Fundamentale Nachricht
10:06 Uhr, 04.03.2019

Quo vadis Aktienmärkte?

Das Kurs-Gewinn-Verhältnis ist dem Aktien-Chef von Degroof Petercam Guy Lerminiaux derzeit nur bedingt als Indikator geeignet.

Brüssel (GodmodeTrader.de) - Der Schlussmonat 2018 stellte bisherige Verhaltensweisen der Aktienmärkte auf den Kopf. Normalerweise sorgt die Weihnachtsrally für steigende Kurse, weil viele Investoren noch gezielt Aktien mit einer guten Wertentwicklung zum Jahresende ins Portfolio aufnehmen. Stattdessen verpasste der Dezember Anlegern weltweit einen gehörigen Dämpfer, wie Guy Lerminiaux, CIO für die fundamentale Aktienanalyse bei Degroof Petercam AM, in einem aktuellen Marktkommentar schreibt.

Nicht nur in Europa und Japan sowie in China hätten die Marktturbulenzen die Notierungen nach unten gedrückt. An der Wallstreet sei es sogar der schlechteste Dezember seit 1931 gewesen. Das neue Jahr habe das Investorenvertrauen bislang jedoch zurückkehren lassen. Die europäischen Aktienindizes Stoxx 50 und DAX zum Beispiel hätten ihre Dezemberverluste bislang weitgehend wett machen können, heißt es weiter.

Was auf den ersten Blick zwar positiv wirke, sorge bei vielen Aktieninvestoren für Ratlosigkeit. „Oft steht die Frage im Raum, ob sich Aktien bereits in einem Abwärtstrend befinden und Rücksetzer wie der am Jahresende 2018 überhaupt noch einmalige Gelegenheiten für den Einstieg oder die Aufstockung von Aktienpositionen darstellen“, fasst Lerminiaux die Lage zusammen.

Um die zukünftige Richtung der Aktienmärkte einzuschätzen, könnten einerseits saisonale Regelmäßigkeiten untersucht werden, wie zum Beispiel der sogenannte Januar-Effekt. Doch die Vergangenheit habe gezeigt, dass die Januarentwicklung nicht immer ein verlässlicher Indikator für den weiteren Jahresverlauf der Kurse gewesen sei. Andererseits ließen sich zur Beurteilung von Aktienbewertungen Kennzahlen heranziehen, wie zum Beispiel das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) - die wahrscheinlich von Finanzanalysten und -strategen am meisten verwendete Kennzahl, heißt es weiter.

Diese sei zwar sehr hilfreich in Trendmärkten, doch habe sie ein bedeutendes Manko. Guy Lerminiaux verweist darauf, dass an Wendepunkten im Konjunkturzyklus die meisten Unternehmen, Analysten und Strategen dazu neigen, den Trend der zugrundeliegenden Gewinne zu dem Zeitpunkt zu extrapolieren, an dem dieser seine Richtung ändert. „Daher sendet das KGV häufig falsche Signale – und zwar zu pessimistische, wenn sich die Markt- und Wirtschaftsentwicklung im Tal befindet, und zu optimistische in der Nähe von Konjunkturgipfeln. Da sich der derzeitige Zyklus seinem Endstadium nähert, ist das KGV somit wahrscheinlich wohl nicht das beste Instrument“, gibt der Aktienstratege zu Bedenken.

Um die Aktienbewertungen breiter zu analysieren, sei es sinnvoller, entweder die Extrapolation des Gewinns pro Aktie zu vermeiden oder eine Kennzahl zu verwenden, die in den letzten Jahren an Beliebtheit gewonnen habe und auf Robert Shiller, Wirtschaftsprofessor an der Yale University, zurückgehe. Der Nobelpreisträger habe das zyklisch bereinigte Kurs-Gewinn-Verhältnis entwickelt, das nach ihm benannte ‚Shiller-KGV‘. Diese Bewertungskennzahl sei definiert als der Aktienkurs dividiert durch die durchschnittlichen Gewinne der vergangenen zehn Jahre und bereinigt um die Inflation. Einfach ausgedrückt berücksichtige sie die Gewinne über einen ‚vollständigen‘ Konjunkturzyklus, um die Zyklizität von Gewinn-Kennzahlen herauszunehmen und eine übermäßige Extrapolation in die Zukunft zu vermeiden, heißt es weiter.

„Allerdings hat auch das Shiller-KGV sein Manko“, betont Guy Lerminiaux. „Es würde im nächsten Jahr automatisch leicht zurückgehen, weil die schlechten Gewinn-Ergebnisse von 2009 aus dem zehnjährigen Zeitfenster herausfallen. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Gewinnerwartungen für die kommenden Jahre in einem Umfeld schwächeren Wachstums übermäßig optimistisch.“

Untersuche man das Shiller-KGV in den drei Hauptregionen USA, Eurozone und Japan, sei die Kennzahl nach einem langen Anstieg seit 2016 abrupt im letzten Quartal 2018 gekippt. Bei relativer Betrachtung seien die Bewertungen in den USA immer noch höher als die in der Eurozone und Japan. Gemessen an ihrer eigenen historischen Entwicklung seien die USA ebenso wie die Eurozone (26 Prozent bzw. 23 Prozent über ihrem Durchschnitt) weiterhin recht teuer, heißt es weiter.

Lerminiaux zufolge sollten Anleger gegenüber europäischen und US-amerikanischen Aktienmärkten langfristig eine gewisse Vorsicht walten lassen. Selbst nach den jüngsten Kursrückgängen seien diese Märkte immer noch nicht billig. Ohnehin seien Rezessionsgefahren dort noch gar nicht eingepreist. Demgegenüber erscheine Japan fairer bewertet und ist daher unter diesem Gesichtspunkt interessanter, heißt es weiter.

Das Gewinnwachstum in Europa sei über die vergangenen zehn Jahre enttäuschend gewesen, und es gebe keine unmittelbaren Anzeichen dafür, dass sich dieses Bild in absehbarer Zeit zum Besseren wende. „Das bedeutet aber nicht, dass Europa außer Acht gelassen werden sollte, sondern vielmehr, dass aktives Management bei europäischen Aktien von entscheidender Bedeutung ist, um annehmbare zukünftige Renditen zu generieren“, sagt der Aktien-Chef bei Degroof Petercam AM.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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