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12:13 Uhr, 19.09.2023

Ost-Ausschuss: Deutscher Osthandel überraschend robust

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones) - Die Herausforderungen für deutsche Unternehmen in Mittel- und Osteuropa sind derzeit angesichts von Ukraine-Krieg und massiv verschärfter Wirtschaftssanktionen so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr - der deutsche Osthandel ist aber "überraschend robust". Das hat der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft festgestellt. "Wir beobachten eine tiefgreifende Neuordnung unserer Wirtschaftsbeziehungen mit und in der Region", sagte die neue Ost-Ausschuss-Vorsitzende Cathrina Claas-Mühlhäuser bei der Herbstpressekonferenz des Verbands in Berlin. "Die positive Botschaft ist: Die deutsche Wirtschaft ist mit ihren Investitionen und Partnerschaften weiterhin in der Pole Position in unseren Partnerländern. Diese wollen wir verteidigen."

Dies zeigten große Projekte mit deutscher Beteiligung etwa in Zentralasien und der Ukraine sowie die robuste Entwicklung im deutschen Osthandel. "In den ersten sieben Monaten 2023 sind die deutschen Exporte in die 29 Länder des Ost-Ausschusses um knapp 2 Prozent auf 161 Milliarden Euro gestiegen", sagte Claas-Mühlhäuser. "Der starke Einbruch der Exporte nach Russland um fast 40 Prozent konnte also kompensiert werden." Zum positiven Exportergebnis trugen laut dem Verband insbesondere Länder wie Rumänien, Ungarn, die Slowakei, einzelne zentralasiatische Staaten, aber auch die Ukraine bei. Die deutschen Einfuhren aus der Region sanken demnach vor allem aufgrund geringerer Energieimporte um 7 Prozent auf 156 Milliarden Euro.

Ganz oben auf der Prioritätenliste stehe die Unterstützung für den Wiederaufbau der Ukraine. "Die Ukraine braucht unbedingt bereits heute Entwicklungsperspektiven für ihre Wirtschaft", betonte Claas-Mühlhäuser. Die meisten deutschen Unternehmen seien trotz des Krieges geblieben, und einige planten konkrete Neuinvestitionen in Windkraftanlagen, Saatgutproduktion oder Baustoffindustrie. Jüngste Verbesserungen bei Export- und Investitionsgarantien des Bundes lobte die Verbandschefin als "sehr wichtigen Fortschritt". Es mangele aber noch an Versicherungen für den Transport von Waren und für die Absicherung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in die Ukraine reisten.

Deutsch-russischer Handel eingebrochen 

Während sich in der Ukraine trotz der Kriegssituation Geschäftschancen für deutsche Unternehmen eröffneten, verliere Russland als Wirtschaftspartner dramatisch an Bedeutung. "Die Entflechtung vom russischen Markt verläuft in hohem Tempo", konstatierte Claas-Mühlhäuser. "Unter den deutschen Handelspartnern weltweit ist Russland binnen eines Jahres von Rang 14 auf Rang 36 abgerutscht." Im Vergleich zum Vorjahr sei der deutsch-russische Handel in den ersten sieben Monaten 2023 um 27 Milliarden Euro auf nur noch 8,4 Milliarden Euro gesunken - ein Minus von 76 Prozent.

Die große Mehrheit der deutschen Unternehmen habe ihre Geschäfte in Russland weit über die Sanktionsbestimmungen hinaus heruntergefahren oder ziehe sich zurück, obwohl die russische Regierung den Rückzug ausländischer Unternehmen immer mehr erschwere. "Viele Unternehmen sind aber an vertragliche Verpflichtungen gebunden und können nicht einfach den Markt verlassen, ohne sich und ihre lokalen Mitarbeiter strafbar zu machen", betonte Claas-Mühlhäuser. Sie warnte vor einer Diskriminierung von Unternehmen, die ihre Geschäfte fortführten. "Wir beobachten mit großer Sorge, dass Unternehmen in eine Ecke gestellt werden, wenn sie noch in Russland tätig sind."

Der Ost-Ausschuss trete dafür ein, Aktivitäten in bewusst nicht sanktionierten Wirtschaftssektoren wie dem Gesundheitswesen, der Landwirtschaft oder der Lebensmittelversorgung aufrechtzuerhalten. Das bedeute auch, dass nicht alle Zahlungskanäle nach Russland geschlossen werden dürften. "Ein kompletter Rückzug europäischer Banken, wie unlängst von der EZB gefordert, hätte dramatische Folgen für alle ausländischen Unternehmen", warnte die Verbandsvorsitzende.

Angesichts des tiefgreifenden Wandels in den Wirtschaftsbeziehungen und neuer Lieferkorridore von China über Zentralasien und den Südkaukasus nach Südosteuropa forderte der Ost-Ausschuss zudem mehr Tempo bei der EU-Integration der östlichen Nachbarn und ein stärkeres europäisches Engagement in Zentralasien. Im Kampf gegen Sanktionsumgehungen unterstütze der Verband den Kurs der Europäischen Union, zunächst mit diplomatischen Initiativen und Angeboten für die Länder im Südkaukasus und in Zentralasien Schlupflöcher zu schließen.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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