Kommentar
17:54 Uhr, 02.10.2020

Sportwagen, Luxus-Uhr und immer ein Bündel Scheine in der Tasche - Der Traum vom Trading

Börsenhandel ändert nicht nur die persönlichen Vermögensverhältnisse (und auch diese ja nicht immer zum eigenen Vorteil), sondern auch die Persönlichkeit, Gesundheit und das Sozialverhalten von Traderinnen und Tradern. Ein kleiner kritischer Einwurf.

In diesem und im letzten Jahr hatte ich aus Börsensicht zwei Jubiläen. Im Frühjahr 2019 waren es genau zwanzig Jahre her, seit ich meinen ersten Trade gemacht hatte und im Sommer 2020 hatte der von mir verantwortete Trading-, Analyse- und Charting-Service, der CCB Centre Court Börse Geburtstag und wurde fünf Jahre alt.

Wenn so runde Jubiläen/Geburtstage anstehen, dann blickt man auch schon mal zurück auf das was da alles so war und zieht das ein oder andere Resümee daraus.

Was damals mehr oder minder aus einer Laune heraus begonnen wurde, entwickelte sich im Laufe der Jahre bei mir erst zu einer Leidenschaft (die bis heute auch oft mal ihre Leiden schafft) und dann sogar eher zufällig und ungewollt noch zu einer Profession.

Blicke ich nun auf die Zeit um die Jahrtausendwende zurück, so komme ich nicht drum herum, dort gewisse Parallelen zur heutigen Zeit zu ziehen. Ähnlich wie die Börse selbst ist wohl auch der Trend, sich aktiv als Händler zu probieren, gewissen Zyklen unterlegen. Immer dann, wenn die Kurse über einen gewissen Zeitraum stark steigen oder fallen, zieht es einen neuen Schwall Hasardeure an die Aktien- und Forex-Märkte.

Als "Teil des Systems" sehe ich es aber als meine Pflicht an, auch immer mal wieder auf die Schattenseiten des Börsenlebens hinweisen zu müssen. Der Alltag eines Traders oder einer Traderin -egal wie professionell das angegangen wird- besteht eben nicht daraus, mit einem neuen Sportwagen (bevorzugt natürlich ein Cabrio) durch die Gegend zu fahren, den Arm mit der "güldenen Uhr" daran dabei lässig aus dem Fenster baumeln zu lassen und sich abends hinzusetzen und Scheinchen zu zählen, die man bündelweise in der Tasche mit sich herum trägt.

Da mag die Werbung manch dubioser oder zum Teil auch halbwegs seriöser Anbieter von Kursen, Handelssystemen, Börsenbriefen, CFD-Plattformen etc. noch so viel anderes suggerieren, das ist schlichtweg Bullshit. Die meisten erfolgreichen Trader, die ich kenne, haben zwar durchaus Fahrzeuge aus der Luxusklasse und auch ein größeres Bankkonto aber das haben sie sich fast immer auch schwer verdient und ist dann mehr so eine Art Belohnung oder auch Schmerzensgeld und dient nicht nur dem reinen Selbstzweck des Protzens.

Ein ungleich größerer Teil der Trader-Community (man spricht gemeinhin von 90 % und mehr, was ich durchaus bestätigen würde) gehört aber eben nun mal nicht zu den erfolgreichen Börsenhändlern sondern dient eher als Opfer für die erfolgreiche Minderheit und hat neben dem Verlust des Kapitals meistens noch zahlreiche weitere Baustellen als Preis dazu bekommen. Dazu gehören Verlust des Selbstwertgefühls, (Spiel)Suchtverhalten, Depressionen, Alkohol-, Nikotin- und sonstiger Drogen-Missbrauch, Aggressionen und eine launische Natur sowie neben diesen psychischen auch hier und da physische Probleme, wie zum Beispiel "Rücken", Übergewicht, "trockene Augen", Reizhusten und später wohl auch Venenleiden vom vielen Sitzen.

Wer sich also dazu entschließt oder entschlossen hat, an der Börse sein Glück zu versuchen oder sein Können unter Beweis zu stellen, sollte sich darüber im Klaren sein, dass alles seinen Preis hat, nicht nur eine Aktie, ein Hebel-Zertifikat oder ein CFD sondern gerade eben auch der Pakt mit dem "Börsen-Teufel".

Wer das Ganze dann sogar etwas ernster betreiben möchte, opfert dafür einen Großteil seiner Freizeit, was oftmals zu Lasten der Familie/Kinder und des gesamten persönlichen Umfeldes geht. Man wird zudem fast immer auch noch zum Börsen-Phombie und ist kaum noch in der Lage zu entspannen und mal nicht permanent auf das Tablet oder Smartphone zu schauen, was denn die Börse gerade so macht, obwohl man doch seinen Rechner oder Notebook längst ausgemacht hat.

