Kommentar
08:47 Uhr, 08.12.2015

Steigen die Zinsen jetzt 35 Jahre lang?

Die Zinsen sind unerträglich niedrig und gerade noch so im positiven Bereich. Keiner weiß, ob es kurzfristig noch tiefer gehen kann oder ob das Ende eines über 30-jährigen Trends erreicht ist. Langfristig stehen die Chancen auf deutlich steigende Zinsen gut.

Den Zinstrend kennt fast jeder. Seit 1980 sinken die kurz- und langfristigen Zinsen (Grafik 1). Der Trend zu immer tieferen Zinsen hält bereits seit über 30 Jahren an. Viele kennen gar kein anderes Bild mehr. Doch die Historie zeigt: Es geht auch anders. Bevor die Zinsen jahrzehntelang fielen, stiegen sie von 1945 bis 1980. Das entspricht einem Zeitraum von 35 Jahren und ist in etwa genauso lang wie der aktuelle Trend zu immer niedrigeren Zinsen.

Diese langen Zyklen sind nicht neu. Die Zinshistorie der USA seit 1800 zeigt, dass sich Zinsen schon immer in langen Zyklen bewegt haben. Die Dauer der Zyklen ist unterschiedlich, doch generell ist eine Dauer von mindestens 20 Jahren zu erwarten. Der letzte Zyklus hat 35 Jahre lang steigende und 35 Jahre lang fallende Zinsen gebracht. Kommt es nun wieder so, dann steigen die Zinsen bis 2050.

In einem Umfeld, in dem die EZB und japanische Notenbank die Geldschleusen weit geöffnet haben fragt man sich natürlich, ob steigende Zinsen überhaupt realistisch sind. Um darauf eine Antwort zu finden muss man verstehen, wieso die Zinsen überhaupt so tief fallen konnten.

Ein Teil der Antwort lässt sich relativ einfach geben. Niedrige Zinsen sind die Konsequenz der Notenbankpolitik als Antwort auf die Finanzkrise. Daran ist kaum zu rütteln, doch diese Begründung gilt erst seit 2008. Der aktuelle Trend hält bereits seit 1980 an, also auch zu Zeiten, in denen von Finanzkrise und Quantitative Easing noch keine Rede war.

Niedrige Zinsen, vor allem in den USA, werden auf den sogenannten „Savings Glut“ zurückgeführt. Ben Bernanke prägte diesen Begriff, der ein Übermaß an Ersparnissen beschreibt. Vor allem asiatische Länder haben bzw. hatten eine enorm hohe Sparquote. In Japan ist die Sparquote inzwischen deutlich zurückgegangen. In Japan erreichte die Sparquote in den 70er Jahren ein Hoch bei 23,5%. Im vergangenen Jahr war sie erstmals negativ.

Der radikale Wandel von rekordhohen Sparquoten hin zu negativen Raten hat einen Grund. Die Bevölkerung überaltert. Immer mehr Menschen sind Rentner. Diese müssen auf ihre Ersparnisse zugreifen, um ihren Lebensstandard zu halten. Im Verhältnis zur arbeitsfähigen Bevölkerung nimmt der Anteil an Rentnern zu. Im Verhältnis spart ein immer geringerer Teil der Bevölkerung Geld an. Das kann, wie in Japan, zu negativen Sparquoten führen.

Dieses Phänomen lässt sich grafisch darstellen. Grafik 2 zeigt die zwei relevanten Bevölkerungsgruppen, die einen großen Einfluss auf Zinsen haben. Die Bevölkerungsgruppe, die Geld spart, ist die Gruppe von 40 bis 65 Jahren. Die Gruppe, die tendenziell eine negative Sparquote hat, ist die Gruppe der über 65-Jährigen. Beide Gruppen sind als Prozentsatz der Gesamtbevölkerung dargestellt. Relevant für die Zinsen ist die Differenz aus diesen beiden Bevölkerungsgruppen. Den Zusammenhang zwischen dieser Differenz und Zinsen entdeckte ein Analyst von Barclays.

Sinkt die Differenz aus diesen beiden Bevölkerungsgruppen, dann bedeutet das, dass weniger gespart wird. Steigt die Differenz, wird mehr gespart, weil sich mehr Menschen in der Altersgruppe befinden, die für die Rente vorsorgen. Grafik 3 zeigt die Bevölkerungsgruppen, die Differenz der beiden und die Langfristzinsen für Länder mit hohem Einkommen. Man sieht, was man erwarten würde. Die Zinsen steigen, wenn die Differenz fällt und die Zinsen fallen, wenn die Differenz steigt.

Empirisch ist der Zusammenhang klar. Auch aus rein logischen Gesichtspunkten macht es Sinn. Wenn mehr gespart wird, steht mehr Geld zur Verfügung. Zinsen sind letztlich der Preis von Geld. Gibt es ein Überangebot an Geld, weil sehr viel gespart wird, dann sinkt der Preis des Geldes, sprich, die Zinsen fallen.

