Neue Argumente zur Globalisierung
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- Die Zahl der Staaten in der Welt ist in den letzten Jahren unerwartet stark gestiegen. Das ist ein Kontrapunkt zur Globalisierung.
- Es ist zu vermuten, dass sich diese Entwicklung so fortsetzt.
- Übertragen auf die Kapitalmärkte: Anleger sollten bei ihren Investitionen nicht kleine und mittlere Unternehmen vergessen.
Vor kurzem stieß ich auf einen interessanten Artikel des Frankfurter Politikwissenschaftlers Egbert Jahn. Er hat ein paar Zahlen und Thesen zur Geschichte der Globalisierung zusammengestellt, die ich so nicht kannte, die aber erhebliche Konsequenzen für die aktuelle europapolitische Diskussion haben (Egbert Jahn, "Die wundersame Vermehrung der Nationalstaaten im Zeitalter der Globalisierung", Frankfurter Montagsvorlesungen, Neue Folge 27, April 2014).
Üblicherweise geht man immer davon aus, dass Globalisierung und die Integration von Nationalstaaten im Zuge der Entwicklung der Weltwirtschaft der Normalfall sind. Jedenfalls war das bisher der Fall. Sie haben dazu beigetragen, dass ein Wohlstandsniveau erreicht wurde, das es in der Geschichte bisher nicht gegeben hat. Alles, was die Globalisierung stört, wie etwa derzeit die Aktionen des amerikanischen Präsidenten, sollte man daher tunlichst vermeiden.
ZAHL DER STAATEN IN EUROPA UND DER WELT
Quelle: Jahn
Die Studie von Professor Jahn setzt hier Fragezeichen. Er zeigt nämlich, dass in den letzten 200 Jahren nicht nur die Globalisierung rasant gestiegen ist. Es gab auch eine überraschend starke Gegenbewegung. Die Zahl der Nationalstaaten hat mehr als erwartet zugenommen. Die Nationalstaaten sind aber der natürliche Gegenpol zur Globalisierung. Sie stehen für Grenzen nach außen und Entwicklung einer eigenen Identität im Innern.
Seit 1900 hat sich die Zahl der Staaten in der Welt von 50 auf 195 erhöht (siehe Grafik). Das ist fast eine Vervierfachung. Rein rechnerisch entstand alle neun Monate ein neuer Staat, schreibt Jahn. Das vollzog sich unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg zunächst in Asien. Von 1960 kam es dann zur Aufteilung der Kolonialreiche Großbritanniens, Frankreichs und Portugals in Afrika und in der Karibik.
»In den letzten 200 Jahren ist nicht nur die Globalisierung rasant gestiegen ist. Es gab auch eine überraschend starke Gegenbewegung.«
Die Neuordnung nach Kriegen und das Ende der Kolonialzeit waren natürlich einmalige Sondereffekte. Sie sind jetzt vorbei. Die Staatenbildung hat sich daher in letzter Zeit verlangsamt. Sie ist aber keineswegs zum Stillstand gekommen. Jahn geht davon aus, dass die Zahl der Staaten in Zukunft weiter steigen wird. Er verweist auf vielerlei Regionalisierungsbestrebungen in der Welt.
Bemerkenswert ist auch die Rolle Europas in diesem Prozess. Der Kontinent gehört bekanntlich zu den wichtigsten Protagonisten von Globalisierung und Integration. Hier entstand der größte Binnenmarkt der Welt. Trotzdem ist die Entwicklung der Regionalisierung hier relativ noch stärker ausgeprägt. Obwohl der Kontinent nur 7 % der Landoberfläche der Erde ausmacht, entfallen auf ihn heute ein Viertel aller Staaten. Professor Jahn legt hier sogar Zahlen für die letzten zweihundert Jahre vor. Seit dem Wiener Kongress 1815 hat sich die Zahl der Staaten in Europa von 10 auf in-zwischen 50 verfünffacht.
Welche Schlussfolgerungen kann man daraus ziehen? Normalerweise soll man bei der Interpretation historischer Vorgänge vorsichtig sein. Geschichte wiederholt sich nicht. Aber wenn sich eine Entwicklung über eine so lange Zeit hält, dann spricht viel dafür, dass sie nicht nur eine Zufallslaune ist.
Drei Dinge sind festzuhalten:
Erstens, Globalisierung und Regionalisierung (gemessen an der Zahl der Staaten) sind keine Gegensätze, sondern gehören offenbar zusammen. Globalisierung ist wichtig für den Ausbau der internationalen Arbeitsteilung und die Schaffung von Wohlstand. Sie deckt aber nur einen Teil der Bedürfnisse des Menschen ab. Die Empathie der Menschen erreicht man eher über die Regionalisierung. Das wird auch in Zukunft so bleiben.
