Kommentar
13:20 Uhr, 02.02.2015

Preiswerteres Öl: Ein klarer Vorteil

Wenn man seine Meinung zu Themen zum Ausdruck bringen möchte, die bereits ausführlich diskutiert worden sind, ist man oftmals versucht, eine außergewöhnliche und einzigartige Perspektive zu bieten. Man möchte einen Blickwinkel finden, den bisher so noch niemand berücksichtigt hat, und anschließend ein Fazit daraus ziehen, das am besten so kompliziert ist, dass nur Expertenwissen sowie eine sehr komplexe Analyse zu dieser Schluβfolgerung führen konnten. Nun, diesmal bin ich froh, das Offensichtliche darlegen zu dürfen. Und offensichtlich ist für mich, dass die jüngste Halbierung des Ölpreises für die Weltwirtschaft die mit Abstand beste Nachricht seit langem ist.

Aber ist die Sache nicht eigentlich komplizierter? Nicht wirklich. Es trifft zwar zu, dass diese Entwicklung nicht für jede Volkswirtschaft ein Grund zum Jubeln ist. Vielmehr ist sie für einige Regionen – wie beispielsweise die Ölförderer Russland und Norwegen – sogar eine ganz eindeutig schlechte Nachricht. Und selbst in der restlichen (rohstoffverbrauchenden) Welt wird es noch eine Weile dauern, bis sich die Auswirkungen der niedrigeren Ölpreise auch im allgemeinen Wirtschaftsumfeld widerspiegeln. Darüber hinaus gibt es derzeit weltweit eine Vielzahl anderer Faktoren, die beträchtliche Risiken darstellen. Diese Faktoren könnten bei den Wirtschaftsdaten, der Stimmungslage sowie an den Märkten ausgeprägte Schwankungen auslösen, bis die positiven Effekte der deutlich niedrigeren Rohstoffpreise letztlich zum Tragen kommen.

Meiner Meinung nach dürfte aber kein Zweifel daran bestehen, dass Unternehmen und Verbraucher auf globaler Ebene dadurch in den Genuss einer massiven Steuersenkung gekommen sind – und zwar nicht nur deshalb, weil Öl als industrieller Rohstoff oder als Benzin an der Zapfsäule preiswerter geworden ist, sondern in Form insgesamt niedrigerer Kosten und einer damit höheren Kaufkraft. Es müssten schon viele wirklich negative Entwicklungen eintreten, um diesen Effekt wieder zunichte zu machen. Dabei liefern uns die mittelfristigen Fundamentaldaten überhaupt keinen Grund zu der Annahme, dass irgendetwas wirklich dermaßen schieflaufen könnte. Deshalb ist es meiner Einschätzung nach auch nur eine Frage der Zeit, bis sich das Positive zeigt, und letztlich wird das Ergebnis ziemlich eindeutig ausfallen – auch wenn es der Weg dorthin vielleicht nicht ist.

Preiswertem Öl kann gelingen, woran die politischen Entscheidungsträger möglicherweise gescheitert sind

Wenn es aber tatsächlich so offensichtlich ist, dass die Aussichten für das Weltwirtschaftswachstum dadurch einen ordentlichen Schub erhalten haben, warum gehen die Renditen von Staatsanleihen aus den Kernländern dann noch weiter zurück (und sind in vielen Fällen sogar negativ), während die Risikoprämien an den Aktienmärkten nach wie vor hoch sind?

Die jüngste Senkung der IWF-Prognose für das Weltwirtschaftswachstum in diesem sowie im nächsten Jahr spricht für eine grundlegende Veränderung der allgemeinen Einschätzungen – ein Trend, der bereits in den letzten Monaten zu beobachten war. So scheint das weltweit größte Problem derzeit darin zu bestehen, dass die Menschen immer noch nicht an ein robustes, nachhaltiges Wachstum glauben. Darüber hinaus haben sie offenbar auch das Vertrauen in die Bereitschaft oder aber in die Fähigkeit von Politikern und Notenbankern verloren, daran etwas zu ändern. Augenscheinlich setzt sich also allmählich die Auffassung durch, dass die politischen Entscheidungsträger nicht zeitnah bzw. nicht aggressiv genug reagiert haben und der Transmissionsmechanismus zwischen geldpolitischen Ankurbelungsmaßnahmen einerseits und der Realwirtschaft andererseits gescheitert ist. Im Gegensatz zu Regionen wie den USA, wo die Konjunkturerholung recht geradlinig verläuft, ist diese Einschätzung in Wirtschaftsräumen wie der Eurozone, die in den Jahren seit 2008 von einer zweiten Welle der Finanzkrise erfasst worden sind, besonders weit verbreitet.

