Kommentar
13:08 Uhr, 21.08.2007

Rohöl: Stürmische Zeiten?

1. Die durch die Subprime-Krise in den USA ausgelösten aktuellen Turbulenzen an den Finanzmärkten ziehen freilich auch an den Rohstoffmärkten nicht ganz spurlos vorbei. Es werden derzeit auch den Rohstoffmärkten Finanzmittel entzogen, sodass durch Liquidierung die Preise teilweise nachgegeben haben. Dies dürfte aber nur der kurz- bzw. mittelfristige Effekt sein, insbesondere wenn sich die Finanzmarktkrise wieder beruhigt. Nur im Falle einer merklich nach unten revidierten Konjunkturprognose für die großen Industrieländer könnte die Nachfrage nach Rohstoffen auch längerfristig schwächer ausfallen und so für Preisrückgänge sorgen. Eins ist aber klar: Die Rohstoffmärkte sind noch nervös. Auffallend ist, dass sich in diesem Abwärtssog an den Finanzmärkten der Rohölpreis derzeit recht stabil hält, wenngleich dessen Volatilität seit Ende Juli stark zugenommen hat. Ein preisstützender Faktor für den Ölpreis war jüngst der erste Hurrikan der Saison im Golf von Mexiko, „Dean“, der sich in Richtung mexikanische Küste bewegt. Zwar befinden sich die Ölanlagen hauptsächlich nördlicher im Golf von Mexiko, sodass „Dean“ mit hoher Wahrscheinlichkeit kaum Schäden in diesem Bereich anrichten wird, jedoch hat er die Hurrikanangst der Marktteilnehmer wieder aus dem Tiefschlaf geweckt.

Seit Anfang August befinden wir uns in der hochaktiven Phase der Hurrikansaison im Golf von Mexiko, die noch bis Ende Oktober andauert. Das vergangene Jahr war zwar extrem ruhig aus Sicht der Hurrikans, aber „Dean“ ruft die Bilder der verheerenden Hurrikanschäden des vorletzten Sommers in den USA – auch an den US-Raffinerien und Ölplattformen – wieder in die Erinnerung der Marktteilnehmer. Die Ängste wurden durch die Analyse der US National Oceanic Atmospheric Administration (NOAA) neu entfacht, die nach revidierten Angaben im August für die Hurrikansaison 2007 eine über Normalniveau liegende Aktivität mit einer Wahrscheinlichkeit von 85 % voraussagte – im Mai waren es nur 75 % gewesen.

Trotz der aktuellen Turbulenzen und Marktunsicherheiten ist der Rohölpreis derzeit nach unten fundamental gut abgesichert. Die Nachfrage ist insbesondere über die Produktseite recht kräftig. Es ist offensichtlich, dass die hohen Öl- und Benzinpreise die Nachfrage bislang nicht nachhaltig negativ beeinflusst haben. Die US-Amerikaner fragen seit Jahresanfang ca. 1,5 % mehr Rohöl und Benzin nach als im Vorjahr. Aus der unteren Abbildung ist die überdurchschnittlich starke Benzinnachfrage ersichtlich, mit der wir uns am oberen Rand der Spanne von 2000-2006 bewegen. Die grau schraffierten Wochen zeigen die Sommerreisezeit (Driving Season) an. Den Höhepunkt der Benzinnachfrage haben wir im Jahresverlauf aber bereits hinter uns gelassen. Zugleich tendiert das weltweite Angebot an Rohöl allenfalls seitwärts. Der Output der nicht-OPEC-Länder ist seit einigen Monaten rückläufig, allen voran sinkt die Produktion in Großbritannien, Norwegen und Mexiko. Die OPEC-Länder produzieren in der Tendenz unveränderte Rohölmengen.

Wie wirkt sich nun vor diesem Hintergrund die Hurrikansaison auf die Rohölpreisentwicklung aus? In der folgenden Abbildung sieht man eindeutig, dass bereits im Vorfeld der großen Wirbelstürme, ab Juli, das hohe Risiko durch massive Preissteigerungen in den Markt eingepreist wird. Da die Mehrzahl der Hurrikans in der Regel in die Monate August bis Oktober fällt, ist eine Vorwegnahme des Risikos durch Preissteigerungen ab Ende Juli sinnvoll zu erklären. So stieg der Ölpreis im Jahr 2005 vom ersten größeren Wirbelsturm „Dennis“ Anfang Juli bis zur Ankündigung von „Katrina“ am 28. August um gut 5 US-Dollar auf 65 Dollar an. Ohne das Hurrikanrisiko wäre der Ölpreis wohl den Sommer über bei ca. 60 Dollar geblieben. Im direkten Gefolge der Hurrikans „Katrina“ und „Rita“ gab es dann nochmals einen Anstieg um gut 5 Dollar, der jedoch trotz der enormen Schäden schnell wieder eingesammelt wurde.

