Fundamentale Nachricht
14:31 Uhr, 21.02.2022

Optimismus auf dem Prüfstand

Die Wirtschaft sei schneller als erwartet in den späten Zyklus übergegangen, sagt Emiel van den Heiligenberg, Head of Asset Allocation bei Legal & General Investment Management (LGIM). Er bleibt optimistisch für Aktien, wird aber taktischer als bisher.

„Wir haben unseren Ausblick für das erste Quartal gerade erst veröffentlicht, und doch haben wir in diesem Jahr bereits einige große Bewegungen erlebt: den Anstieg der US-Renditen um mehr als 40 Basispunkte allein im laufenden Jahr; den Einbruch der Aktienmärkte um fast zehn Prozent, dann innerhalb von drei Tagen eine Erholung um fünf Prozent und ein erneutes Absinken.

Die Inflation hat uns überrascht. Unsere Prognose lag bereits über der allgemeinen Erwartung, und sie wurde trotzdem noch übertroffen. Lieferengpässe sollten im Laufe des Jahres abnehmen, aber noch weiß niemand, wie schnell. Der Markt hat die Erwartung von fast sieben US-Leitzinserhöhungen bis zum Jahresende direkt eingepreist – Ende letzten Jahres waren für 2022 nur zwei Erhöhungen erwartet worden.

Die Zentralbanken stehen vor einem Dilemma. Das Verhältnis von Wachstum und Inflation scheint schlechter als vorhergesagt auszufallen. Dies hat zu einem deutlichen Kurswechsel geführt, ohne dass sich die Wachstumsaussichten entsprechend verbessert hätten. Der Anstieg der Inflation könnte jedoch immer noch eine einmalige Anpassung nach der Pandemie darstellen, und die früheren anti-inflationären Kräfte könnten wieder zum Tragen kommen.

Später Zyklus – aber wohl keine Rezession

Inmitten all dieses makroökonomischen Feuerwerks ist eine Aktualisierung unserer Rezessionsindikatoren längst überfällig. Die Wirtschaft ist viel schneller in den späten Zyklus übergegangen, als wir erwartet hatten. Die spätzyklische Dynamik wird noch deutlicher, wenn wir die Entwicklung der Anlageklassen mit dem Zyklus vergleichen. Die starke Performance von Rohstoffen, die Abflachung der Kurve und die schwache Performance von Anleihen sind typische Anzeichen für ein spätzyklisches Verhalten.

Trotz der Entwicklung der Rezessionsindikatoren halten wir eine Rezession in den nächsten zwölf Monaten weiterhin für unwahrscheinlich. Die Verbraucher haben Ersparnisse zurückgelegt, die Wirtschaftswachstumsraten liegen über dem Trend, und die längerfristigen Inflationserwartungen halten sich in Grenzen. Das heißt, dass die Zentralbanken bei Zinserhöhungen mit Augenmaß vorgehen – andererseits können natürlich Fehler oder Panik-Reaktionen in der Federal Reserve nicht ausgeschlossen werden.

Die Risiken für Korrekturen an den Aktienmärkten nehmen zu. Unserer Ansicht nach müsste das Rezessionsrisiko aber noch weiter steigen, um eine Korrektur in der Nähe der 20-Prozent-Schwelle zu bestätigen. Mit Ausnahme des kurzen, aber heftigen Börsencrashs von 1987 ist der S&P 500 in den letzten 50 Jahren außerhalb eines rezessiven Umfelds nie um mehr als 20 Prozent gefallen – auch wenn er mehrmals in die Nähe kam.

Die aktuelle Korrektur geht unserer Ansicht nach hauptsächlich auf das Konto von Zinserhöhungen. Trotzdem sind wir der Meinung, dass Aktien höhere Anleiherenditen in der Regel gut wegstecken – letztendlich. Vorübergehende Störungen sind aber bei schnellem Anstieg aufgrund von Inflation oder restriktiver Geldpolitik möglich. Genau das, und dazu die Einpreisung der geopolitischen Risiken, konnten wir in den letzten Wochen beobachten.

Die Maßnahmen der Zentralbanken sollten jetzt an den Märkten angekommen sein, zumal ein Rückgang der Lieferengpässe die Überhitzung in den kommenden Monaten vorübergehend überdecken könnte.

Ändern wir unsere optimistische Einschätzung für Risikoanlagen?

Wir bleiben bei unserer mittelfristigen +1-Position (auf einer Skala von -3 bis +3) in unseren Multi-Asset-Portfolios, aber die Entscheidung wird taktischer als im letzten Jahr. So warten wir länger, bevor wir in einer Marktdelle nachkaufen: 2021 wären wir an einer geringfügigen Erhöhung unseres Engagements bei einem Aktienrückgang von fünf Prozent interessiert gewesen. Aber jetzt warten wir auf niedrigere Niveaus, bevor wir eine Erhöhung des Risikos in unseren Portfolios in Betracht ziehen. Andererseits werden wir auch eher dazu tendieren, bei starken Aktienmärkten zu verkaufen.

Die Credit-Spreads haben sich während des Ausverkaufs weitgehend an die Aktienmärkte angelehnt. Sie sind zwar nicht mehr ganz so teuer wie zuvor, aber immer noch teuer genug. Wir warten auf eine weitere Ausweitung, bevor wir unsere mittelfristige Untergewichtung von Anleihen aufgeben.“

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