Man schaut Börsenkurse beim Einkaufen, sobald das Auto mal steht oder auch im Kino oder daheim beim Fernsehen, ja selbst nach dem Sex wird nicht mehr eine geraucht, sondern mal kurz geschaut, was der Bitcoin denn so macht. Man kann ja inzwischen sogar aus Apps und mobil Börsenhandel betreiben. Dinge wie Kryptowährungen und CFDs sind sogar nachts und oder am Wochenende handelbar, alles blinkt so schön, man kommt sich fast vor wie in einem Casino in Las Vegas und verhält sich auch recht flott so. Ich kenne kaum Trader, egal ob erfolgreich oder nicht, bei denen nicht so etwas wie ein Suchtfaktor ihr Handeln mitbestimmt. Die dauerhaft erfolgreichen haben diese Sucht weitestgehend unter Kontrolle oder in gewisse automatisierte Bahnen gelenkt, ein Großteil aber erkennt das nicht einmal und lässt sich davon treiben und leiten, mitsamt aller zum Teil oben beschriebenen negativen Folgen.

Ich persönlich habe leider in den letzten zwei Jahrzehnten genauso viele (oder eher mehr) Leute gesehen, die an der Börse zerbrochen sind als das sie damit irgendwie glücklich geworden wären. Die Persönlichkeit änderte sich zum Negativen, Freundschaften, Beziehungen und Ehen zerbrachen und manch einer musste sogar eine Privat-Insolvenz anmelden. Apropos Ehen, nächstes Jahr habe ich noch ein Jubiläum, dann bin ich 30 Jahre verheiratet, es geht also auch anders ;)

Über die Jahre und Jahrzehnte habe ich schon so manch einem die Flausen ausgetrieben, wenn mit völlig utopischen Vorstellungen versucht wurde, als Frischling eine Börsen-Karriere zu starten. Kaum etwas passt da so gut wie das Zitat (ich glaube, es ist von André Kostolany):

"Wie macht man an der Börse ein kleines Vermögen - aus einem großen!".

Ganz gewiss ist aber das Zitat "Ein alter Börsianer kann alles verlieren, nur nicht seine Erfahrung." von ihm. Diese Erfahrungen gebe ich auch gerne an andere weiter (gratis und gegen Bezahlung), was mich u.a. auch zu diesem Artikel hier verleitet hat und in den nächsten Wochen zu einer kleinen Reihe rund um das Thema Börsen/Aktien-Handel für Anfänger und Fortgeschrittene führen wird. Gemeinsam sind viele Dinge einfacher und lassen sich etliche Fehler und Fehlverhalten vermeiden oder eingrenzen, das gilt auch für die Börse. Den Einzelkämpfer kann man später dann ja immer noch geben.

Falls dieser Artikel Ihr Interesse geweckt haben sollte, dann folgen Sie mir doch kostenlos auf Guidants (hier klicken, es öffnet sich ein neues Fenster)!

Zudem bin ich am Montag Abend spontan beim geschätzten Kollegen und "Arbeitstier" Harald Weygand zu Gast beim "Rendezvous mit Harry" (siehe hier!)

Ich wünsche allen Lesern ein schönes Wochenende

Michael Borgmann

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Technischer Analyst und Trader

Als "Kind des Neuen Marktes" kann Michael Borgmann inzwischen auf über 25 Jahre Börsenerfahrung zurückblicken und hat dabei schon früh die Anwendung der Technischen Analyse (Charttechnik) als "Mittel zum Zweck" für sich ausgemacht. Bei seinen Analysen beschränkt er sich nicht nicht auf einzelne wenige Aspekte der Materie, sondern verfolgt einen ganzheitlichen analytischen Ansatz, indem er Candlesticks, Elliott-Wellen, Fibonaccis, die Ichimoku-Methodik und diverse andere charttechnische Hilfsmittel miteinander kombiniert. In der Summe sieht er dadurch die Technische Analyse gegenüber der Fundamental-Analyse im Vorteil, da sie tagesaktuelle Chartdaten auswerten kann und somit einen deutlichen zeitlichen Vorsprung gegenüber der Auswertung zum Beispiel veralteter Quartalszahlen hat. Seit Juli 2015 betreut Michael Borgmann den Premium-Service „Centre Court Börse” (CCB) im stock3 Terminal (vormals: Guidants).

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