Kommentar
07:21 Uhr, 08.05.2019

Steigende Aktienkurse: War alles nur heiße Luft?

Drei US-Wissenschaftler haben untersucht, warum die Börsen in den vergangenen Jahrzehnten so stark gestiegen sind und kommen zu einem überraschenden Ergebnis, das politische Sprengkraft besitzt.

Wer sich die Entwicklung der Aktienmärkte in den vergangenen Jahrzehnten ansieht, könnte sich verwundert die Augen reiben: Der Wert sämtlicher börsennotierter Unternehmen ist viel stärker gestiegen, als die Wirtschaft gewachsen ist. Diese Beobachtung war auch die Basis einer wissenschaftlichen Untersuchung der drei US-Wissenschaftler Daniel L. Greenwald, Martin Lettau, Sydney C. Ludvigson, die sich mit der Frage beschäftigt haben, warum der Börsenwert aller US-Unternehmen außerhalb des Finanzsektors von 1989 bis Ende 2017 um sage und schreibe 23 Billionen Dollar (also 23.000 Milliarden Dollar bzw 23.000.000.000.000 Dollar) zugelegt hat.

Die Wissenschaftler untersuchten die Entwicklung der US-Börsen seit dem Jahr 1952 und kamen zu einem überraschenden Ergebnis: Bis zum Jahr 1988 lassen sich die steigenden Börsenwerte im Wesentlichen durch eine steigende Produktivtität erklären. Ganze 92 Prozent des Wertanstiegs der börsennotierten Unternehmen außerhalb des Finanzbereichs lassen sich im Zeitraum 1952 bis 1988 auf das Wirtschaftswachstum zurückführen. Doch seit dem Jahr 1989 bis Ende 2017 sieht das Bild anders aus. Hier war das Wirtschaftswachstum nur noch für rund 24 Prozent der steigenden Börsenwerte verantwortlich. Ein anderer Faktor wurde hingegen wichtiger: Die Umverteilung von den Arbeitnehmern, die ihren Lebensunterhalt aus Arbeitseinkommen bestreiten, hin zu den Kapitaleignern, die von Kapitalerträgen leben.

Niedrigere Zinsen, die von vielen Börsianern als eigentlicher Motor der steigenden Börsenwerte seit der Finanzkrise betrachtet werden, spielten hingegen mit 11 Prozent eine nur untergeordnete Rolle. Das gilt ebenso für Veränderungen der Risikoprämie, die in der Finanzmathematik den Renditeunterschied zwischen "sicheren" Anlageformen wie Anleihen und "unsicheren" Anlageformen wie Aktien beschreibt.

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Die Schlussfolgerungen der Wissenschaftler sollten allerdings mit einer gewissen Skepsis betrachtet werden. Denn die Berechnung des Einflusses der unterschiedlichen Faktoren basiert auf einem theoretischen Modell, dass die US-Wirtschaft nur sehr stark vereinfacht nachbildet. So gibt es in dem Modell der Wissenschaftler nur zwei verschiedene Arten von Personen: Die große Gruppe der Arbeitnehmer bestreitet ihren Lebensunterhalt ausschließlich aus Arbeitseinkommen. Eine kleine Gruppe der Kapitaleigner hingegen bestreitet ihr Einkommen ausschließlich aus Kapitaleinkünften. Es handelt sich um eine geschlossene Wirtschaft, ohne Beziehungen zum Ausland. Aktienrückkäufe (die besonders in den vergangenen Jahren mutmaßlich eine große Rolle für steigende Aktienkurse hatten) existieren in dem Modell genau so wenig wie Kapitalerhöhungen, Börsengänge oder Leerverkäufe. Unter dem Strich legen die Wissenschaftler ihren Betrachtungen eine stark vereinfachte Modellwirtschaft zu Grunde, die sich in vielen Details markant von der realen US-Wirtschaft unterscheidet.

Trotzdem ist klar, dass die Studie politische Sprengkraft besitzt. Schließlich versuchen in den USA aktuell einige mögliche Präsidentschaftsbewerber der Demokraten, mit geradezu "sozialistischen" Thesen zu punkten. In Deutschland hat unterdessen Juso-Chef Kevin Kühnert eine Debatte über "Verstaatlichungen" von Großkonzernen angestoßen. Da kommt eine Studie, die scheinbar zeigt, dass die steigenden Aktienkurse in den vergangenen Jahren vor allem eine Folge von "Umverteilung" war, gerade richtig.

