Kommentar
08:46 Uhr, 15.10.2015

Neue Zinsrallye bei Aktien?

Im Nullzinsumfeld gelten Aktien als alternativlos. Dividenden ersetzen Zinsen und im Gegensatz zum Sparbuch halten Anleger reale Sachwerte durch Aktien.

Die Alternativlosigkeit von Aktien hat nur Bestand bis es wieder nennenswerte Zinsen gibt. Unter anderem die nahende US Zinswende hat Anleger verunsichert und an der Alternativlosigkeit zweifeln lassen. Eine Zinswende hätte die Renditen von Anleihen steigen lassen. Bereits 3 bis 4% bei US Staatsanleihen wirken attraktiv, wenn man diese Rendite gegen Festgeld (1-1,5% für 10 Jahre) vergleicht.

Im Gegensatz zu Festgeld sind Anleihen jederzeit handelbar. Durch die Liquidität fallen Opportunitätskosten weg, es fällt jedoch auch ein höheres Risiko durch Kursschwankungen an. So oder so, Sparer können sich vorerst nicht auf nennenswerte Zinsschritte freuen. Das neue Mantra in der Zinspolitik lautet „lower for longer“, also tiefe Zinsen über einen längeren Zeitraum. Für Sparer ist das ein Graus. Das neue Mantra klingt wie Hohn, denn es sagt nichts anderes als: die Zinsen bleiben niedrig, dafür aber für einen längeren Zeitraum.

Des Sparers Feind (niedrige Zinsen) ist des Anlegers Freund – in mehrfacher Hinsicht. Je länger die Zinsen niedrig bleiben, desto alternativloser sind Aktien. Anleger, die eine Rendite über 2% wollen müssen fast schon Aktien kaufen. Das treibt die Kurse und hält sie hoch. Niedrige Zinsen haben allerdings noch einen Effekt.

Der Wert eines Unternehmens kann auf verschiedene Arten berechnet werden. Eine Möglichkeit den Unternehmenswert zu bestimmen führt über die Berechnung des Barwertes von Cash Flows oder Gewinnen. Hier werden alle zukünftigen Gewinne oder Cash Flows geschätzt und mit einem Zinssatz diskontiert. In den meisten Modellen werden die Kapitalkosten eines Unternehmens für die Abzinsung verwendet.

Pauschalisiert kann man sagen, dass ein tiefes Zinsniveau auch die Kapitalkosten von Unternehmen reduziert. Die Kapitalkosten sind der gemittelte Zins, den Unternehmen für Fremdkapital (Anleihen, Kredite) und Eigenkapital (Aktien) aufbringen müssen. Die Kapitalkosten unterscheiden sich also von Unternehmen zu Unternehmen.

Um den Effekt sinkender oder steigender Zinsen auf Unternehmenswerte zu berechnen kann man über eine Vereinfachung schnell zu Resultaten gelangen. Bei dieser Vereinfachung wird schlichtweg behauptet, dass die Kapitalkosten um einen Prozentpunkt sinken, wenn das allgemeine Zinsniveau um einen Prozentpunkt sinkt.
Die Effekte von steigenden und fallenden Zinsen auf Unternehmenswerte sind enorm. Je länger der Zeitraum, den man betrachtet, desto ausgeprägter ist dieser Effekt. Den Zinseszinseffekt kennt man ja.

Grafik 1 zeigt, was ein bestimmtes Zinsniveau für die Unternehmensbewertung bedeutet. Die Unternehmensbewertung ist in Form des Kurs-Gewinn-Verhältnisses dargestellt. Das langjährige KGV (siehe auch Grafik 2) für US Aktien liegt bei 16,66. Langjährig bedeutet in diesem Fall das Mittel von 1896 bis 2015. Über den gleichen Zeitraum lagen die langfristigen US Zinsen bei ungefähr 4%. Langfristige Zinsen von 4% entsprechen also einem KGV von 16,66.

Was geschieht nun, wenn die Zinsen sinken? Sinken die Zinsen auf 3,5% dann „darf“ das KGV auf 17,1 steigen. Das gilt, wenn man von folgendem Szenario ausgeht: die Zinsen sinken auf 3,5% und verharren dort über einen Zeitraum von 10 Jahren. Nach 10 Jahren kehren sie zum langfristigen Mittel von 4% zurück.

Die gleiche Übung kann man für einen längeren Zeitraum machen. In Grafik 1 sind die KGVs für unterschiedliche Zinsniveaus und Zeiträume dargestellt. Sinken die Zinsen auf 3,5% und verharren dort 100 Jahre dann kann das KGV auf ca. 20,5 steigen.

Das KGV von 17,1 oder 20,5 bei einem Zinsniveau von 3,5% ist äquivalent zu einem KGV von 16,66 bei Zinsen von 4%. Die Regel lautet also: wenn ein KGV von 16,66 bei 4% fair ist, dann ist ein KGV von 17,1 bzw. 20,5 bei Zinsen von 3,5% ebenfalls fair. Der US Markt wird derzeit mit einem KGV (ich verwende hier das Shiller KGV, ein inflationsbereinigter 10-Jahresdurchschnitt) von 25,5 bewertet. Das wirkt auf den ersten Blick ziemlich hoch.