Zweitens: Die Regionalisierung macht auch vor den Nationalstaaten nicht halt. Auch sie sind nicht unveränderbar und in Stein gehauen. Sie haben sich zum Teil wieder in neue regionale Einheiten aufgespalten. Auch dies ist ein Trend, der noch aktuell ist. Der Widerstand etwa Madrids gegen die separatistischen Bewegungen in Katalonien oder Londons gegenüber einer Abspaltung Schottlands ist verständlich. Er wird sich aber auf Dauer nicht so halten lassen. Es scheint ein Bedürfnis der Menschen zu überschaubaren, kleineren homogeneren Einheiten zu geben. Ich würde mich nicht wundern, wenn es in Europa in zehn Jahren mehr Nationen gibt, als wir es uns derzeit vorstellen.
Drittens hat das auch Konsequenzen für die europäische Integration. Wir müssen aufpassen, dass wir bei den jetzt diskutierten weiteren Schritten zur Stärkung der Integration in Europa (die notwendig und wichtig sind) nicht die Regionen vergessen. In den letzten Jahren wurde immer mehr in Brüssel zentralisiert. Die Folge war, dass die Begeisterung für Europa in Teilen der Bevölkerung deutlich nachgelassen hat. Alles Schlechte dieser Welt wurde Brüssel in die Schuhe geschoben, alles Gute den Nationalstaaten.
Das sollte so nicht weitergehen. Die Stärkung der EU durch weitere Integration darf sich daher nicht auf Zentralisierung beschränken. Wer alles in Brüssel konzentriert, schafft vielleicht ökonomisch effizientere Strukturen, gewinnt aber nicht die Menschen. Es wäre ein wichtiges Signal, bei den anstehenden Reformen auch an das Europa der Regionen zu denken.
Für den Anleger
Was für die Volkswirtschaft richtig ist, gilt auch für Anleger. Große international operierende Unternehmen sind normalerweise die Lieblinge des Kapitalmarktes. Sie wachsen schneller, sind wettbewerbsfähiger und verdienen häufig auch besser. Wenn die Regionalisierung aber ein so wichtiger Trend ist, sollte man sich daneben auch regional bedeutsame Werte anschauen. Sie sind meist kleiner und weniger spektakulär, andererseits aber oft flexibler und anpassungsfähiger. Vor allem sind sie vielen Anlegern in der Region persönlich bekannt. Ihre Risiken sind besser abschätzbar.
Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen:martin.huefner@assenagon.com.
Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.
Es war der Wettbewerb zwischen den autonomen Kleinstaaten im Deutschen Bund (1815 - 1866), der Deutschland zum Land der Dichter und Denker werden lies. Dadurch kam es im 19. Jahrhundert zu einer Blütezeit in Deutschland. Es kam zur Überwindung des Elends der vorindustriellen Zeit, welches mit der Feudalherrschaft verbunden war. Diese Entwicklung nahm daher in Europa seinen Anfang und nicht in den Groß-Reichen wie China, Indien usw., wo die Menschen noch lange Zeit im Elend lebten. In sofern ist die EU als Politische Vereinigung zu einen "Groß-Reich" der falsche Weg. Das hat uns jedenfalls die Geschichte gelehrt. In sofern ist es nicht verwunderlich, dass sich in der EU eine Entwicklung zeigt, in der zunächst die schwachen Volkswirtschaften in die Armut stürzten aber auch in Deutschland es immer noch Armut gibt und ebenfalls die Schwächsten, nämlich die Kinder besonders betroffen von der Armut sind. Weitere zusätzliche Institutionen (EU-Armee, gemeinsamer Haushalt usw.) in der EU zu schaffen, um die Vereinigung weiter zu treiben, führt nur zu weiterer Verelendung.
Der entscheidende Faktor war, "der Europa von anderen grossen Zivilisationen wie etwa China, Indien oder dem islamischen Raum unterschied: Europa genoss eine relativ geringe politische Behinderung und damit ein relativ grosser Schutz des Privateigentums. Doch woran lag das? Einen entscheidenden Beitrag leistete die radikale Dezentralität, die für Europa charakteristisch war. Im Gegensatz zu den umfassenden Reichen des Orients und der antiken Welt besass das Unternehmertum in Europa aufgrund der vielen miteinander konkurrierenden Gebietskörperschaften eine Blütezeit, die in der restlichen Welt ihresgleichen suchte.