Immerhin zeigt die Studie aber auch, dass bis zum Jahr 1989 das Wirtschaftswachstum der fast alleiniger Treiber steigender Börsenwerte in den USA war. In dieser Periode profitierten also sowohl die Arbeitnehmer als auch die Kapitaleigner von der zunehmenden Produktivität. Warum ausgerechnet das Jahr 1989 den Wendepunkt markierte, beantwortet die Studie nicht. Allerdings könnte die in den 90er-Jahren stark an Fahrt gewinnende Globalisierung zumindest teilweise dafür verantwortlich sein. Denn die Globalisierung führte dazu, dass die Arbeitseinkommen in vielen Industriestaaten stagnierten, während die Unternehmensgewinne und die Aktienkurse weiter unaufhaltsam stiegen.

Für Anleger könnte die Studie noch aus einem anderen Grund interessant sein: Denn während die Wirtschaft eines Landes zumindest prinzipiell "unendlich" wachsen kann, muss jede Umverteilung früher oder später zu Ende gehen. Glaubt man also den Ergebnissen der Studie, so bedeutet dies, dass auch die Aktienmärkte langfristig vor einem Wendepunkt stehen könnten. Denn die Umverteilung von den Arbeitnehmern hin zu den Kapitaleignern, die in den vergangenen Jahrzehnten zu beobachten war, lässt sich nicht bis in alle Ewigkeit fortsetzen, ohne dass das System kollabiert. Erfreulicherweise wuchs die US-Wirtschaft zuletzt wieder sehr stark. Ohne solides Wirtschaftswachstum dürfte es wohl auch keine nachhaltig steigenden Börsenwerte geben. Zumindest diese Schlussfolgerung kann man wohl aus den Ergebnissen der Studie ziehen.

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  • smarttrader
    smarttrader

    1989 markiert laut Studie den Wendepunkt. Für welches welthistorische Ereignis steht dieses Jahr? - Für das Ende des Kommunismus in Osteuropa (Fall der Berliner Mauer)! Der Kapitalismus wurde sozusagen seinen großen ideologischen Gegenspieler los und konnte in der Folgezeit "unbeschwert" die Globalisierung vorantreiben.

    18:02 Uhr, 08.05. 2019
  • Simon Hauser
    Simon Hauser Redakteur

    1989 macht intuitiv Sinn. Globalisierung ist ja im Kern die größte Umverteilung aller Zeiten.

    12:50 Uhr, 08.05. 2019
  • grinder1337
    grinder1337

    allerdings handelt es sich um eine e-funktion, also exponentiell. jedes fiatgeldsystem ist bisher zusammengebrochen. es geht gar nicht anders. da hat wizard recht. und die (nach)crash-phase wird äußerst schmerzvoll, da stimme ich auch frankey zu. wenn man sich gut vorbereitet, kommt man persönlich immerhin noch relativ glimpflich durch den großen krach :)

    11:58 Uhr, 08.05. 2019
  • Frankey
    Frankey

    einer der wenigen Berichte, die das große Ganze beleuchten, und damit ist eigentlich auch schon alles gesagt, wo es hingeht:

    - Wachstum kann es theoretisch endlos geben

    - aber: die Umverteilung ist irgendwann zu Ende.

    Mal schauen, wie sich dieses "Game-over" in unserem Kapitalismus demnächst darstellen wird. Angenehm stelle ich mir diese Phase nicht vor...

    09:17 Uhr, 08.05. 2019
    1 Antwort anzeigen
  • Jaroos
    Jaroos

    Theoretisch wäre ich nie in der Börse investiert, wenn ich 4,5,6,8% sichere Zinsen + Zinseszins kriegen könnte. Das dürfte den meisten Otto-Normal-Verbraucher so gehen, daher kann ich die 11% nicht nachvollziehen.

    08:54 Uhr, 08.05. 2019
  • Apollonia
    Apollonia

    super beitrag danke!

    ich warte schon darauf, die vereinfachte interprätation in sämtlichen maischbergers zu hören .......

    07:31 Uhr, 08.05. 2019

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Oliver Baron
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Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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