Kommentar
18:21 Uhr, 14.12.2023

So hat EZB-Präsidentin Lagarde den DAX abgeschossen

Erst sorgt die US-Notenbank Fed für Euphorie, indem sie drei Zinssenkungen für das kommende Jahr ankündigt. Dann erweist sich EZB-Präsidentin Christine Lagarde als Spaßbremse, weil sie von Zinssenkungen vorerst nichts wissen will.

Was ist passiert? Am Mittwochabend hatte US-Notenbankchef Jerome Powell noch für Euphorie am Aktienmarkt gesorgt. Auch wenn Powell weitere Zinserhöhungen nicht offiziell ausschließen wollte, zeigte der sogenannte Dot Plot der US-Notenbank, in dem die Mitglieder des Offenmarktausschusses (FOMC) ihre individuellen Prognosen abgeben, wohin die Reise geht: Bis Ende 2024 prognostizieren die FOMC-Mitglieder im Mittel drei Zinssenkungen (grüne Markierungen). Zuvor war nur ein Zinsschritt in Aussicht gestellt worden. (Quelle der folgenden Grafik: FOMC).

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Die Marktreaktion am Mittwochabend war eindeutig: Der Dow Jones Industrial Average wurde auf ein neues Allzeithoch katapultiert. Und auch der DAX legte im außerbörslichen Handel auf ein weiteres Rekordhoch zu.

Im Stundenchart des DAX-Future, der börsentäglich von 1.00 Uhr MEZ bis 22.00 Uhr MEZ gehandelt wird, hinterließ der Fed-Zinsentscheid eine "fette grüne Kerze". Am Donnerstag ging es dann im frühen Handel weiter aufwärts, sodass auch der Kassa-DAX gleich in der ersten Handelsstunde am Donnerstagmorgen einen neuen Rekordstand erreichen konnte. Erstmals in der Geschichte ging es knapp über 17.000 Punkte.

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Doch die Euphorie hielt nicht lange. Bereits im vormittäglichen DAX-Handel kam es zu deutlichen Gewinnmitnahmen, die sich dann allerdings am Nachmittag angesichts des EZB-Zinsentscheids noch empfindlich beschleunigten. Kurz und knapp lässt sich der Grund so zusammenfassen: Während die Finanzmärkte inzwischen einpreisen, dass die EZB den Leitzins im kommenden Jahr um insgesamt 1,5 Prozentpunkte senken wird, was sechs Zinsschritten um jeweils 0,25 Prozentpunkte entspricht, wollte Lagarde auf Spekulationen über mögliche Zinssenkungen nicht eingehen. Selbst als die sichtlich von einer Bronchitis infolge einer Corona-Infektion angeschlagene EZB-Präsidentin explizit nach dieser Markterwartung gefragt wurde, wollte sie von bevorstehenden Zinssenkungen nichts wissen. Über Zinssenkungen habe man auch im EZB-Rat nicht gesprochen und die überwiegende Ansicht sei, dass zwischen steigenden und sinkenden Leitzinsen ein längeres Plateau an stabilen Zinsen liegen müsse, sagte Lagarde. Es sei überhaupt nicht an der Zeit, die Wachsamkeit zu verringern. Lagarde betonte, dass man datenabhängig handeln werde und zudem bessere Daten brauche, um ein klareres Bild zu bekommen. Insbesondere schwäche sich die Binneninflation bisher kaum ab, was an weiter steigenden Löhnen liege.

Besonders erschreckend ist aber, dass die EZB trotz der Betonung der Datenabhängigkeit Gefahr läuft, jeglichen Bezug zur Realität zu verlieren, jedenfalls was die Inflation betrifft. Denn zuletzt hat sich die Inflationsrate in der Eurozone bereits von 2,9 % im Oktober auf 2,4 % im November 2023 abgeschwächt. Die EZB prognostiziert nun aber zunächst, dass die Inflation im Dezember wegen Basiseffekten wieder zulegen wird und sich dann 2024 nur in einem "flachen Pfad" abschwächt.

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Konkret rechnet der EZB-Stab in den heute veröffentlichten Prognosen mit einer durchschnittlichen Gesamtinflation von 5,4 % für 2023, 2,7 % für 2024, 2,1 % für 2025 und 1,9 % für 2026. Wohlgemerkt: Im November 2023 hat sich die Inflationsrate bereits auf 2,4 % abgeschwächt, von 2,9 % im Oktober. Würde es entgegen der Erwartungen im Dezember zu einer ähnlichen weiteren Abschwächung im Dezember kommen, wäre Ende 2023 bereits das Niveau erreicht, das die EZB derzeit erst für das Gesamtjahr 2026 erwartet!

Auch wenn die EZB mit einer erneuten Beschleunigung der Teuerung rechnet und selbst wenn die Kerinflation mit zuletzt 3,6 % noch deutlich über dem Ziel von 2 % lag, erscheint es doch äußerst unwahrscheinlich, dass sich die EZB-Prognosen zur Inflation bewahrheiten werden.

Immerhin muss zur Rechtfertigung der EZB erwähnt werden, dass die heute veröffentlichten Prognosen des EZB-Stabs bereits erstellt wurden, bevor die Inflationsdaten für November bekannt waren, was auch EZB-Präsidentin Christine Lagarde betonte. Gleichwohl ist es erschreckend, dass die Inflationsdaten eines Monats, in diesem Fall die Daten für November, dazu ausreichen, die gesamten Prognosen des EZB-Mitarbeiterstabs als unrealistisch erscheinen zu lassen.

Fazit: Während die US-Notenbank Fed am Mittwochabend sich mit ihren Prognosen der Markterwartung angenähert hat, dass die Zinsen im kommenden Jahr deutlich sinken werden, übt sich die EZB vorerst weiter in Realitätsverweigerung. Der Markt rechnet mit sechs Zinssenkungen durch die EZB im kommenden Jahr, während EZB-Präsidentin Christine Lagarde es noch für viel zu früh hält, auch nur an diese Möglichkeit zu denken. Die Marktreaktion folgte auf dem Fuß. Während Fed-Chef Jerome Powell für eine fette grüne Kerze im Stundenchart des DAX-Futures sorgte, löste Lagarde einen heftigen Kursrutsch aus. Kurzfristig könnte nun auch der große Verfall an den Terminmärkten am morgigen Freitag darüber entscheiden, wohin die Reise geht. Mittelfristig ist es äußerst wahrscheinlich, dass die EZB bereits Anfang 2024 eine Kehrtwende signalisieren muss und dann womöglich bereits im März die Zinsen senkt. Die kommenden Monate bleiben spannend, auch mit Blick auf die weiteren Inflationsdaten.

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3 Kommentare

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  • Bernsdorfer
    Bernsdorfer

    Na ja, unsere Regierung hat ja wohl auch dafür gesorgt, dass die Inflation nächstes Jahr nicht gerade nachlässt.

    21:41 Uhr, 14.12.2023
  • tk75
    tk75

    Wie war das noch 2021 ....16.10.2021 — “Inflation is largely transitory,” Lagarde said on Saturday after delivering the ..."🙈🙉

    19:42 Uhr, 14.12.2023
  • Potzblitz
    Potzblitz

    Bisschen viel Emotion im Artikel: „Markt abgeschossen“, „Realitätsverweigerung“…

    Wohl auf dem falschen Fuß erwischt worden? Contenance s‘il vous plaît

    19:11 Uhr, 14.12.2023

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Über den Experten

Oliver Baron
Oliver Baron
Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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