Ökonomen erwarten keine EZB-Zinsanhebung mehr
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Die Europäische Zentralbank (EZB) hat beim Zinsentscheid am Donnerstag erneut eine Zinserhöhung um 25 Basispunkte (0,25 Prozentpunkte) beschlossen. Der eigentliche Leitzins (Hauptrefinanzierungszins) befindet sich damit künftig bei 4,5 Prozent, der Einlagensatz, mit dem Guthaben der Geschäftsbanken bei der EZB verzinst werden, bei 4,0 Prozent.
Die EZB signalisierte relativ deutlich, dass es wahrscheinlich keine weitere Anhebung in diesem Zinserhöhungszyklus mehr geben wird. „Auf Grundlage seiner aktuellen Beurteilung ist der EZB-Rat der Auffassung, dass die EZB-Leitzinsen ein Niveau erreicht haben, das – wenn es lange genug aufrechterhalten wird – einen erheblichen Beitrag zu einer zeitnahen Rückkehr der Inflation auf den Zielwert leisten wird“, hieß es im Statement zum Zinsentscheid.
Auf der Pressekonferenz betonte EZB-Präsidentin Christine Lagarde zwar, dass die Aussage nicht automatisch bedeute, dass es keine Zinserhöhung mehr geben kann. Lagarde verwies auf zwei Einschränkungen in der Aussage. Sie betonte, dass die Grundlage die aktuelle Einschätzung durch den EZB-Rat sei (die sich in Zukunft wieder ändern könnte, falls die Inflation nicht weiter wie erwartet sinkt) und verwies auf die Formulierung, dass die bisherigen Anhebungen einen „erheblichen“ (und damit nicht notwendigerweise vollständigen) Beitrag zur Reduzierung der Inflation leisten würden.
Trotz der verbalen Einschränkungen durch Lagarde auf der Pressekonferenz hat der Markt die Aussagen der EZB überwiegend so verstanden, dass es zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit keine weitere Zinserhöhung mehr geben wird. Es folgen einige Statements von Ökonomen wichtiger Vermögensverwalter und Banken:
DWS, Martin Moryson, Chefvolkswirt Europa
„Mit der heutigen Zinserhöhung um weitere 0,25 Prozentpunkte dürfte der Zinserhöhungszyklus abgeschlossen sein. Wir gehen davon aus, dass die Europäische Zentralbank (EZB) von jetzt ab die Füße stillhält, bis sie im Sommer kommenden Jahres beginnen wird, die Zinsen langsam zu senken. (...) Alles in allem dürfte das der letzte Zinsschritt gewesen sein. Die Wirtschaft in der Eurozone schwächelt bereits ausreichend, um einen erneuten Inflationsanstieg sehr unwahrscheinlich zu machen. Nur in dem – wie gesagt – unwahrscheinlichen Fall wirklich aus dem Ruder laufender Inflationsraten, die die bereits recht hohen Inflationserwartungen der EZB übertreffen, würde die EZB einen weiteren Schritt nach oben machen.“
BlackRock, Ann-Katrin Petersen, Senior-Kapitalmarktstrategin
„In einer knappen Entscheidung hat die EZB ihre Leitzinsen auf Allzeithochs befördert. Allerdings handelt es sich um einen taubenhaften Zinsschritt: Die EZB signalisierte, dass dies wahrscheinlich die letzte Zinserhöhung in ihrem wohlgemerkt außergewöhnlich scharfen geldpolitischen Straffungszyklus sein werde. Der Fokus verlagert sich nun von der Frage der Höhe der Leitzinsen hin zur Frage, wie lange diese auf restriktiven Niveaus verharren. Wir gehen davon aus, dass die Inflation auf absehbare Zeit weiterhin so beträchtlich ausfällt, dass die EZB angesichts eines angespannten Arbeitsmarkts und gedämpfter Produktivität die Zinsen erst weit ins Jahr 2024 hinein senken wird. (...) Präsidentin Christine Lagarde hat eine weitere Anhebung im Falle überraschender Daten nicht vollständig ausgeschlossen. Wir glauben jedoch, dass die Messlatte hoch liegt.“
Janus Henderson Investors, Robert Schramm-Fuchs, Portfolio Manager, European Equities Team