Vielleicht ist diese Auffassung ja auch korrekt, denn letztlich sind die Notenbanken seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise für die Kontrolle von immer mehr Faktoren in die Verantwortung genommen worden. Deshalb ist es durchaus nachvollziehbar, dass sie diesen Anforderungen nicht gerecht worden sind. Möglicherweise hat der Transmissionsmechanismus ja auch deshalb nicht wie erhofft funktioniert, weil die Banken diese zusätzliche Liquidität nicht in Form von Krediten an Unternehmen und Verbraucher weitergegeben haben. Vielleicht sind die Märkte aber auch einfach zu ungeduldig. Schließlich lehren uns die Grundlagen der Ökonomie, dass geldpolitische Maßnahmen in der Realwirtschaft immer erst mit einer gewissen Verzögerung ankommen. Unabhängig davon könnte der Einbruch des Ölpreises aber problemlos genau jenes Ziel erreichen, das die politischen Entscheidungsträger schon die ganze Zeit anpeilen – die wirtschaftliche Vertrauenslage zu verbessern, indem die Menschen mehr Geld in der Tasche haben, das sie ausgeben und investieren können. Der Transmissionsmechanismus ist in diesem Fall wesentlich simpler, obwohl wir trotzdem davon ausgehen sollten, dass er erst verzögert Wirkung zeigen wird. Dies war bereits in früheren Fällen zu beobachten, in denen das Wirtschaftswachstum nach einem Einbruch des Ölpreises erst verspätet wieder angezogen hat (siehe beispielsweise die Phase Ende der 1980er Jahre in der nachfolgenden Grafik).

Geduld und Perspektive

Das Problem besteht darin, dass man diese Verzögerung momentan vielleicht etwas zu kurzsichtig betrachtet. Bisher haben die Marktteilnehmer lediglich miterlebt, wie es an einem wichtigen Finanzmarkt zu einer enormen Preisanpassung gekommen ist. Die Folge war ein Schock, der zunächst einmal Ängste vor einer drohenden, allgemeinen Instabilität ausgelöst hat. Das Tempo und das Ausmaß des Preisverfalls beim Öl haben angesichts einer bereits fragilen Stimmungslage nur noch für weitere Verwirrung gesorgt. Deshalb kam es in den letzten Wochen auch immer wieder zu kurzen Phasen, in denen der Markt absurderweise zu der Auffassung gelangt zu sein schien, dass der niedrigere Ölpreis für Staatsanleihen positiv und für Aktien negativ sei.

Die volkswirtschaftlichen Daten, die in den letzten Monaten vorgelegt worden sind, liefern aber keinen triftigen Grund für die Auffassung, dass der niedrigere Ölpreis die Folge eines schwächeren Wachstums ist. Trotzdem scheint unter anderem der IWF davon auszugehen, dass geringere Investitionen (aufgrund der Erwartungen der Unternehmen auf ein mäßigeres Wachstum) die positiven Effekte deutlich niedrigerer Ölpreise wieder mehr als zunichte machen werden. Doch auch für eine solche Sichtweise liefern die Wirtschaftsdaten keinerlei Anhaltspunkte. Die Indikatoren zum Verbrauchervertrauen machen sogar einen zunehmend erfreulichen Eindruck. So deuteten die jüngsten Ergebnisse des US NFIB Small Business Optimism-Indikators darauf hin, dass kleinere US-Unternehmen mittlerweile wieder genauso zuversichtlich sind wie im Jahr 2000 – und seinerzeit waren sie ziemlich optimistisch.

Im Gegensatz dazu argumentieren die Ölpreis-Pessimisten, dass unmittelbare Kreditprobleme im Öl- und Gassektor einen umgehenden Zusammenbruch der Investmentaktivitäten in diesem Segment zur Folge haben werden, der dann auch auf andere Branchen übergreifen wird. Schaut man sich jedoch die Bewertungen von Unternehmensanleihen während der letzten 12 Monate an, so stellt man fest, dass sich die Zinsdifferenzen in den meisten Sektoren zwar leicht ausgeweitet haben, die „Explosion“ der Spreads im Energiesektor ist aber etwas völlig anderes.

In Wirklichkeit hat sich die Lage in den meisten Segmenten, die nicht unmittelbar mit dem Energiesektor zusammenhängen, bisher nicht wesentlich verändert. Deshalb gibt es auch keinerlei Anzeichen dafür, dass der Markt einen Ansteckungseffekt befürchtet. Vielmehr habe ich den Eindruck, dass die jüngste Senkung der Prognosen für das Weltwirtschaftswachstum eher einer allgemeineren Risikoscheu geschuldet sind – und dieser Stimmungsumschwung hatte bereits eingesetzt, noch bevor der Ölpreis für jene Schlagzeilen sorgte, die jedermann in der Folge den Wertschwankungen an den Aktienmärkten zuschrieb. Betrachtet man nämlich die auf längere Sicht fehlende Korrelation zwischen dem Ölpreis und der Entwicklung der Aktienindizes an Börsenplätzen wie China und Deutschland (bei denen Öl nur einen kleinen Anteil hat) so kann man nicht von Sorgen um die Weltwirtschaft sprechen.

