Kommentar
08:35 Uhr, 08.04.2016

Schwaches Wirtschaftswachstum - warum?

Die Zeichen für solides Wachstum stehen eigentlich gut. Die Geldpolitik ist locker und Verbraucher haben dank niedriger Rohstoffpreise mehr Geld zur Verfügung. Trotzdem tut sich nichts. Die niedrigen Rohstoffpreise scheinen das Wachstum sogar abzuwürgen.

Als die Rohstoffpreise zu kollabieren begannen, freute man sich überall auf der Welt. Es war von einem großen Konjunkturprogramm die Rede. Dank niedriger Rohstoffpreise haben Konsumenten weltweit eine Billionen Dollar pro Jahr mehr zur Verfügung als noch Anfang 2014 . So viel frei verfügbares Geld sollte eigentlich den Konsum anheizen und insgesamt einen positiven Effekt auf das Wachstum haben – hat es aber nicht.

2014 konnte ich mich noch mit der Argumentation anfreunden, dass niedrige Rohstoffpreise einem Konjunkturpaket gleichkommen. Seit längerem teile ich diese Meinung nicht mehr. Fallende Rohstoffpreise haben einen positiven Effekt. Fallen die Preise jedoch zu weit, dann wird der Effekt negativ.

Dass aus einem positiven ein negativer Effekt wird, hängt mit mehreren Faktoren zusammen. Niedrige Rohstoffpreise verlagern Einkommen aus Entwicklungsländern, die für gewöhnlich die Rohstoffexporteure sind, in Industrieländer. Dort tendieren Verbraucher dazu, einen Teil des zusätzlich verfügbaren Einkommens zu sparen. Das geschieht nicht, wenn jeder nur 20 oder 50 Euro mehr zur Verfügung hat. Wenn es jedoch wie in den USA zu einem Betrag von 700 bis 1.000 Dollar pro Jahr reicht, dann ist das anders. Ein zunehmender Teil wird gespart. In Entwicklungsländern wird höheres Einkommen durch höhere Rohstoffpreise für gewöhnlich nicht gespart, sondern ausgegeben.

Das zusätzlich zur Verfügung stehende Einkommen von einer Billionen Dollar wird vermutlich zur Hälfte gespart. Die andere Hälfte, 500 Mrd. Dollar, werden in zusätzlichen Konsum gesteckt. Das wäre noch immer ein positiver Effekt, wenn da nicht die Kürzungen der Rohstoffindustrie wären.

Keiner weiß ganz genau, wie viel an Investitionen bereits gestrichen wurden. Die Schätzungen reichen von 200 bis 400 Mrd. pro Jahr, die nun weniger investiert werden. Das gleicht den zusätzlichen Konsum der Verbraucher beinahe wieder aus. Dazu kommen hunderttausende Jobs, die inzwischen gestrichen wurden. Allein durch die gestrichen Jobs dürften weltweit weitere 20 Mrd. an Konsumausgaben verloren gehen.

Staaten wiederum entgehen hohe Steuereinnahmen. Die zusätzliche Mehrwertsteuer auf Konsumgüter, die eingenommen wird, dürfte die entgangenen Einnahmen aus der Unternehmenssteuer nur teilweise auffangen. Staaten haben dabei das größte Bedürfnis, jeden eingenommenen Dollar oder Euro sofort wieder auszugeben.

Die Problematik hört an dieser Stelle nicht auf, sondern beginnt erst. Niedrige Rohstoffpreise bedingen niedrige Inflationsraten. Auf den ersten Blick hat das wenig mit dem Wirtschaftswachstum zu tun. Auf den zweiten Blick gibt es sehr wohl einen interessanten Zusammenhang. Der Internationale Währungsfonds (IWF) stellte sich Anfang des Jahres ebenfalls die Frage, weshalb die Wirtschaft nicht schneller wächst bzw. wieso es keinen positiven Effekt durch die niedrigen Rohstoffpreise zu geben scheint.

Der IWF sieht einen möglichen Zusammenhang aus niedrigen Zinsen und niedriger Inflation, die auf das Wachstum drücken. Die Inflation ist wegen der Rohstoffpreise niedrig. Die Zinsen wiederum können kaum noch gesenkt werden. Das führte zuletzt dazu, dass die Realzinsen (Zinsen minus Inflation) stiegen.

