Kommentar
17:12 Uhr, 10.09.2015

Steht Japan mit dem Rücken zur Wand?

Anfang 2015 gab es einen kurzen Hoffnungsschimmer für die japanische Wirtschaft. Ein halbes Jahr später ist die Enttäuschung groß und man darf den Abgesang auf Japan anstimmen. Daran ändert auch der gesrtige Kurssprung an der Tokioter Börse nichts.

Hier machten die Kurse einen kräftigen Satz nach oben, weil Japan ein Konjunkturpaket auflegt und das Konzept der Abenomics (lockere Geldpolitik und Konjunkturprogramme) im Notfall ausgebaut wird.

Trotz der Abenomics kann die japanische Wirtschaft nur noch durch ein Wunder gerettet werden. Anleger nehmen das in diesem Ausmaß nicht wahr. Der japanische Aktienmarkt korrigierte bis heute zusammen mit den globalen Märkten. Die Korrektur wurde mit einem Kurssprung von über 6% beendet. Insgesamt stehen die Indizes jedoch immer noch tiefer als vor 15 Jahren.

Grafik 1 zeigt den Nikkei Index und den realen Yen-Wechselkurs. Der Wechselkurs ist invers dargestellt, um die hohe Korrelation zwischen Währung und Aktienmarkt besser erkennen zu können. Steigt die grüne Linie im Chart an, dann wertet der Yen ab. Inzwischen hat der Yen real so viel an Wert verloren, dass er den tiefsten Stand seit über 40 Jahren erreicht hat.

Der Aktienmarkt hat im Vergleich dazu noch lange nicht wieder an seine Rekorde anknüpfen können – trotz der massiven Yen-Abwertung. Generell steigen japanische Aktien, wenn der Yen verliert, denn die meisten Unternehmen profitieren von einem niedrigen Wechselkurs.
Wie stark die Unternehmen davon profitieren wird in Grafik 2 deutlich. Dargestellt sind die Unternehmensgewinne. Diese erreichen absolute Rekordwerte und übertreffen das bisherige, zyklische Hoch aus dem Jahr 2007 um ein knappes Viertel. Die Unternehmensgewinne stehen heute also 25% höher als 2007.

Hohe Unternehmensgewinne bedeuten nicht automatisch, dass alles in Ordnung ist. Nominal sind die Gewinne hoch, vor allem in Yen. Würde man die Gewinne um den realen Wechselkurs bereinigen, dann stünden sie im Vergleich zu 2007 um lediglich 5% höher. Immerhin – die Gewinne sind nicht geschrumpft.

Unternehmen blicken trotz der sprudelnden Gewinne nicht positiv in die Zukunft. Grafik 2 zeigt auch die Investitionen. Diese liegen 30% tiefer als noch 2007. Real beträgt der Rückgang sogar über 40%. Das zeugt nicht gerade von Zuversicht.
Wenn Gewinne steigen, die Investitionen aber stagnieren, dann läuft etwas schief. Man kann allein anhand dieser Daten behaupten, dass die Abenomics gescheitert sind. Die Geldpolitik – die einzige von 3 Maßnahmen, die wirklich umgesetzt wurde – sollte die Inflation auf 2% steigern. Die Inflationserwartungen hätten sich dann von ganz alleine angepasst.

Die Inflation und Inflationserwartungen sind in Japan von großer Bedeutung. Ohne Inflationserwartung, welche Ausdruck von Zuversicht auf höheres Wachstum ist, passiert in Japan nichts mehr. Ganz besonders tut sich an der Lohnfront nichts. Der private Konsum macht 60% der japanischen Wirtschaftsleistung aus. Mehr konsumiert wird nur, wenn die Löhne steigen und diese steigen nur, wenn Inflation erwartet wird.
Grafik 3 zeigt wie sich die Löhne in Japan entwickeln. Bis Anfang 2015 gab es kurzfristig eine positive Tendenz. Das ließ Hoffnung auf Inflation aufkeimen. Inzwischen hat sich die Hoffnung schon wieder zerstreut. Problematisch sind die stagnierenden Löhne auch deshalb, weil sie das Konsumentenvertrauen maßgeblich prägen. Ohne Vertrauen und steigende Löhne darf man sich nicht der Illusion hingeben, dass der private Konsum auf einmal anzieht.
Konsumiert wird nach wie vor weniger als noch vor einem Jahr. Der Staat strengt sich an den stagnierenden Konsum auszugleichen. Grafik 4 zeigt die staatlichen Konsumausgaben. Diese steigen unaufhörlich an und beschleunigten sich 2015 sogar noch ein wenig. Problematisch an der Sache ist die Art der Ausgaben. Es wird konsumiert, aber nicht investiert. Während die Konsumausgaben seit 1980 von einem Indexstand von 100 auf 240 geklettert sind, liegt die Höhe der Investitionen auf dem Niveau der 80er Jahre.