Dieses Phänomen hat in vielen Ländern zu niedrigen Zinsen geführt. Besonders deutlich war das in Japan und den USA. In den USA stiegen die langfristigen Zinsen in den vergangenen 35 Jahren kaum, selbst wenn die Notenbank die Leitzinsen deutlich anhob. Das wurde als „Interest Rate Conundrum“ – Zinsrätsel – bezeichnet. Grund für die einfach nicht steigen wollenden Zinsen war der Überhang er Ersparnissen, die irgendwo angelegt werden mussten. Es flossen große Mengen Geld in Anleihen. Die hohe Nachfrage nach Anleihen hat die Preise steigen lassen. Steigende Preise von Anleihen bedeuten eine niedrigere Rendite.

In Ländern mit hohem Einkommen sinkt die Differenz zwischen der Bevölkerungsgruppe, die spart und der Bevölkerungsgruppe, die Erspartes verwendet, seit 2010. Bisher hat das nicht zu steigenden Zinsen geführt. Das hat zwei Gründe. In China ist die Sparquote nach wie vor sehr hoch. Sie hat den Rückgang der Sparquote in vielen westlichen Ländern maskiert. Grafik 4 zeigt die Daten für China. Hier beginnt die Differenz der beiden Altersgruppen gerade zu sinken. Den Effekt sollte man bis Ende des Jahrzehnts spüren.


Der Abbau von Ersparnissen in westlichen Ländern, Japan und China kann nicht durch den Rest der Welt kompensiert werden. Die letzte Grafik zeigt die Zeitreihen für Länder mit geringem Einkommen. Hier beginnt gerade erst die Phase des Sparens. Allerdings: die absolute Höhe ist vernachlässigbar.

Über zwei Drittel der weltweiten Wirtschaftskraft und über 80% der Ersparnisse verteilen sich auf Länder, in denen es zu einer deutlichen Reduktion der Sparquoten kommen wird. Das Geldangebot wird in den kommenden Jahren tendenziell sinken. Das Überangebot an Geld wird sich reduzieren. Folglich müsste auch der Preis des Geldes steigen.

Verhindert werden kann ein Zinsanstieg nur, wenn die Notenbanken weiterhin und unaufhörlich in den Markt eingreifen. Vermutlich werden sie sich dazu genötigt fühlen. Die Welt hat zwar große Ersparnisse, aber auch hohe Schulden. Jahrzehntelang steigende Zinsen, vielleicht eine Verdreifachung der Zinsen, können von Schuldnern nicht getragen werden, zumal die alternde Bevölkerung zu geringerem Wachstum und zu geringerer Inflation führt.

Steigende Zinsen, während sich das Wachstum gleichzeitig strukturell abschwächt, sind die Mischung, aus der wirtschaftliche Depressionen entstehen. Gleichzeitig dürften Assetpreise durch die Reduktion von Ersparnissen sinken. Die Ersparnisse sind in Anleihen und Aktien angelegt. Werden diese liquidiert, dann reduziert das die Assetpreise. Steigende Zinsen, niedriges Wachstum und sinkende Preise von Vermögenswerten sind keine gute Mischung. Es ist auch ein vollkommen neues Phänomen, welches in dieser Größenordnung noch nie bewältigt werden musste. Wir können uns nach einer kurzfristigen Normalisierung in den USA und Europa auf eine neue Flut an experimenteller Notenbankpolitik einstellen.

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4 Kommentare

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  • debt horizon
    debt horizon

    wenn ein Euro-Land wegbricht und eine eigene Nationalwährung wieder einführt, dann wird's schnell ganz anders ausschauen, und das ist nicht unmöglich. Insofern geht's nicht um die EZB, sondern um den wachsenden Nationalismus (was komischerweise auch von den Linken ausgeht, z.B. in Greichenland) und die Möglichkeit, dass ein Land den Euro ablehnt und eine geordnete Insolvenz durchmacht. Dann hätte die EZB und die übrigen Euroländer ein grosses Problem mit den Schulden des resp. austretenden Landes, für die die noch haften werden. Es geht also auf langer Sicht viel mehr um die Nationalpolitik (z.B. Front Nationale) als die EZB, wobei diese Situation könnte auch relativ früh kommen. Zumindest meiner Meinung nach :)

    14:23 Uhr, 08.12.2015
  • Börsen-Onkel
    Börsen-Onkel

    Die Zinsen sind politisch gesteuert - eine deutliche Zinsanhebung in Europa in naher Zukunft würde Länder wie Frankreich, Spanien, Portugal etc. in extreme Schwierigkeiten bringen daher bleiben die Zinsen erstmal unten!

    09:58 Uhr, 08.12.2015
  • Haus
    Haus

    Nun das Geld ist doch aber nicht weg nur weil es nicht mehr die alten Menschen haben , es ist nur bei einem anderen drum kann ich die Logik des Artikels nicht wirklich verstehen.

    09:22 Uhr, 08.12.2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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