Kommentar
15:08 Uhr, 31.05.2007

Sind die Finanzmärkte heute widerstandsfähiger?

Die Finanzmärkte haben die Krise der Subprime-Hypotheken offensichtlich mit einem Achselzucken abgetan und jetzt wieder Lust auf Risiko. Ganz anders sah es bei der Asienkrise vor zehn Jahren aus, als ein einziges Ereignis in Thailand sich auf die gesamte Region und die aufstrebenden Märkte ausbreitete. Heute ist eine solche Ansteckungswelle anscheinend kein Thema mehr. Ist das ein Zeichen für eine gewisse Selbstgefälligkeit seitens der Investoren, oder ist das System mit der über die letzten Jahre stark gewachsenen Anzahl an Finanzinnovationen einfach widerstandsfähiger geworden?

Es ist durchaus auch möglich, dass die Subprime-Krise noch gar nicht zu Ende ist, denn eine europäische Großbank hat soeben die Schließung ihrer Hedge-Fonds-Abteilung aufgrund von Verlusten in dem Bereich bekannt gegeben. Nichtsdestotrotz hat die Krise nicht ihre vielfach befürchtete Tragweite erreicht. Bevor wir die allgemeinen Implikationen dieser Tatsache für die Märkte näher bewerten, möchten wir einige der Faktoren aufzeigen, warum sich die Subprime-Krise derartig in Grenzen hielt.

Nicht ansteckend: Gründe für die fehlende Ansteckungsgefahr

Erstens, und ganz abgesehen von zweifelhaften Kreditentscheidungen und einem allgemeinen Nachlassen der Bankenstandards, lagen die Probleme bei den Subprime-Hypotheken insofern anders, als hier zinsvariable Hypotheken (ARMs) und Lockzinsangebote (teaser loans) weitaus verbreiteter waren als bei anderen Hypothekenkrediten. Es bestand wenig Grund zu der Annahme, dass erstklassige Kreditnehmer mit Festzinshypotheken bei weitgehend unveränderten Lebensverhältnissen je in Verzug geraten würden.

Ein zweiter Faktor kam verstärkend hinzu, nämlich dass die Auswirkungen der Subprime-Probleme auf die Gesamtwirtschaft als sehr begrenzt angesehen wurden. Subprime-Kreditnehmer sind normalerweise am unteren Ende der Einkommensverteilung angesiedelt, und eine Veränderung ihres Konsum- und sonstigen Verhaltens hat dementsprechend nicht dieselben Auswirkungen auf die Wirtschaft. Die Entwicklungen im Subprime-Bereich werden den Wohnungsmarkt wohl weiterhin belasten, dürften aber nicht eine solche Wirkung auf die Arbeitslosigkeit haben, dass es dadurch zu einer hohen Kreditverlustquote käme.

Drittens waren die erlittenen Verluste nicht hoch genug, um eine generelle Kürzung seitens der Kreditgeber zu verursachen. Abgesehen von der Schließung einiger Subprime-Kreditgeber ist der Bankensektor weiterhin gut kapitalisiert und in der Lage, Kredite zu vergeben. Es sind sogar einige, z. B. Hedge-Fonds, dazugekommen, und Auktionen von Subprime-Schuldtiteln in letzter Zeit waren vollständig durch Investoren gezeichnet. Eine Kreditkrise hat nicht stattgefunden.

Viertens und letztens dürften die Auswirkungen auf andere Sparten auf die Reaktion der Anleiherenditen beschränkt sein. Der ursprüngliche Rückgang der Renditen bedeutete, dass sich einige Kreditnehmer aufgrund der Krise geringere Kosten sichern konnten.

Gesunde Liquidität – und sonst?

Es kann also im Wesentlichen erklärt werden, warum die Subprime-Probleme auf einen spezifischen Bereich beschränkt blieben. Gleichzeitig ist aber auch richtig, dass die Auswirkungen dadurch begrenzt blieben, dass der Finanzsektor in der Lage war, Verluste zu absorbieren und sich wieder auf Risiken einzulassen. Vielleicht geschah dies, weil andere das Problem genauso einschätzten wie wir und die Krise eher als Gelegenheit denn als Signal für allgemeine Kürzungen sahen.

Eine andere Erklärung wäre vielleicht, dass die Resonanz der Investoren ein weiteres Zeichen für die gesunde Liquidität der Finanzmärkte im Allgemeinen ist. In einem Umfeld mit geringerer Liquidität werden eher Konstellationen gesehen, in denen ein Ereignis in einem Bereich aufgrund wachsender Risikoscheu in den Kreditmärkten weit reichende Auswirkungen hat.

Wir meinen, dass die gegenwärtige gesunde Liquidität sowohl durch entsprechende Geldmarkt-Szenarien als auch durch das Sparverhalten untermauert wird. Ein Liquiditätsverlust könnte folglich durch allgemeinen Druck auf die globale Geldpolitik verursacht werden – oder durch einen Rückgang des globalen Überangebots an Spareinlagen oder auch durch eine eventuell sinkende Bereitschaft der asiatischen Zentralbanken, ihre Leistungsbilanzüberschüsse über den US-Treasury-Markt rückzuschleusen.

Eine weitere Möglichkeit, wie Kevin Warsh, Mitglied des FOMC (Offenmarktausschuss des US-Zentralbanksystems) kürzlich ausführte, sei eventuell ein Vertrauensverlust, ausgelöst durch ein geopolitisches Ereignis oder die Wahrnehmung, dass die Leistung der Weltwirtschaft nachlässt.