Auch im vergangenen Jahr wurde im Juli eine Hurrikanprämie von ca. 5 US-Dollar eingepreist. Wir nehmen an, dass sich der Ölpreis im Sommer 2006 ohne das Hurrikanrisiko bei ca. 70 US-Dollar bewegt hätte, dem Niveau, auf dem er sich in den Monaten Mai und Juni eingependelt hatte. Da die Hurrikans im Sommer 2006 jedoch ausgeblieben sind, kam es recht schnell wieder zur Auspreisung dieses Risikos.

Im Jahr 2007 ist das Ausgangsniveau für die Einpreisung des Hurrikanrisikos nicht so klar sichtbar, weil nach den niedrigen Preisen des überdurchschnittlich milden Winters 2006/07 die komplette erste Jahreshälfte 2007 durch starke Rohölpreisanstiege gekennzeichnet war. Diese sind jedoch als Korrektur des übertriebenen Ölpreisrückgangs im Winter zu sehen. Die Angst vor den Hurrikans wurde aber auch in diesem Jahr ab Juli mit einem Preisanstieg von knapp 5 US-Dollar eingepreist. In dieser Zeit erreichte die Netto-Long-Positionierung der nicht-kommerziellen Händler an der New York Mercantile Exchange sogar Rekordniveaus. Eine nachhaltige Auspreisung dieses Risikos dürfte ab Mitte Oktober eintreten, wenn sich die Hurrikansaison dem Ende zuneigt.

Im Folgenden untersuchen wir drei Szenarien zur Entwicklung des Ölpreises der Sorte WTI bis Ende 2007, die alle vom wahrscheinlichsten Ausgang einer Beruhigung der aktuellen Finanzmarktturbulenzen und einer Beibehaltung unserer aktuellen Konjunkturprognosen ausgehen. Die Szenarien unterscheiden sich jedoch in den Annahmen bezüglich des Ausmaßes der Hurrikanschäden.

Basisszenario

2. Als das Wahrscheinlichste aller drei Szenarien betrachten wir das Basisszenario. Angebotsseitig besteht eine große Gefahr durch den potenziellen Ausfall von Ölplattformen oder Ölraffinerien im Zuge von Verwüstungen durch Hurrikans. Die Bilder des Sommers 2005 – insbesondere die Schäden durch „Katrina“ und „Rita“ – sind noch nicht vergessen. Mit einer 85 %-igen Wahrscheinlichkeit erwartet uns auch dieses Jahr eine überdurchschnittlich aktive Hurrikansaison. Diese Nachricht ist per se nicht so alarmierend, wie es zu nächst klingt, da wir es bereits seit 1995 mit Hurrikansaisons von überdurchschnittlicher Aktivität zu tun haben – wir sind also bereits „abgehärtet“. Das Ausmaß der Schäden muss weder mit der Anzahl der Hurrikans noch mit deren Stärke eng zusammenhängen. Im Vergleich zum vergangenen Jahr, in dem es 5 Hurrikans gab, sind die Vorhersagen für dieses Jahr mit 7-9 Hurrikans jedoch ein wenig stärker. Für das Basisszenario treffen wir die Annahme, dass lediglich ein größerer Hurrikan in bedeutendem Ausmaß Ölraffinerien oder Ölplattformen im Golf von Mexiko beschädigt, im Gegensatz zu 2006, als beinahe gar keine Hurrikanschäden zu beklagen waren, und im Gegensatz zum Jahr 2005, als sowohl der Wirbelsturm „Katrina“ Ende August große Schäden an US-Raffinerien als auch der Hurrikan „Rita“ Ende September Verwüstungen an USÖlplattformen angerichtet hatten.

Wir rechnen mit einem Anstieg des Ölpreises nach einem schweren Hurrikan um ca. 5 US-Dollar. In der Spitze dürften wir den Ölpreis im dritten Quartal also bei knapp 80 US-Dollar sehen. Alles in allem ergeben sich für den Durchschnitt des dritten Quartals 73 US-Dollar. Im vierten Quartal, nach Ende der Driving Season und der Hurrikansaison, bildet sich der Ölpreis wieder zurück und erreicht einen Quartalsdurchschnitt von 70 US-Dollar.

