Begründet wird dieser mit der US Zinswende. Wer sich da mal nicht irrt...

Grafik 3 zeigt die Volatilitätszyklen des Dow Jones. Die Schwankungsbreite bewegt sich in drei bis fünfjährigen Zyklen. Dabei sinkt die Volatilität von einem hohen Niveau für ein bis zwei Jahre, verharrt für längere Zeit auf tiefen Niveau und steigt dann für ein bis zwei Jahre wieder an. Einen solchen Zyklus hätten die US Indizes per Ende 2015 eigentlich vollendet.

Jeder Zyklus zeigt gewisse Variationen. Man kann nicht blind davon ausgehen, dass die Volatilität nun wieder zwei Jahre lang sinkt und Aktien in neue Sphären steigen. Grundsätzlich könnte eine Zeit wie von 1998 bis 2002 blühen. Aktien korrigierten nicht besonders heftig, dafür aber extrem ausdauernd. Die Wahrscheinlichkeit für eine solche Phase ist gering. In den vergangenen 115 Jahren passierte das nur ein einziges Mal.

Aktien bleiben auch nach der Zinswende ziemlich alternativlos. Trotz steigender Zinsen sind die Opportunitätskosten in eine andere Anlageklasse als Aktien zu wechseln hoch. Steigende Zinsen mögen zwar zu höheren Renditen bei Anleihen führen, doch das bedeutet auch, dass die Kurse der Anleihen erst einmal fallen müssen (fallende Kurse=steigende Rendite).

Analysten sind sich derzeit global einig darüber, dass die Volatilität in diesem Jahr ansteigen wird. Die Masse liegt häufig falsch. Der aktuelle Volatilitätszyklus des Dow Jones lässt vielmehr ein abebben der Schwankungsbreite vermuten.

Die Risiken bleiben in diesem Jahr groß und der Markt kann jederzeit von einem externen Schock bewegt werden. Die derzeitigen Sorgen der Anleger erstrecken sich über alle Themen, von China über die Zinswende bis hin zum Flüchtlingsstrom nach Europa. Diese Themen sind allesamt schwierig, aber sie sind bekannt. Bekannte Probleme stürzen einen Markt selten ins Verderben. Vielmehr steigen Kurse entlang der „Wall of Worry“ (Kurse steigen entlang von Ängsten und Befürchtungen der Anleger). Ängste gibt es genug. Gute Voraussetzungen für ein super Anlagejahr...

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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