Kommentar
10:05 Uhr, 11.09.2015

Scheitert China an sich selbst?

Die Lage in China ist weniger düster als viele glauben. Das kann sich ändern, denn die chinesische Führung ist schlichtweg überfordert.

China betreibt seit Jahrzehnten eine weltweit einzigartige Wirtschaftspolitik. Lange Zeit wurde diese von vielen mit Neid und Staunen zur Kenntnis genommen. Jetzt, nach jahrelangem Erfolg, zeigen sich die Schattenseiten der Politik. China begibt sich auf unbekanntes Territorium und hat nicht die geringste Ahnung, was es tut.

Die chinesische Führung arbeitet seit langem auf eine Öffnung hin. Der Wille zur Öffnung ist da, doch der Weg dorthin ist lang und steinig. Wie steinig der Weg ist, das zeigten die letzten Wochen. Die Öffnung kann allerdings nicht rückgängig gemacht werden, im Gegenteil, sie muss weiter voranschreiten.

Chinas Wirtschaft macht inzwischen 15% der Weltwirtschaftsleistung aus. Mit einer solchen Größe ist es nicht mehr möglich die Wirtschaft komplett abzuschotten und Wachstum über immer größere Exportvolumina zu generieren. Dafür ist die Wirtschaft inzwischen einfach zu groß. Das hat die Führung erkannt und hat drei Direktiven ausgegeben.

Zu allererst soll die rein export- und damit produktionsorientierte Wirtschaft gewandelt werden. Der private Konsum soll an Bedeutung gewinnen. Die absurd hohe Sparquote von bis zu 50% muss sich dafür reduzieren. Eine andere Wahl bleibt dem Land nicht, wenn es an Wohlstand gewinnen will. Allein über Exporte lässt sich das Wachstum nicht aufrechterhalten. Will China allein durch höhere Exporte um 10% wachsen, dann müssten die Exporte von derzeitigen 2,5 auf 3,5 Billionen steigen. Wer in der Welt soll aber zusätzliche Produkte im Wert von einer Billionen US Dollar abnehmen? Kurz gesagt, wenn die Chinesen nicht mehr von dem kaufen, was sie selbst produzieren, dann kann das Wachstum bald zum Erliegen kommen.

Die zweite Direktive gibt vor, dass China nicht nur mehr produzieren und davon konsumieren soll, sondern dass China den Dienstleistungsbereich ausbauen muss. Auch das ist ein guter Plan. Je höher der Dienstleistungsanteil an der Wirtschaftsleistung, desto resistenter wird die Wirtschaft gegen externe Schocks.

Welche Dienstleistungen will China aber anbieten, die auch über die Grenzen hinweg Wert schaffen? – Diese Frage beantwortet die Führung mit der Öffnung des Marktes. China soll unter anderem ein Finanzzentrum werden. Das geht natürlich nur, wenn der Kapitalmarkt einigermaßen offen ist. Davon ist China noch ein ganzes Stück entfernt.

Trotz der „Öffnungsdirektive“ als dritten Schwerpunkt tut sich China gerade damit besonders schwer. Das liegt unter anderem daran, dass Peking überhaupt nicht weiß, was es tut.

Das Land hat schon jetzt Probleme mit den Folgen einer dosierten Öffnung umzugehen. Der Markt wird ein klein wenig mehr geöffnet. Die Konsequenzen überraschen die Führung aber anscheinend so sehr, dass sie zunächst wieder ein Stück zurückrudert. So geschah es etwa mit der kurzzeitigen Freigabe des Wechselkurses in seiner maximal zulässigen täglichen Handelsrange.

Der Währung wurde erstmalig erlaubt die tägliche Handelsspanne auch tatsächlich auszuschöpfen. Nach zwei Tagen war damit wieder Schluss, denn die Währung verlor ungebremst an Wert. Nach zwei Tagen war mit der Liberalisierung nicht nur Schluss, sie wurde auch rückgängig gemacht.
Seit der Abwertung interveniert die chinesische Notenbank in Milliardenhöhe, um den Yuan wieder zu stärken. Das soll Spekulanten davon abhalten auf einen weiter fallenden Yuan zu wetten. Dafür ist es nun vermutlich schon zu spät. Die Kapitalflucht hat begonnen und dieser kleine Schritt der Liberalisierung hat alles nur noch viel schlimmer gemacht.

