Kommentar
09:30 Uhr, 20.10.2016

Schwaches Wirtschaftswachstum? Beklagt euch nicht!

Vielen ist einfach nur zum Heulen zumute: das Wachstum ist zu gering, Inflation gibt es nicht, die Arbeitslosenrate stagniert usw. Wie schlecht ist die Lage aber wirklich?

Notenbanker, Politiker und Bürger jammern. Sie jammern, weil nichts mehr so ist wie es einmal war – vor der großen Krise 2008. Man sehnt sich nach den guten alten Zeiten zurück, in denen das Wirtschaftswachstum noch auf der Straße lag, die Arbeitslosigkeit gering war, Inflation die Schulden automatisch beseitigte und die Zinsen positiv waren. Eigentlich geht es uns also richtig schlecht.

Wie gut es einem Land geht, ist eine Frage der Relation. Im Gegensatz zu den Vorkrisenjahren geht es vielen Ländern tatsächlich schlechter. Selbst in den USA, wo die Arbeitslosigkeit bei 5 % liegt, gibt es Grund für Klagen. Das Wachstum pendelt um den Bereich von 2 %. Das ist weit unterhalb des Wachstums, welches die USA in früheren Jahren auswies. Es lag mit 3 % ungefähr 50 % höher.

Alle Welt sehnt sich nach der Zeit vor der Krise zurück und alle arbeiten darauf hin. Die Notenbanken lassen die Druckerpressen heiß laufen. Politiker würden am liebsten Konjunkturprogramme aufsetzen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat, doch das alles scheint nicht zu helfen. Und so bleibt es bei dem unangenehmen Gefühl, dass früher alles besser war.

Das ist natürlich Ansichtssache. Konkret geht es darum, was „früher“ überhaupt bedeutet. Für viele ist „früher“ vor der Krise, genau genommen die Zeit von 2002 bis 2007. Für viele ist es fast unbegreiflich, doch es gibt auch eine Zeit vor diesen goldenen Jahren. Diese Jahre waren sogar noch besser. Grafik 1 zeigt das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens für einige ausgewählte Länder im gleitenden 10-Jahresdurchschnitt. Grafik 2 zeigt weitere Länder und das Wachstum für die Welt.

Man kann gut erkennen, dass die wirklich goldenen Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden haben. Durch den Wiederaufbau, unterstützt durch den Marshall Plan, gelangen der westlichen Welt und Japan ein Wirtschaftswunder. Das Pro-Kopf-Einkommen wuchs teilweise im zweistelligen Bereich. Wer in Italien im Jahr 1946 zu arbeiten begann, konnte sein Einkommen bis 1951 verdoppeln. In den Niederlanden ging das noch schneller und zwar bis 1949.

Nach den ersten Jahren nach dem Krieg ging das Wachstum wieder etwas zurück, doch es war noch immer möglich, sein Einkommen innerhalb von 15 Jahren zu verdoppeln. Der aktuellste Verdopplungszyklus hat ganz andere Dimensionen. Deutschland brauchte die vergangenen 40 Jahre, um dieses Wunderwerk herbeizuzaubern. In Italien waren es 50 Jahre, in Großbritannien waren es „nur“ 35 Jahre und im Durchschnitt für die ganze Welt waren es 40 Jahre.

Es geht heute alles etwas langsamer. Nimmt man an, dass das Wachstum der letzten Zeit so anhält, dann verlängert sich die Zeit der Einkommensverdopplung noch weiter. Deutschland bräuchte 60 Jahre, um die Einkommen real zu verdoppeln, Italien gleich 90 Jahre. Im weltweiten Durchschnitt sind es 55 Jahre. Das man da jammert, ist verständlich.

Blickt man noch ein paar Jahre weiter zurück, dann stellt man jedoch fest, dass eine Einkommensverdopplung innerhalb von 55 Jahre gar nicht so schlecht ist. In Italien dauerte es von 1800 bis 1929, um die Einkommen zu verdoppeln. Schweden war mit 91 Jahren nicht besonders viel schneller. Den Rekord stellten jedoch die USA mit 78 Jahren auf.

Man kann es also auch so zusammenfassen: die Welt wächst heute sehr viel langsamer als nach dem Zweiten Weltkrieg, sie wächst aber noch immer schneller als in den vielen Jahrzehnten und Jahrhunderten davor. Soll man sich darüber nun beklagen?

Clemens Schmale

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5 Kommentare

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  • Gone Fishing
    Gone Fishing

    Ohne eine Gegenüberstellung zur Entwicklung der Steuern und Abgaben (=Netto verfügbares Einkommen) und der Preisniveaus/ realen Lebenshaltungskosten ist es völlig irrelevant wie sich die Einkommen entwickeln.

    Steuern/Abgaben sind viel zu hoch, der gesamte Staatssektor ist proportional viel zu gross geworden um ein vernünftiges Wirtschaftswachstum noch zu erlauben. Leider ist der Weg über Steuererhöhungen viel einfacher zu gehen als über die Kürzung der Verwaltungsausgaben des Staates (siehe auch Krisenländer). Leider ist selbst der IMF nicht in der Lage Rechnungen aufzustellen in denen es heisst 5% Mehrwertsteuersenkung = +3% Wirtschaftswachstum, nach 3 Jahren und 9% Wachstum höhere Steuereinnahmen als zuvor, bei höherem Wohlstand für die Gesamtbevölkerung.

    20:32 Uhr, 20.10.2016
  • shark
    shark

    Auszug aus einem Beitrag von Daniel Stelter,bei W-O vom 4.9.2015

    Jetzt starten die Helikopter..

    Wir befinden uns in einer Art „Endspiel“: Der Kampf jedes gegen jeden hat begonnen, und

    die Helikopter kommen zum Einsatz. Doch zuerst der Reihe nach: Die Schulden der Welt wachsen seit Jahrzehnten viel schneller als die Wirtschaftsleistung. Die Dimensionen sind gewaltig, wie die Unternehmensberatung McKinsey im Frühjahr 2015 vorrechnete. Demnach sind die Schulden von Staaten (9,3 Prozent p. a.), privaten Haushalten (2,8 Prozent p. a.) und Nicht-Finanzunternehmen (5,9 Prozent p. a.) seit 2007 weltweit weiterhin drastisch und immer noch schneller als die Wirtschaft gewachsen. Dabei haben Unternehmen ungefähr im selben Maße neue Schulden wie im Zeitraum von 2000 bis 2007 gemacht, private Haushalte deutlich weniger (vor der Krise waren es 8,5 Prozent pro Jahr) und die Regierungen deutlich mehr (bis 2007 „nur“ 5,8 Prozent pro Jahr). Letztere haben damit die geringere Neuverschuldung der privaten Haushalte und die damit wegfallende Zusatznachfrage durch eigene Schulden kompensiert. Das geht auf Dauer nicht gut.

    Während Schmale sagt- Beklagt euch nicht :_)))

    11:36 Uhr, 20.10.2016
    1 Antwort anzeigen
  • shark
    shark

    Sie sollten mal einen Verdopplungszyklus zu den Schulden darstellen.!!

    Entwicklung der Schulden seit 2000 im Verhältnis zur realen Einkommensentwicklung bzw zum BIP

    Können sie am Bsp Japan oder Deutschland oder USA machen- dann werden sie zu interessanten Ergebnissen kommen! die ihrer Grundaussage gewaltig widersprechen.

    10:35 Uhr, 20.10.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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