Meiner Meinung nach spiegelt sich in den aktuellen Reaktionen eher pessimistisch gestimmter Kommentatoren das Trauma von 2008 wider, das in den Köpfen der Anleger haften geblieben ist. Es sind also die Kraft der Erinnerung sowie unbewusste Assoziationen, die die Menschen in Unruhe versetzen. Die Lehre, die wir aus der Krise von 2008 gezogen haben, ist die, dass Illiquidität ein Risiko darstellt. Wenn die Aktienmärkte also entgegen aller Vernunft nachgeben, bricht Panik aus, und es werden höhere Risikoprämien für eine vermeintliche Illiquidität verlangt. Nach einem Schock wie einer Halbierung des Ölpreises innerhalb von nur wenigen Monaten stoßen die Investoren dann im Affekt alles ab, was sie nur irgendwie loswerden können, und ignorieren dabei alle anderen Aspekte – abgesehen von ihrer mittlerweile tiefsitzenden Angst vor Illiquidität. Diese derartige Reaktion stellt kein wohlüberlegtes Urteil darüber dar, was ein Preisverfall beim Öl bedeutet. Vielmehr wird der Blick der Anleger in diesem Zusammenhang durch einen allgemeinen Pessimismus getrübt, den die vielen Turbulenzen des letzten Jahres im Hinblick auf unterschiedlichste kurzfristig wirksame Faktoren hervorgerufen haben. Für mich ist der Gedanke, dass beispielsweise etwas schwächere Wirtschaftsdaten in Japan für die mittelfristigen Weltwirtschaftsaussichten von größerer Bedeutung sein könnten als ein 50-prozentiger Rückgang des Ölpreises, absolut unlogisch. Allerdings ist es wie üblich interessant zu beobachten, wie stark die Reaktionen der Investoren variieren können – je nachdem, zu welchem Zeitpunkt sie bestimmte Faktoren wahrnehmen.

Fazit

Es ist also sehr schwierig, rational zu argumentieren, dass der Einbruch des Ölpreises etwas anderes als eine gute Nachricht ist. Die Faktenlage spricht dafür, dass das Problem der Weltwirtschaft derzeit nicht in einem lediglich mäßigen Wachstum, sondern vielmehr in der fehlenden Zuversicht liegt, die Unternehmen und Verbraucher davon abhält, mehr auszugeben bzw. mehr zu investieren. Dieses Problem haben die politischen Entscheidungsträger bisher noch nicht lösen können. Ein deutlicher Rückgang des Ölpreises könnte ihnen diese Aufgabe aber letztlich abnehmen. Es wird jedoch noch einige Zeit dauern, bis die Auswirkungen der gesunkenen Preise auch wirklich spürbar werden. Bis dahin dürften andere Faktoren dazu beitragen, dass die Märkte ausgeprägte Wertschwankungen verzeichnen, zumal die Anleger die düsteren Erinnerungen an 2008 immer noch nicht abgeschüttelt haben. Wir müssen also damit rechnen, dass eine Zinsanhebung in einem Land wie den USA an den Finanzmärkten zunächst einmal heftige Turbulenzen auslösen wird, obwohl auch eine solche Entwicklung eher für eine Verbesserung als für eine Verschlechterung des konjunkturellen Umfelds sprechen würde. Es ist zwar durchaus möglich, dass nach dem jüngsten Rückgang des Ölpreises nun keine so große Notwendigkeit mehr besteht, die Zinsen zu erhöhen, um dadurch den Inflationsdruck niedrig zu halten. Im Endeffekt dürfte die Wahrscheinlichkeit für eine Zinsanhebung durch diesen Preisverfall aber sogar noch gestiegen sein, weil es für die Weltwirtschaft die beste Gelegenheit seit Jahren ist, für positive Wachstumsüberraschungen zu sorgen.

Falls das Wachstum tatsächlich überraschend positiv ausfallen sollte, halte ich die mittelfristigen Aussichten von Aktien zwar für viel versprechend, erwarte jedoch heftige Schwankungen. Die jüngste Halbierung des Ölpreises sollte Aktieninvestoren aber eigentlich ermutigen, sofern sie geduldig sind und ihre Investments solange halten, bis die positiven Effekte der gesunkenen Preise zum Tragen kommen. Abgesehen davon ist aber auch die Selektion bei Aktien von sehr großer Bedeutung. So wäre ich bei Engagements in Vermögenswerten, die durch den Rohstoffsektor unmittelbar beeinflusst werden, im Moment sehr vorsichtig. Außerdem müssen wir uns im Klaren sein über die Bandbreite der Möglichkeiten, wie Rohstoffpreise in nächster Zukunft tendieren könnten. So können wir nicht einfach nur davon ausgehen, dass die Preise irgendwann wieder auf ihr früheres Niveau zurückkehren werden. Denn eines ist in den letzten Jahren immer deutlicher geworden: Die Vorstellung, dass es für alles eine Art vorbestimmtes Gleichgewicht gibt, ist mit Vorsicht zu genießen. Die vielen unterschiedlichen Szenarios, die im Hinblick auf die meisten Entwicklungen mittlerweile denkbar sind, legen vielmehr nahe, dass es an den Finanzmärkten sowie bei den Wirtschaftsaussichten nur wenig gibt, das wirklich unkompliziert und eindeutig ist. Abgesehen davon, dass preiswertes Öl für das Wirtschaftswachstum gut ist.

Autor: Dave Fishwick, Leiter des Bereichs Macro and Equities Investment bei M&G Investments

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