„Es war wahrscheinlich eine knappe Entscheidung, aber es gab die letzte Zinserhöhung durch die EZB, die der Aktienmarkt größtenteils erwartet hatte. Angesichts des Wortlauts der Erklärung und der nach unten korrigierten mittelfristigen Inflationsprognosen klingt es so, als ob die EZB den Zinserhöhungszyklus nun abgeschlossen hat und eine lange Pause zu erwarten ist. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Aktienmärkte die letzte Zinserhöhung in einem Zyklus eher positiv aufgenommen haben, unabhängig davon, ob eine Rezession folgte oder nicht.“
T. Rowe Price, Tomasz Wieladek, Chefvolkswirt für Europa
„Die EZB hat heute die Leitzinsen um 0,25 Prozent erhöht. Damit erreicht der Einlagensatz den höchsten Stand seit der Einführung des Euro. Allerdings betonte die EZB in ihrer Mitteilung, dass die Finanzierungsbedingungen nun die Nachfrage belasten. Zudem stellte die EZB fest, dass die Zinssätze ein Niveau erreicht hätten, das, wenn es lange genug beibehalten werde, einen wesentlichen Beitrag zur Rückkehr der Inflation zum Zielwert leisten werde. Meiner Meinung nach hat die EZB signalisiert, dass die Zinsen für einige Zeit auf diesem Niveau bleiben werden und dass die Messlatte für eine künftige Zinserhöhung hoch liegt.“
Oddo BHF, Prof. Dr. Jan Viebig, Chief Investment Officer
„Eine Zinspause wäre das falsche Signal gewesen. Angesichts des Inflationsausblicks, den die EZB gegeben hat, war es angemessen, die Leitzinsen um 25 weitere Basispunkte heraufzusetzen. Zwei Gründe sprachen für diese Zinserhöhung: Erstens beabsichtigt eine Zentralbank ja gerade eine Verlangsamung der Konjunktur, wenn sie zur Bekämpfung der Inflation die Leitzinsen anhebt. Zweitens ist vor allem die Kerninflation im Euroraum bei weitem zu hoch, um Entspannung im Kampf gegen die Teuerung signalisieren zu können. Diese Entscheidung macht für Anleger Anleihen insgesamt attraktiver. Gute Investmentmöglichkeiten sehen wir besonders im kurzfristigen High-Yield-Bereich."
PIMCO, Konstantin Veit, Portfolio-Manager und Leiter der European Rates- und Short-Term Desks
„Die Europäische Zentralbank (EZB) könnte die Zinssätze zwar noch weiter anheben, doch hat sie nun möglicherweise vorerst die Reiseflughöhe erreicht. Das Augenmerk verlagert sich immer mehr von der genauen Höhe der Endzinsen auf die wahrscheinliche Dauer des Höchstzins-Niveaus. Wir sehen Risiken in Zinssenkungen, die später als vom Markt erwartet erfolgen. Für eine vollständige Normalisierung der Inflation auf das Zwei-Prozent-Ziel dürfte eine weitere Abkühlung der Wirtschaft und eine gewisse Schwäche des Arbeitsmarktes erforderlich sein. Wir gehen davon aus, dass die EZB eine frühere Kürzung der PEPP-Reinvestitionen anstrebt – möglicherweise schon in diesem Jahr. Wir gehen nicht davon aus, dass die EZB den Verkauf von Anleihebeständen kategorisch ausschließen wird. Stattdessen erwarten wir, dass sie sich weiterhin auf eine allmähliche und geordnete passive Reduzierung der Reinvestitionen konzentrieren wird.“
NordLB, Dr. Norman Rudschuck, Christian Ilchmann
„Einer unserer Lieblingsscherze auf Dienstreisen ist: 'Schön hier, aber waren Sie schon einmal in Lüneburg?' So oder so ähnlich muss sich die EZB heute fühlen. Sie ist endlich an ihrem Reiseziel angekommen. (...) Ob dies wirklich der letzte Schritt war, wollte Lagarde nicht vermelden. Wir nehmen es jedoch an. Die EZB scheint sich dafür zu entscheiden, bis in die zweite Jahreshälfte 2024 auf dem nun erreichten Zinsniveau verharren zu wollen. Dies werden nicht alle so sehen, jedoch ist die EZB bekanntlich nur ihrem Inflationsziel verschrieben und nicht für das zarte Konjunkturpflänzchen verantwortlich oder gar die Steuerung der Wechselkurse, zum Beispiel EUR/USD.“
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