Fundamentale Nachricht
11:03 Uhr, 27.10.2016

Niedrige Zinsen: „Kollateralschäden in Form massiver Verzerrungen an den Finanzmärkten“

Die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte ist stark beeinträchtigt. Anscheinend preisen sie fundamentale Risiken wie den Brexit nicht mehr ein, warnen Sander Bus und Victor Verberk, die beiden Co-Heads des Credit-Teams von Robeco.

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Rotterdam (GodmodeTrader.de) – Derzeit herrscht an den Märkten das Motto: „Ich kaufe, wenn du kaufst!“ Ein entscheidender Faktor bei dieser Entwicklung ist das Programm der Europäischen Zentralbank (EZB) zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (CSPP), wie Sander Bus und Victor Verberk, die beiden Co-Heads des Credit-Teams von Robeco, in einem aktuellen Marktkommentar schreiben. „CSPP stellt mit seinem Umfang alle anderen Faktoren in den Schatten, die die Märkte beeinflussen könnten“, so Bus und Verberk.

In den USA dürfte 2017 – sieben Jahre nach Beginn der wirtschaftlichen Expansion – die Wahrscheinlichkeit einer Rezession steigen. Der US-Konjunkturzyklus neige sich allmählich dem Ende entgegen. Die Wirtschaft laufe nur noch auf einem Zylinder: dem Konsum. Und auch dieser fange an zu stottern. Sieben Jahre nach Beginn der wirtschaftlichen Expansion steige die Wahrscheinlichkeit einer US-Rezession im Jahr 2017. Die sehr zögerliche Haltung der US-Notenbank Fed in Bezug auf Zinserhöhungen überrasche deshalb nicht. Unterdessen verursachten die niedrigen Zinssätze Kollateralschäden in Form massiver Verzerrungen an den Finanzmärkten. Deshalb habe die Fed kaum eine andere Wahl, als die Zinssätze unverändert zu lassen – mit einer Neigung zu Zinserhöhungen, heißt es weiter.

„Zwar verliert auch in Europa das Wirtschaftswachstum an Schwung, eine Rezession ist hier aber weit weniger wahrscheinlich als in den USA. Denn dort sehen wir für die späte Zyklusphase typische Signale, die wir in Europa bislang nicht erkennen können. Die Bilanzen von US-Unternehmen haben sich verschlechtert, da diese eigene Aktien zurückkaufen, um ihren Gewinn je Aktie zu steigern und so schwindende Erträge zu kompensieren. Die Unternehmen geben zurzeit mehr aus, als sie an Cashflow einnehmen, was höhere Schulden zur Folge hat“, erklärt Bus. Die hohe Verschuldung mache die Unternehmensanleihemärkte anfälliger, wenn die Wirtschaft in eine Rezession gerate.

In den Schwellenländern gehe das Wirtschaftswachstum nach Jahren mit rasantem Kreditwachstum und nach dem Ende des „Rohstoff-Superzyklus“ weiter zurück. „Das Schicksal der Schwellenländer – und auch der Industrieländer – hängt sehr stark von der weiteren Entwicklung in China ab. Das Land trägt nach wie vor am meisten zum globalen BIP-Wachstum bei, und im letzten Jahr haben wir gesehen, welchen Einfluss es auf die Rohstoffmärkte hat“, so Verberk. Chinas Wachstum sei in den vergangenen Jahren durch rasches Kreditwachstum befeuert worden. Eine Verlangsamung des Kreditwachstums, es müsse nach Meinung von Verberk gar nicht negativ werden, würde bereits ausreichen, um das Wirtschaftswachstum in Mitleidenschaft zu ziehen, heißt es weiter.

„Für noch bedenklicher halten wir, dass die Kreditvergabe in den am wenigsten produktiven Bereichen der Wirtschaft, den staatseigenen Unternehmen, ausgeweitet worden ist. Die Banken wurden und werden hierzu ‚angehalten‘. Notleidende Kredite könnten zu einem ernsthaften Problem werden“, so Verberk. „Da in den Industrie- und auch in den Schwellenländern das Bevölkerungswachstum und die Produktivität zurückgehen, ist es eigentlich keine Überraschung, dass das trendmäßige Wachstum mittlerweile auf ein strukturell niedrigeres Niveau gesunken ist.“ Dies sei lange Zeit durch das Kreditwachstum ausgeglichen worden, was aber auf Dauer nicht beibehalten werden könne. „Die Notenbanken versuchen, die Kreditblase wieder aufzupumpen. Das ist eine riskante Strategie, die nicht nur zu einer Destabilisierung der Märkte führen kann, sondern auch Druck von der Politik nimmt, dringend erforderliche Strukturreformen anzugehen“, warnen die Robeco-Experten.