Der Staat kann sich das nur leisten, weil die Notenbank kräftig Staatsanleihen kauft. Ein Ende ist nicht in Sicht. Eine Ausweitung des Quantitative Easing ist derzeit noch nicht zu erwarten. Grafik 5 zeigt, wieso das so ist. Dargestellt ist der Marktanteil der Notenbank am gesamten Markt für Staatsanleihen. Dieser liegt bei 30%. Kauft die Notenbank unverändert weiter Staatsanleihen für ca. 60 Mrd. Dollar pro Monat, dann steigt der Marktanteil bis Anfang 2018 bereits auf 50%. Mitte 2024 würde die Grenze von 100% erreicht werden.

Die japanische Notenbank kann ihre Anleihenkäufe eigentlich nicht mehr ausweiten. Bereits jetzt ist die Größenordnung kritisch, zumal die Wirkung kaum wahrnehmbar ist. Den Yen hat die Politik geschwächt. Das war es dann aber auch schon. Inflation ist nicht in Sicht. Dazu wird zu wenig konsumiert und investiert. Steigt die Inflation in den kommenden Jahren, dann vor allem aufgrund der Rohstoffpreisentwicklung. Unternehmen würde das nicht dazu veranlassen Löhne zu steigern, sondern diese stabil zu halten, um ihre Margen nicht zu gefährden.

Unternehmen werden Löhne nicht steigern, wenn die Inflation allein auf Rohstoffpreise zurückzuführen ist. Steigende Löhne müssen bezahlt werden – für gewöhnlich in Form höherer Produktpreise. Bei fehlender Zuversicht und schleppendem Konsum dürften Unternehmen nicht davon überzeugt sein, dass sie höhere Preise durchsetzen können. Die Folge: die Preise bleiben stabil, ebenso wie die Löhne. Real würden diese sinken und den Konsum weiter belasten.

Japan fehlt letztlich nur eines: die Zuversicht. Diese hat bisher kein einziger Akteur entwickelt. Die Konsumenten bleiben systematisch schlecht gelaunt, weil die Löhne nicht steigen. Unternehmen erhöhen Löhne nicht, weil sie keine Wachstumsperspektive in Japan sehen. Wenn investiert wird, dann im Ausland. Die Notenbank selbst hält noch an ihrem Programm fest, doch auch hier sinkt die Zuversicht, ebenso wie unter den Politikern. Regierungschef Abe hat sich de facto schon von der Wirtschaftspolitik verabschiedet. Er sorgt stattdessen dafür, dass sich Japan in Zukunft an Militäreinsätzen beteiligen kann. Der Bevölkerung gefällt das gar nicht. Geholfen hat auch nicht, dass Atomkraftwerke wieder hochgefahren werden.

Abe lenkt von der Wirtschaft ab und wird dabei immer unbeliebter. Es scheint fast so als wolle er die Bevölkerung gegen sich aufbringen, um zurücktreten zu können. Dann hätte er sich erfolgreich aus der Verantwortung gestohlen und könnte den Zusammenbruch seinem Nachfolger überlassen. Daran ändern auch die heutigen Ankündigungen nichts. Abe erhöht die Staatsschulden noch ein bisschen mehr und noch ein bisschen schneller, doch was hunderte Milliarden an früheren Konjunkturprogrammen nicht gerichtet haben, werden auch weitere 20 oder 30 Mrd. nicht richten.

Japan steht mit dem Rücken zur Wand. Die Abenomics laufen seit über 2 Jahren und an den grundlegenden Problemen haben sie nichts geändert. Ein neues Konjunkturpaket soll den aktuellen Abschwung lindern. Es ist schon fast eine Verzweiflungstat.

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6 Kommentare

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  • x__x
    x__x

    Gute Darstellung der Problematik aber fehlende Schlussfolgerungen.

    Meine Meinung zu dem Thema: Trade per OS auf USD/JPY Strike 140 LZ 2017 läuft ;-)

    08:13 Uhr, 11.09.2015
  • Manfred Riedl
    Manfred Riedl

    Super recherchiert und Top analysiert.

    07:56 Uhr, 11.09.2015
  • dschungelgold
    dschungelgold

    Ausgezeichneter Beitrag! Genau so stellt sich in Japan die Lage da.

    07:52 Uhr, 11.09.2015
  • Subdi
    Subdi

    Die Deutsche Bank erzählt allerdings dummerweise genau das Gegenteil von diesem Artikel, der mich überzeugt hat:

    „Abenomics“ in Japan nehmen Fahrt auf

    https://www.deutsche-bank.de/pfb/content/marktinfo...

    00:40 Uhr, 11.09.2015
  • Kasnapoff
    Kasnapoff

    Ein erstklassiger Beitrag, der die Lage im Land der aufgehenden Sonne ungeschminkt darstellt. Japan könnte zum Menetekel für die hochverschuldeten Industrienationen werden. Die großen Industrienationen dieser Welt haben sich die vergangenen 30 Jahre in eine Sackgasse manövriert und stehen nun mehr oder weniger mit dem Rücken zur Wand.

    23:01 Uhr, 10.09.2015
  • Peter Zumdeick
    Peter Zumdeick

    Sie schreiben im Regelfall wirklich tolle Artikel ...

    22:13 Uhr, 10.09.2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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