In diesem wettbewerbsintensiven Umfeld wäre es für Fürsten ungemein unklug gewesen, Eigentumsrechte in der Art zu missachten, wie es in anderen Teilen der Welt durchaus üblich war. In dauerhafter Rivalität miteinander erkannten die politischen Herrscher, dass Enteignungen, konfiskatorische Besteuerung und die Unterdrückung des Handels nicht ungestraft blieben. Die Strafe bestand darin, dazu verdammt zu sein, zusehen zu müssen, wie sich die Rivalen wirtschaftlich relativ besser entwickelten; häufig durch selbst verursachte Kapitalabwanderungen der Unterdrückten und Enttäuschten in die Nachbarreiche. Die Möglichkeit der Abwanderung, die «Exit Option», erleichtert durch die geografische Kompaktheit und einer gewissen kulturellen Ähnlichkeit innerhalb Europas, verwandelte die Staaten in «gebändigte Raubtiere». Dies ermöglichte den einzigartigen wirtschaftlichen Aufstieg Europas." (http://www.libinst.ch/?i=das-europaische-wunder )
„Die Nationalstaaten sind aber der natürliche Gegenpol zur Globalisierung.“
Dieser These widerspricht, dass insbesondere kleine Staaten auf internationalen Handel angewiesen sind, weil sie nicht über genügend Ressourcen verfügen, um Wohlstand zu ermöglichen. Zudem zeigt die Realität, dass gerade kleine Staaten, wie z.B. Liechtenstein, die Schweiz oder Singapur sehr erfolgreich im globalen Handel sind. Denn Globalisierung bedeutet nichts weiter wie globale Arbeitsteilung und globaler Handel.
Es ist ein Irrtum, dass es einer politischen Zentrale bedarf, die zahlreiche Staaten unter ihre Herrschaft stellt. Auch hier hat die Geschichte gezeigt, dass dies nicht nötig ist, um internationale Kooperation zu ermöglichen. So hat die reine Wirtschaftsgemeinschaft in Europa, die EWG, ganz ohne politische EU-Zentrale, sehr wohl die Arbeitsteilung und den Handel in Europa ermöglicht. Zudem war sie Frieden stiftend. Während es durch die EU zu ständigen Streitereien kommt, wie es für jede Politik üblich ist. Hier gilt: Politik trennt Menschen, Wirtschaft eint Menschen.
Die Globalisierung, verstanden als freie Marktwirtschaft, ermöglicht gerade durch den Wettbewerb unter möglichst vielen Völkern und Regionen die ständige Steigerung der Lebensqualität, so wie ja auch der Wettbewerb unter Unternehmen, zu ständigen Verbesserungen führt.
In sofern ist es sehr zu begrüßen, wenn in Zukunft mehr Staaten entstehen. Das fördert den Wettbewerb und führt zu einem besseren Preis – Leistungsverhältnis.
Lieber Herr Hüfner,
Die Behauptung von Professor Jahn, dass sich die Zahl der Staaten seit dem Wiener Kongress 1815 in Europa von 10 auf in-zwischen 50 verfünffacht hätte, stimmt auf keinster Weise.
Wahscheinlich hat Herr Jahn einfach die Tatsache übersehen, dass sowohl das geographische Gebiet Deutschland als Italien eine wunderbare Vielfalt an Kleinstaaten umfassten.
Werfen wir einen kurzen Blick auf die Karte von Europa 1815, siehe: https://goo.gl/images/tv9vYJ
Dann sind folgend Staaten leicht zu unterscheiden:
- Norwegen, Schweden, Dänemark, Preußen, Hanover, Sachsen, Bayern, Württemberg, das Großherzogtum Luxemburg, das Königreich der vereinigten Niederländen, Groß-Brittannien, Frankreich, Spanien, Portugal, die Schweiz, Piemonte, Parma, Modena, Toskana, die Kirchenstaat, das Königreich der beiden Sizilien, Österreich-Ungarn, Russland, das Türkische Reich..
Ich komme locker auf 24 Staaten und dann habe ich kleinstaaten wie Monaco, Andorra, Cattaro und zahlreiche Deustche und Italienische Klein- und kleinststaaten weggelassen.
Es kommt mir vor, dass Herr Professor Jahn seine Stellung eingenommen hat (die Anzahl der Staaten hat stark zugenommen) ohne die Fakten ernsthaft zu betrachten.
Wie ist der denn Professor geworden?
Übrigens hätten Sie aus meiner Sicht die Stellung dieses "Experten" auch nicht so kritiklos übernehmen müssen...