Wichtig ist hier, dass keiner dieser Faktoren zum Zeitpunkt der Subprime-Krise vorhanden war. Die Volatilität fiel also bald auf ihr vorheriges niedriges Niveau zurück und VAR-Modelle (Value at risk) ließen erkennen, dass die Arbeit weitergehen konnte.

Die Rolle der Derivate: Retter der Menschheit?

Damit ging eine weitere Krise ohne größere Verluste zu Ende. Die entscheidende Frage ist nun, ob die Finanzmärkte bei der Risikoverteilung bereits so versiert sind, dass wir uns jetzt in einem neuen Umfeld befinden, in dem die Weltwirtschaft Schocks leichter verkraftet.

Die Jury berät darüber: Auf der einen Seite sind jene, die alle Innovationen der Finanzmärkte freudig begrüßen. Prof. Robert J. Shiller sagt z. B., er sehe in Derivaten „die Retter der Menschheit“. Und ganz sicher zeigt die Fähigkeit des Marktes, dem Zusammenbruch des Amaranth Hedge-Fonds im Jahr 2006 standzuhalten, sowie die Tatsache, dass es keine größeren Bankenkonkurse gab, dass hohe Verluste durch den breiteren Investorenpool leichter aufgefangen werden können. Andererseits gibt es auch solche, die über den Anstieg des Fremdkapitalanteils, der mit Derivaten implizit verbunden ist, in Sorge sind und die augenblickliche Marktsituation als ein auf uns zu kommendes Unglück sehen, das unvermeidbar ist. Diese Debatte kann nicht ohne weiteres geklärt werden, wir möchten jedoch die folgenden Punkte beleuchten.

Erstens: Die günstigen Umstände, die die Auswirkungen der jüngsten Krise so begrenzt haben, sind nicht unbedingt wiederholbar. Vor allem die Liquidität könnte sinken. Ein spezifisches Ereignis in einem Bereich könnte z. B. vor einem Hintergrund geringeren Vertrauens in die Weltwirtschaft und höherer realer Zinssätze die Märkte stärker beeinträchtigen.

Diesbezüglich barg die Krise des letzten Frühjahrs ein erhebliches Gefahrenpotenzial, wurde sie doch durch Inflationsängste und einer Verschärfung der US-Geldpolitik sowie dem Ende der Nullzinspolitik der japanischen Zentralbank ausgelöst. Dementsprechend gab es Befürchtungen, dass dem Markt die Liquidität entzogen werde, und erst als klar wurde, dass das US-Zentralbanksystem keine Maßnahmen ergreifen würde, erholten sich die Märkte wieder.

Zweitens kann die Subprime-Krise als eine Warnung gesehen werden, dass Risiko nicht angemessen bewertet wird und dass die „Investitionstheorie für Dummköpfe“ in den Markt zurückgekehrt ist. Subprime-Kredite werden verbrieft und an Investoren verkauft, wodurch das Risiko letztendlich nicht mehr auf den Kredit gebenden Banken lastet, die – so kann man argumentieren – keinen großen Anreiz haben, ihre Kreditausfallwahrscheinlichkeit präzise zu beurteilen. Das US-Zentralbanksystem warnte letztes Jahr Kreditgeber davor, ihre Kreditrichtlinien zu lockern, und Kredite bzw. Kreditnehmer wurden eindeutig nicht ausreichend auf ihre Belastbarkeit durch höhere Zinsen überprüft. Die Tatsache der steigenden Zahlungsverzüge und einer gleich bleibende Arbeitslosenzahl legt nahe, dass das Problem auf der Mikro- und nicht der Makroebene lag.

CDOs: die nächste Krise?

Zurzeit weisen viele auf besicherte Schuldtitel (Collateral Debt Obligations, CDOs) als möglichen Auslöser für die nächste Krise hin. Ihr Wachstum, verbunden mit der Angst, dass die Risiken nicht immer allen Beteiligten klar sind, hat dazu geführt, dass der Markt sich gewissen Fragen stellen musste. Aus diesem Grunde hat sich mindestens ein bekannter Investor aus dem Markt zurückgezogen.

Ob eine etwaige CDO-Krise das nächste Großereignis in den Kreditmärkten wird und die Auswirkungen hat, die viele von der Subprime-Krise erwartet hatten, bleibt dahingestellt. Ein gesundes Liquiditätsniveau legt nahe, dass wir optimistisch sein sollten, aber: Wie das Vertrauen kann auch die Liquidität sinken, was zur Folge hätte, dass der Hintergrund für eine künftige Krise längst nicht mehr so günstig wäre wie noch heute.

Quelle: Schroders

Die Schroders-Gruppe ist eine führende internationale Vermögensverwaltungsgesellschaft, die 1804 gegründet wurde. Schroders verwaltet Anlagen für Pensionsfonds, Regierungsbehörden, Wohltätigkeitsorganisationen, Körperschaften, Familienunternehmen und vermögende Privatpersonen weltweit und ist ein führender Verwalter von Investmentfonds. Schroders bietet Anlagen in allen wichtigen Vermögenskategorien in entwickelten Ländern und Schwellenländern an: Aktien, Schuldtitel, Geldmarktinstrumente, Beteiligungen und Immobilien. Das weltweit verwaltete Vermögen betrug zum 31. März 2006 rund 184,2 Mrd. Euro.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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