Die Spreads für die meisten Anleihekategorien lägen geringfügig unter den Durchschnittswerten, sodass man den Markt nicht als extrem teuer bezeichnen könne. „Man kann jedoch zu recht sagen, dass die Spreads für die jetzige Zyklusphase mit zunehmenden Adressausfällen, Spitzenwerten bei der Verschuldung und einer sich verlangsamenden US-Konjunktur niedrig sind“, so Bus. Ein Vergleich der Spreads in den Schwellenländern mit denen in den Industrieländern zeige, dass das Verhältnis unter das Durchschnittsniveau in der Vergangenheit gefallen sei. Es gebe kaum eine Prämie als Anreiz dafür, statt Unternehmensanleihen aus Industrieländern solche aus Schwellenländern zu halten. „Bestimmte Märkte sind ausgesprochen teuer geworden. Brasilianische Anleihen sind beispielsweise weitgehend zu den vor Januar verzeichneten Mittelwerten zurückgekehrt, obwohl der Reformpfad nach wie vor voller Risiken steckt“, sagt Verberk.

Das Programm der EZB zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (CSPP) biete eine sehr starke technische Unterstützung für europäische Investment-Grade-Unternehmensanleihen, die auch auf High-Yield-Anleihen übergreife. CSPP stelle mit seinem Umfang alle anderen Faktoren in den Schatten, die die Märkte beeinflussen könnten – selbst so negative Ereignisse wie den Brexit. Die entscheidende Frage laute: Werde der Markt weiter auf eine Fortsetzung der unterstützenden Geldpolitik durch die Notenbanken vertrauen? Robeco hält die Wahrscheinlichkeit, dass risikobehaftete Finanzaktiva negativ auf eine Verschärfung der Geldpolitik reagieren werden, für sehr groß. „Ein Fehler in der Kommunikation stellt dabei vermutlich das größte Risiko dar. Wir beobachten, dass die Glaubwürdigkeit der Notenbanken von Anlegern und Ökonomen zunehmend in Frage gestellt wird“, so die Robeco-Experten. Ein Vertrauensverlust auf breiter Front könnte die Finanzmärkte ernsthaft aus dem Gleichgewicht bringen.

Die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte sei stark beeinträchtigt. Anscheinend preisten sie fundamentale Risiken wie den Brexit nicht mehr ein. Mittlerweile gelte an den Märkten das Motto „Ich kaufe, wenn du kaufst!” Anleger kauften Aktien, weil Unternehmen eigene Aktien zurückkauften. Unternehmen kauften eigene Aktien zurück, weil sie sich an den Fremdkapitalmärkten günstig finanzieren könnten. Anleger kauften Unternehmensanleihen, weil die Notenbanken die Märkte mit Liquidität überschwemmten. „Letztendlich läuft alles darauf hinaus, ob die Anleger glauben, dass andere Anleger auf eine Fortsetzung der Politik des billigen Geldes vertrauen“, sagt Bus.

Da die Politik der Notenbanken zu einem so dominierenden Faktor geworden sei, habe auch die Korrelation zwischen verschiedenen Anlageklassen zugenommen. Wenn sich die Märkte drehten, werde es keinen Zufluchtsort geben. Selbst die in der Vergangenheit stets negative Korrelation zwischen Spreads und Zinssätzen sei inzwischen positiv geworden. Die Anleger setzten mit ihren Wertpapiergeschäften allesamt auf das Vorgehen der Notenbanken, weil es wegen negativer Guthabenzinsen teuer werden könne, außen vor zu bleiben, heißt es weiter.

„Von einem fundamentalen Standpunkt aus würden wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Untergewichtung von Risiken vorziehen. Wir sind uns aber bewusst, dass die derzeitige Notenbankpolitik noch einige Zeit beibehalten werden könnte. Deshalb bleiben wir bei den meisten Unternehmensanleihe-Portfolios bei einer neutralen Position in Bezug auf Beta und beobachten, inwieweit einzelne Unternehmensanleihen für eine Konjunkturverlangsamung anfällig sind“, erläutern Bus und Verberk ihre Positionierung. Global betrachtet ziehen die Robeco-Experten auf Euro lautende Unternehmensanleihen weiterhin den auf Dollar lautenden Papieren vor und bleiben bei einer defensiven Aufstellung in Schwellenländeranleihen. „Die Notenbanken sind auch in den Schwellenländern ein wichtiger Einflussfaktor“, so die Robeco-Experten.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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