Positivszenario

3. Immerhin besteht eine 10 %-ige Wahrscheinlichkeit für eine normal starke Aktivität der Hurrikans in diesem Sommer. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 5 % wird sie sogar unter Normalniveau bleiben. Im Positivszenario nehmen wir an, dass kein starker Tropensturm Ölraffinerien oder Ölplattformen im Golf von Mexiko in nennenswertem Ausmaß beschädigen wird. Angebotsseitig erwarten wir im Positivszenario demnach keine Einschnitte. Für das dritte Quartal prognostizieren wir unter diesen Umständen tendenziell eine Seitwärtsbewegung des Ölpreises von ca. 70 US-Dollar, also leicht unter seinem jetzigen Niveau. Die ruhigen Sommermonate dürften die Nervosität im Markt insgesamt verringern. Auch kommt es zu keinen Ausfällen von Ölförderungs- und Weiterverarbeitungsanlagen. Somit rechnen wir in diesem Szenario für das vierte Quartal mit einem stärkeren Rückgang der Rohölpreise auf durchschnittlich 66 US-Dollar.

Negativszenario

4. Obwohl die NOAA explizit nicht davon ausgeht, dass die traurigen Hurrikanrekorde des Sommers 2005 wiederholt werden, besteht dennoch die Gefahr, dass mehr als zwei Tropenstürme auf stark besiedeltes Land bzw. auf einige große Ölförderungs- bzw. Ölweiterverarbeitungsanlagen im Golf von Mexiko treffen. Im Negativszenario gehen wir von einer hyperaktiven Hurrikansaison aus, in der die Tropenstürme mindestens so viel Schaden anrichten wie im Jahr 2005. Vor diesem Hintergrund führt zunächst die Einpreisung des Risikos im Vorfeld des Höhepunkts der Hurrikanaktivität (August bis Oktober) zu höheren Ölnotierungen. Nach dem Eintreffen der großen Tropenstürme wird der Ölpreis dann erneut kräftig nach oben schießen. Im Negativszenario wird der Ausfall von Ölproduktions- und Weiterverarbeitungsanlagen erheblich und von Dauer sein. Daher sehen wir den Ölpreis für den Durchschnitt des dritten Quartals im Negativszenario bei 76 US-Dollar, wobei in der Spitze Werte um 85 US-Dollar erreicht werden können. Die Beseitigung der Schäden wird sich hinziehen, und die Unsicherheit wird die Ölmärkte länger begleiten, sodass der Preisrückgang nach der Driving Season und der Hurrikansaison relativ schwach ausfallen wird. Der Ölpreis dürfte dann im Durchschnitt des vierten Quartals bei 73 US-Dollar verharren.

Fazit

5. Im Durchschnitt des dritten Quartals dürfte die Notierung für WTI 73 US-Dollar betragen. Die Risikospanne sehen wir bei 71 bis 76 US-Dollar. In der Spitze können nach verheerenden Hurrikans sogar Werte bis zu 85 US-Dollar erreicht werden. Nach der Driving Season und der Hurrikansaison wird der Ölpreis im vierten Quartal wieder rückläufig sein. Wie stark er zurückgeht, hängt davon ab, wie viel Unsicherheit und Nervosität dann noch im Markt verbleibt und wie viel Ölförder- und Produktionskapazitäten für welchen Zeitraum ausgefallen sind. Im Basisszenario gehen wir davon aus, dass der Ölpreis im Durchschnitt des vierten Quartals auf 70 US-Dollar sinkt. Die Risikospanne liegt zwischen 66 und 73 US-Dollar. Aufgrund der aktuellen Marktturbulenzen und der bislang nur schwer einschätzbaren Folgen scheinen jedoch die Risiken nach unten derzeit zu überwiegen.

Alles in allem ist die Angst vor dreistelligen Ölpreisen für dieses Jahr unberechtigt. Ebenso wenig werden aber die Hoffnungen auf Ölpreise dauerhaft unter 65 US-Dollar erfüllt. Die Grundeinschätzung im Ölmarkt wird weiterhin von der Tatsache bestimmt, dass die freien Produktionskapazitäten im historischen Vergleich relativ niedrig sind und die Nachfrage relativ stark steigt. Hinzu kommen die bereits erwähnten Unsicherheiten und eine Menge spekulativer Handelsaktivität. Solange sich daran nichts grundlegend ändert, wird der Ölpreis auch mittelfristig hoch bleiben.

Quelle: DekaBank

Die DekaBank ist im Jahr 1999 aus der Fusion von Deutsche Girozentrale - Deutsche Kommunalbank- und DekaBank GmbH hervorgegangen. Die Gesellschaft ist als Zentralinstitut der deutschen Sparkassenorganisation im Investmentfondsgeschäft aktiv. Mit einem Fondsvolumen von mehr als 135 Mrd. Euro und über fünf Millionen betreuten Depots gehört die DekaBank zu den größten Finanzdienstleistern Deutschlands. Im Publikumsfondsgeschäft hält der DekaBank-Konzern einen Marktanteil von etwa 20 Prozent.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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