Die Notenbank und die Regierung kämpfen gegen den Abwertungsdruck des Yuan. Dafür wird eine Fülle an Regulation aufgelegt. Chinesische Bürger dürfen pro Jahr nicht mehr als 50.000 USD ins Ausland schaffen. Viele umgehen diese Begrenzung, indem sie jedes Familienmitglied, das sich nur irgendwie auftreiben lässt, herankarren und je 50.000 USD ins Ausland schaffen lassen.

Dieser Praxis wird nun begegnet, indem Banken, die solche Vorgehen nicht aufdecken und unterbinden, mit Strafen belegt werden. Alle Transaktionen, bei denen es um mehr als eine Mio. Dollar geht – ob aus privaten oder geschäftlichen Gründen – müssen separat geprüft und genehmigt werden. Ohne die Zustimmung Pekings geht da gar nichts mehr.

Unternehmen konnten das bis vor kurzem noch umgehen, indem sie Dollar Forwards kauften, also ein Termingeschäft abschlossen. Das lässt sich durchaus begründen. Ein Unternehmen kann ja sinnvollerweise heute schon Dollar zu einem festen Preis erwerben, wenn es weiß, dass es in einem Jahr Waren in USD bezahlen muss.

Solche Argumente und Geschäfte konnten genutzt werden, um Dollar zu kaufen und Yuan zu verkaufen. Das macht jetzt keinen Sinn mehr, da für diese Termingeschäfte 20% des zugrundeliegenden Wertes bei der Zentralbank hinterlegt werden muss. Diese Reserveanforderung wird zu 0% verzinst. Entsprechend unattraktiv sind solche Deals.

Privatunternehmen, die Geldtransfers vorbei an den Banken ins Ausland anbieten, sind ohnehin illegal, wurden jedoch von Chinesen ausgiebig genutzt, um Dollar zu kaufen. Dagegen wird nun konsequenter vorgegangen, um jeglichen Kapitalabfluss, der auch nur entfernt an Währungsspekulation erinnert zu unterbinden.
China hat einen Schritt vor gemacht, indem es dem Yuan einen etwas weiteren Handel erlaubte. Die Führung war dann allerdings offensichtlich so überrascht, wohin das führt, dass jetzt massiv gegengesteuert wird. Es wird anscheinend nach einer Öffnung ohne Öffnung getrachtet. Wie diese Alchemie funktionieren soll, bleibt offen.

Es nutzt auch wenig den Festland Yuan durch große Interventionen wieder aufwerten zu lassen. Der in Hong Kong gehandelte Offshore Yuan, der etwas freier als die Währung auf dem Festland gehandelt werden kann, notiert zu einem Discount von ein bis zwei Prozent gegenüber der Festlandwährung.

Das eine Währung zwei Wechselkurse hat ist nicht ganz ungewöhnlich. In allen Ländern, die keinen freien Kapitalverkehr haben, gibt es so etwas. Problematisch ist das für Länder wie Venezuela auch, allerdings kann es den Politikern mehr oder minder egal sein, da sie nicht das anstreben, was China will. China will seine Währung als Reservewährung anerkannt haben. Eine Währung, die zwei Wechselkurse hat, dürfte jedoch kaum als frei konvertierbar gelten – eine Voraussetzung für die Anerkennung als Reservewährung.

China hat sich alles andere als einen Gefallen getan. Um weitere Kapitalflucht zu verhindern muss die Notenbank intervenieren. Dabei kauft sie Yuan und verkauft Dollar. Die Stützungskäufe verringern nun jedoch effektiv die zur Verfügung stehende Yuan Liquidität. Das schadet der Wirtschaft, die eigentlich über Zinssenkungen und sonstige Lockerungsmaßnahmen stimuliert werden soll. Solange die Zentralbank den Yuan kaufen muss, verpufft die Lockerung an anderer Stelle.

