Kommentar
06:34 Uhr, 10.08.2016

Paradox? Produktivität sinkt - Lebensstandard steigt!

Notenbanken warnen davor, dass sinkendes Produktivitätswachstum das Wirtschaftswachstum begrenzt und zu einem stagnierenden Lebensstandard führt. Genau das Gegenteil könnte jedoch der Fall sein.

In den USA, aber auch in anderen Teilen der Welt (Japan, EU) mangelt es an Investitionen

Sowohl Unternehmen als auch Privathaushalte investieren seit Jahren wenig. In den USA sinken die Investitionen inzwischen seit mehreren Quartalen. Das ist zu erheblichen Teilen auf die Ölpreisschwäche zurückzuführen. Allein der Ölsektor hat Dutzende Milliarden an Investitionen aufgeschoben oder gleich ganz gestrichen.

Es allein auf den Ölsektor zu schieben führt jedoch nicht weit. In den meisten Industrien kommt es zu einer nachlassenden Investitionstätigkeit. In der Folge schwächt sich das Produktivitätswachstum langsam aber sicher ab. Gestern veröffentlichte das US Arbeitsministerium Daten zum Produktivitätswachstum im zweiten Quartal 2016. Die Produktivität wuchs nicht, sondern fiel zum dritten Mal in Folge. Grafik 1 zeigt diesen Rückgang der Produktivität (als Index dargestellt) sowie den engen Zusammenhang zu den Investitionen.

Auf längere Sicht ist die Korrelation nicht immer ganz so eindeutig und schön wie in dem Zeitraum 2009 bis 2016. Grafik 2 zeigt das Produktivitäts- und Investitionswachstum im gleitenden Zehnjahresdurchschnitt. Der Zusammenhang ist noch immer gut zu erkennen, die Korrelation bleibt auch hoch, doch phasenweise kommt es zu Abweichungen. So stieg das Produktivitätswachstum bis 2005 stark an, obwohl sich das Wachstum der Investitionen knapp 10 Jahre zuvor bereits abzuschwächen begann.

Wie man es dreht und wendet, es kommt immer auf dasselbe hinaus: Ohne Investitionen kein Produktivitätswachstum

Das Produktivitätswachstum schwächt sich bereits seit vielen Jahren ab und ist nun in einigen Ländern, wie auch den USA, negativ. Notenbanken und Ökonomen blicken mit Sorge auf diese Entwicklung.

Es geht bei dieser Sorge nicht nur darum, dass das Wirtschaftswachstum geringer ausfällt als es ausfallen könnte, sondern auch um den Lebensstandard. Produktivität beschreibt ja nichts weiter als die Menge an Output, die durch Arbeit in einer bestimmten Zeit erreicht werden kann. Wird pro Arbeitnehmer immer weniger produziert, dann stehen auch weniger Produkte zur Verfügung, die verkauft werden können und für die Arbeitnehmer entlohnt werden.
In der Theorie führt steigende Produktivität dazu, dass mehr produziert wird und Arbeitnehmer entsprechend mehr verdienen. Vereinfacht ausgedrückt sollte es so sein: der Output steigt um 10 % und der Lohn steigt ebenfalls um 10 %. In der Praxis ist das nicht der Fall. Seit den 70er Jahren kam es zu einem deutlich langsameren Lohn- als Produktivitätswachstum. Es wurde also mehr produziert, doch die Löhne stiegen nicht im gleichen Ausmaß.

Die Reallöhne stagnierten oder sanken über viele Jahre hinweg. Das war auch bis vor kurzem in Deutschland der Fall. Wird immer mehr produziert, ohne dass die Löhne steigen, dann findet die Mehrproduktion irgendwann keine Abnehmer mehr. Bis zur Finanzkrise wurde dies gelöst, indem Konsumenten auf Kredit kauften.

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Nun lässt sich der Konsum nicht mehr auf Kredit finanzieren. In der Folge konnte sehr viel mehr produziert als abgenommen werden. Es kam zu Überkapazitäten. Diese können nur auf zwei Arten abgebaut werden: entweder sinken die Produktionskapazitäten oder die Löhne steigen schneller als die Produktivität.

Letzteres sehen wir gerade. Mehr Menschen kommen in Arbeit und verdienen real mehr. Dadurch können sie sich mehr leisten und die Überkapazität über einen längeren Zeitraum abbauen.

Es kommt so paradoxerweise gerade durch sinkende Produktivität zu einem Reallohnanstieg. Mittelfristig sollte man die sinkende Produktivität daher nicht verteufeln. Langfristig, wenn die Überkapazitäten erst einmal abgebaut sind, sieht es anders aus. Wird chronisch zu wenig investiert, kann es langfristig zu Engpässen und einem rasanten Anstieg der Inflation kommen. Dann sind die Reallohngewinne auch schnell wieder weg.

Lesen Sie dazu auch: Steigen die Zinsen auf sehr lange Sicht nicht mehr?