Die in Grafik 1 dargestellten KGVs mit einem 10-Jahreshorizont bleiben allesamt unter 25,5. Das KGV von 25,5 kann also nur fair sein, wenn Anleger von einem niedrigeren Zinsniveau für einen deutlich längeren Zeitraum ausgehen. Ein Zinsniveau von 3% führt über 100 Jahre gesehen zu einem KGV von 25,9. Jetzt kann man darüber streiten, ob das noch realistisch ist. Man weiß ja kaum, was nächstes Jahr passiert, wie soll man da eine zuverlässige Zinsprognose für 100 Jahre erstellen?

Kurz zusammenfassen kann man die Situation wie folgt: der Markt ist trotz der Korrektur noch immer sehr hoch bewertet. Anleger preisen viel zu niedrige Zinsen ein. Das klingt angesichts eines Nullzinsumfeldes merkwürdig, ist aber so.
Den Aufschlag zum derzeit fairen KGV kann man sich auch noch auf andere Art erklären: Es ist die Alternativlosigkeit von Aktien, die einen hohen Preis hat. Ob man das als Anleger so glauben möchte, kann man entscheiden, wenn man auf Grafik 2 blickt. Dort ist das KGV von 1896 bis 2015 abgebildet. Ebenfalls dargestellt sind die langfristigen Zinsen und das US Wirtschaftswachstum. Die Zinsen sind heute so niedrig wie zuletzt vor 65 Jahren. Damals lag das KGV in einer Range von 15 bis 23. Das ist weniger als wir heute sehen.

Im Gegensatz zu heute wuchs die Wirtschaft damals doppelt so schnell. Höheres Wirtschaftswachstum bedeutet für gewöhnlich auch schneller steigende Unternehmensgewinne. Zusammengefasst heißt das: als das Zinsniveau zuletzt so niedrig war, lag das durchschnittliche KGV bei 19. Die Aussichten auf schnelleres Gewinnwachstum waren gegeben. Heute sind die Zinsen zwar niedrig, doch das Wachstum ist geringer. Gleichzeitig ist das KGV höher. Es braucht nicht viel, um zu erkennen, dass an der Rechnung etwas nicht stimmt. Was hier nicht stimmt, dass ist die derzeitige Marktbewertung. Sie ist immer noch zu hoch. Der US Markt wäre erst 20% unter dem aktuellen Niveau wieder fair bewertet.

„Fair“ ist sicherlich ein relativer Begriff. Die Alternativlosigkeit von Aktien ist Anlegern offenbar einen Aufschlag wert. Persönlich kann ich mir gut vorstellen, dass dieser Aufschlag noch lange Gültigkeit haben wird, denn die Zinsen werden wohl für längere Zeit als gedacht niedrig bleiben. Wenn sie dann steigen werden sie keine 4 oder 3% mehr erreichen, sondern vielleicht mit Müh und Not gerade so 2%.

Das neue Mantra rechtfertigt keine neue Rallye. Es spricht eher dafür, dass Anleger mit dem derzeitigen Bewertungsniveau kein großes Problem haben sollten. Schwerer als die Zinsen liegen Anlegern derzeit jedoch Wachstumssorgen im Magen. Trüben sich die Wachstumsaussichten weiter ein, dann ist das momentane Bewertungsniveau nicht mehr zu halten, niedrige Zinsen hin oder her.

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  • nelson253
    nelson253

    Guter Artikel! Wie schaut es denn für den DAX aus?

    11:16 Uhr, 15.10. 2015
  • hansdampf
    hansdampf

    Wieder ein interessanter Artikel.

    Eigentlich hätten die Bewertungen 1950 ja offensichtlich noch viel höher sein können/müssen als heute, denn für Unternehmen mit besonders guten Wachstumsaussichten zahlt man ja auch deutlich mehr.

    Warum war das nicht so?

    Mögliche Erklärungen:

    1. Wir haben heute tatsächlich eine kräftige Blase? Die Aktien waren damals tatsächlich unerklärlich billig? Diese These wird in dem Artikel vertreten - und da ist sicher auch was dran! (wobei man sich -20% Marktwert ab heute bei den aktuellen Div-Renditen vieler Aktien fast nicht vorstellen kann...)

    2. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen damals und heute waren vielleicht auch so fundamental anders - auch wenn sich das Zinsniveau gleicht - dass dieser Vergleich irgendwie hinkt und wenig aussagekräftig ist. Das unterschiedliche Wirtschaftswachstum wurde ja schon erwähnt. Interessant wären diesbzgl. weitere Fragen/Vergleiche: Vorhandene Geldmengen in der Finanzwirtschaft/-Sektor damals und heute (im Verh. zum Bip). Investitionsquoten? Realzinssätze?

    11:10 Uhr, 15.10. 2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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