Die Notenbank kann nicht die Geldpolitik lockern und den Yuan stabil halten. Das ist nur in sehr begrenztem Ausmaß möglich. Das mögliche Ausmaß ist vermutlich zu gering, um der Wirtschaft zu helfen. Effektive Lockerung ist nur möglich, wenn die Notenbank den Yuan abwerten lässt. Das wiederum unterstützt Kapitalflucht, ebenfalls ein Vorgang, der Yuan Liquidität knapper werden lässt. Die Notenbank kann sich für das geringere Übel entscheiden, wenn sie nur wüsste, welches das kleinere Übel ist.

Chinesen, Unternehmen und Spekulanten dürften weiterhin Yuan verkaufen. Die Zentralbank und Regierung beteuern zwar, dass nun keine weitere Abwertung folgt, doch wer glaubt das noch nach dem Interventionsdesaster auf dem Aktienmarkt? Wenn die Führung den Aktienmarkt nicht in den Griff bekommt, dann dürfte sie erst recht auf dem Devisenmarkt scheitern. Zugegeben, die Notenbank hat 3,6 Billionen USD an Devisenreserven und damit sehr viel Geld für Interventionen zur Verfügung, doch muss sie davon einen nennenswerten Teil einsetzen, dann verkrüppelt dies die Yuan Liquidität auf dem Festland.

Die große Gefahr besteht nun darin, dass China die Öffnung nicht in den Griff bekommt. Sie sind die ersten Schritte gegangen und haben damit etwas angestoßen, was sich vielleicht nicht mehr aufhalten lässt. Das wäre ein Desaster und der Ausgangspunkt eines weltweiten Abschwungs. Die Kosten die Öffnung um einige Jahre zurückzustellen, sind zu hoch und würden das Wachstum in China abwürgen. Eine langsame Öffnung scheint nicht zu funktionieren. Die Führung kann das nur versuchen. Geht das schief, dann brennt nicht nur das Dach. Die Zeichen, dass die langsame Öffnung schief gehen könnte, mehren sich. Gut möglich, dass Peking einfach zu lange gewartet hat und jetzt einfach aufgrund der schieren Größe des Devisenmarktes nicht mehr in der Lage ist eine langsame Öffnung durchzuführen.

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5 Kommentare

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  • Peter Zumdeick
    Peter Zumdeick

    ... in China wachsen die Bäume halt auch nicht in den Himmel.

    Irgendwann normalisiert sich alles ...

    20:51 Uhr, 11.09.2015
  • Chronos
    Chronos

    Die Leitwährung ist halt mal der USD.

    Solange kann man auch gerne eine amerikanische und damit weibliche Grundhaltung einnehmen.

    "Einer muss Schuld sein, ich bin es nicht!" Am A....

    Ich blabbere das nach was mir Goldman Sucks vorbetet und schiebe die Schuld auf andere.

    Wie es aktuell Japan mit China macht.

    Die ganzen stories über China unterscheiden sich in dt. Medien doch inhaltlich nicht von Greece.

    Der intermare Keil war doch der Handel mit Edel und Rohstoffen aus der EU heraus in Landeswährung ohne Umweg USD.

    Russland könnte es hinbekommen, gibt ja auch keine dt. AG für die sich die Notierung an US Börsen ausgezeichnet oder gar gelohnt hat. Das wussten wir zum Glück schon vorher.

    14:24 Uhr, 11.09.2015
  • Wolfi81
    Wolfi81

    Mir ist nicht klar, was China gegen die Abwertung haben sollte. Das Ziel der meisten anderen, insbesondere Japan + EU ist doch ganz offensichtlich Abwertung. Einer derart exportlastigen Wirtschaft hilft diese doch, vor allem da der Yuan auf lange Sicht aufgewertet hat.

    11:41 Uhr, 11.09.2015
    1 Antwort anzeigen
  • Simon Age
    Simon Age

    Clemens, an dieser Stelle mal ein Danke für die regelmäßigen, fundamental immer hilfreichen Artikel. Das schafft Mehrwert ;)

    10:31 Uhr, 11.09.2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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