Clemens Schmale

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6 Kommentare

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  • Schnutzelpuh
    Schnutzelpuh

    Tja, die Amis haben´s schon drauf! Da macht ihnen keiner was vor.

    17:46 Uhr, 10.08. 2016
  • Löwe30
    Löwe30

    "In der Theorie führt steigende Produktivität dazu, dass mehr produziert wird und Arbeitnehmer entsprechend mehr verdienen. Vereinfacht ausgedrückt sollte es so sein: der Output steigt um 10 % und der Lohn steigt ebenfalls um 10 %. In der Praxis ist das nicht der Fall."

    Nach der Theorie der neoklassischen Ökonomie stimmt das zwar, aber die Theorie ist halt falsch.

    Ohne Notenbanken und deren Inflationierung des Geldes, könnten sich nämlich die Arbeitnehmer bei steigender Produktivität auch ohne Lohnerhöhung, also für den gleichen Lohn, mehr für ihre Einkommen aus Arbeitnehmertätigkeit leisten, weil die Güter, die produziert werden billiger werden. Wegen der Inflationierung des Geldes, durch die Geldpolitik der Notenbanken, wird dieser Wohlstands Gewinn (höhere Lebensqualität durch steigende Produktivität) zunichte gemacht und die Arbeitnehmer müssen höhere Löhne erkämpfen, das gelingt immer erst später und auch nicht immer in dem Maß, wie die Produktivität zunimmt.

    Die beschriebenen Abweichungen sind ganz wesentlich durch die falschen Theorien, nach denen die Notenbanken ihre Geldpolitik betreiben, verursacht.

    Dazu kommt noch, dass in den letzten Jahrzehnten die Steigerungen der Produktivität nur dadurch zustande kam, dass Güter aus Ländern mit niedrigem Lohnniveau importiert wurden. In diesen Ländern steigt der Wohlstand und damit die Löhne. Das führt zu geringerer Steigerung der Produktivität, denn in den entwickelten Ländern steigen die Kosten durch Steuern und Abgaben schneller als das BIP. Das beeinträchtigt die Produktivität negativ.

    13:56 Uhr, 10.08. 2016
  • Mitdenker
    Mitdenker

    Paradox, Krisen ohne Ende auf der Welt und die Indizes steigen... Hätte es so vor 4 Jahren nicht gegeben. Also was ist an den Märkten mittlerweile schon normal....

    10:22 Uhr, 10.08. 2016
  • Gone Fishing
    Gone Fishing

    Das Wachstum kann/soll ja auch nicht endlos weitergehen. Als Modell hat man sich nur daran gewöhnt. Eine Stabilisierung auf hohem Niveau, nach 50 Jahren eines nie dagewesenen Fortschritts durch EDV/Automatisierung/Internet wäre angesichts der rückläufigen Geburtenraten in den Industrieländern nur angebracht. Eine Wissens-und Freizeitgesellschaft mit mehr Zeit für einander, für Kinder, Ältere und Bedürftige, mit weniger Umweltbelastung durch Produktion und Entsorgung ist erstrebenswert und langfristig auch als alternatives Vorbild zur Wachtums/Konsumgesellschaft wünschenswert.

    Die gesamte Welt (China, Indien, Afrika usw.) mit Ihren begrenzten Ressourcen könnte gar nicht auf dem (zu hohen) Niveau der heutigen Industrienationen überleben.

    Dagegen stehen sich selbst erhaltende Staatsapparate die ins unendliche weiterwachsen wollen/müssen (Abbau funktioniert nicht) aber parallel durch zu hohe Steuern, zu viele Auflagen genau das Gegenteil nämlich eine Schrumpfung/Stagnation verursachen.

    Die sich anbahnende Alternativlösung - wie schon so oft in der Geschichte der Menschheit - ist Krieg.

    10:17 Uhr, 10.08. 2016
  • netzadler
    netzadler

    "Nun lässt sich der Konsum nicht mehr auf Kredit finanzieren. In der Folge konnte sehr viel mehr produziert als abgenommen werden. Es kam zu Überkapazitäten. Diese können nur auf zwei Arten abgebaut werden: entweder sinken die Produktionskapazitäten oder die Löhne steigen schneller als die Produktivität.

    Letzteres sehen wir gerade. Mehr Menschen kommen in Arbeit und verdienen real mehr. Dadurch können sie sich mehr leisten und die Überkapazität über einen längeren Zeitraum abbauen."

    moin allerseits,

    der beschriebene Status führt aber in summe zur abnahme der Profite des kapitals, da es auch immer eine Sparquote > 0 gibt. habe aber irgendwo gelesen, dass die gewinne in summe wieder steigen sollen (ich selbst glaube das nicht).

    dazu kommt die minderwertige Qualität des arbeitsplatzaufbaus, oftmals prekäre Jobs oder blasenökonomien (Immobilien, Autos, Luxus, Tourismus).

    ein Nachfrageüberhang wird in der Breite so schnell nicht wieder vorkommen, dafür ist die gier zu groß. das wird man höchstens noch bei Innovationen sehen.

    07:22 Uhr, 10.08. 2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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