Muss ein Unternehmen für eine Anleihe z.B. 4 % Zinsen zahlen und liegt die Inflation bei 1 %, dann sind die Realzinsen bei 3 %. Nun ist die Inflation weiter gesunken und liegt in der Eurozone aktuell bei 0 %. Die Realzinsen sind also auf 4 % gestiegen. Je höher die Realzinsen, desto zurückhaltender sind Unternehmen mit Investitionen.

Die EZB versucht dieses Problem zu umgehen, indem sie nun auch Unternehmensanleihen kauft. Sie hofft die Realzinsen trotz niedriger Inflation dadurch wieder senken zu können. Das ist ganz zentral, denn Unternehmen treffen Investitionsentscheidungen nach den Kosten und die Kosten sind nun einmal nicht der nominelle Zinssatz, sondern der Realzins.

Die Grafik zeigt das Investitionswachstum in den USA auf Jahressicht und die Realzinsen. Je tiefer die Realzinsen sind (die Realzinsen sind invertiert dargestellt, sodass die Zeitreihen parallel laufen), desto höher das Investitionswachstum.

Die Investitionen beginnen für gewöhnlich mit einer Verzögerung von 4 bis 6 Quartalen anzuziehen. Die Realzinsen sind um dieses Zeitfenster vorversetzt. Die zeitliche Verzögerung lässt sich dadurch erklären, dass Unternehmen nicht innerhalb von Tagen Investitionsentscheidungen treffen, sondern auf Basis ihrer Erwartung für die kommenden Quartale.

Da viele Unternehmen nach wie vor verunsichert sind dauert es momentan länger als 4 Quartale, um aufgrund des Zinsumfeldes wirklich mehr zu investieren. Der Transmissionsmechanismus der Geldpolitik ist sehr langsam und wegen der niedrigen Inflation und hohen Realzinsen haben Unternehmen einen geringen Anreiz zu investieren.

Eine zurückgehaltene Investitionstätigkeit aufgrund zu niedriger Inflation in Folge niedriger Rohstoffpreise dürften die positiven Effekte des Privatkonsums mehr als wettmachen. Unterm Strich sind die Rohstoffpreise einfach zu niedrig und wirken negativ.

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4 Kommentare

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  • Unbedingt
    Unbedingt

    Mir fallen dazu drei Sachen ein: Erstens die Investoren, sie haben sich daran gewöhnt, das es modern ist, eigenes Kapital möglichst ertragreich anzulegen, für Investitionen aber Kreditmittel einzusetzen. Damit man im Falle einer Pleite nicht ohne was dasteht. Zweitens die normal beschäftigten Konsumenten, Dispokonten und Kreditkartenbesitzer. Die haben sich im Mittel so weit verschuldet, dass sie selber noch das Gefühl haben, alles rechtzeitig zurückzahlen zu können. Mehr wäre gefühlt fahrlässig. Und drittens die ärmeren Teile der Bevölkerung. Die könnten natürlich konsumieren auf Teufel komm raus. Aber die haben nicht das nötige Einkommen und bonibel für Kredite sind sie auch nicht. Bliebe noch der Staat als Ganzes, der macht einen ansehnlichen Außenhandelsüberschuss, den die deutschen Urlauber jeden Sommer gleich wieder im Ausland verpulvern. Im übrigen gibt der Staat sein Geld immer im voraus aus, in der Hoffnung, dass es demnächst als Steuer eingenommen wird. Wenn das nicht klappt, schreibt er Schuldenpapiere aus. Woher soll also das dynamische Wachstum noch kommen. Vielleicht würde es sich lohnen, irgendwo ein Stück Dritte Welt zu annektieren? Die dort lebenden Einheimischen würden das bestimmt nicht bereuen.

    09:16 Uhr, 08.04.2016
    1 Antwort anzeigen
  • Mitdenker
    Mitdenker

    Also ich sehe in Deutschland das Problem der zu hohen Steuern.. Würden die Steuern gesenkt werden, wäre dies ein wahres Konjunkturprogramm....

    08:59 Uhr, 08.04.2016
  • Mitdenker
    Mitdenker

    Ich weiß ja nicht wie es in anderen Ländern aussieht, aber in Deutschland haben die wenigstens mehr Geld zur Verfügung als vorher (trotz fallender Ölpreise und marginal sinkender Benzinpreise)...

    08:59 Uhr, 08.04.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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