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12:38 Uhr, 03.03.2017

Neuausrichtung des chinesischen Wirtschaftsmodells extrem erfolgreich

Chinesische Unternehmen aus neuen Sektoren dominieren nach Meinung von Mathieu Nègre, Head of Emerging Markets Equities bei der Union Bancaire Privée, zunehmend den globalen Markt.

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Genf (GodmodeTrader.de) - Die Neuausrichtung des chinesischen Wirtschaftsmodells war in den vergangenen Monaten neben Zentralbankbeschlüssen das am häufigsten kommentierte makroökonomische Phänomen. Das ist vor allem auf zwei Aspekte zurückzuführen: Erstens, nahmen Investitionen historisch einen hohen Anteil von Chinas Bruttoinlandsprodukts ein. Diese Tendenz nimmt nun zugunsten höherer inländischer Konsumausgaben ab. Zweitens, kann China nicht mehr nur als Anbieter billiger Arbeitskräfte bezeichnet werden – das Land entwickelt sich stetig zu höherwertigen Exporten hin, wie Mathieu Nègre, Head of Emerging Markets Equities bei der Union Bancaire Privée, in einem aktuellen Marktkommentar schreibt.

Die Auswirkungen zeichneten sich bereits an Aktienpreisen und Unternehmensstrategien ab und seien ein weiteres Zeichen für den strukturellen Wandel. In den vergangenen fünf Jahren hätten die chinesischen Sektoren des „neuen“ Chinas (Konsumgüter, Technologie und der Dienstleistungssektor) die etablierten alten Sektoren (Fertigungsindustrie, Energie und Rohstoffbranche) überholt, heißt es weiter.

„Auf chinesischer Unternehmensseite gibt es zahlreiche Beispiele, stellvertretend und am anschaulichsten für die Änderungen steht allerdings Lenovo. Das Unternehmen war ursprünglich ein kleiner PC-Hersteller für den lokalen Markt, bevor es 1996 zum Marktführer in China aufstieg, einige Jahre später dann Marktführer in Asien wurde und 2013 weltweit an erster Stelle stand. In diesem Zeitraum produzierte Lenovo zuerst Desktops, dann Laptops und stieg schließlich in die Herstellung von Mobiltelefonen und Servern ein. Das Unternehmen musste seinen Namen ändern, um sich als richtige Marke zu etablieren. Außerdem hat sich Lenovo international weiterentwickelt, um seine Produkte in den meisten Industriestaaten zu vermarkten und zu vertreiben. Das Image des Konzerns hat aufgrund der schlechten Aktienentwicklung der vergangenen zwei Jahre etwas gelitten. Lenovos strategische Entwicklung ist jedoch beispielhaft, da sie viele Aspekte beinhaltet, die chinesische Unternehmen in den vergangenen Jahren angewandt haben und somit die chinesische Wirtschaft neu ausgerichtet haben – unter anderem der anhaltende Fokus auf Innovation, eine dominante Position am Heimatmarkt und gezielte ausländische Akquisitionen“, so Nègre.

Drei Faktoren spielten dabei eine besondere Rolle: Erstens sei Innovation offensichtlich in vielen Ländern ein wichtiger Aspekt, doch am hart umkämpften chinesischen Binnenmarkt sei sie mit das wichtigste Unterscheidungsmerkmal. Lenovo habe überdurchschnittlich viele Innovationen und Erstauflagen in China entwickelt, zum Beispiel den ersten chinesisch-sprachigen PC oder Chinas ersten Pentium PC. Chinas niedrige Produktionskosten hätten zusätzlich geholfen, dass das Unternehmen zum Marktführer in diesem Wachstumssektor aufsteigen konnte. Die chinesischen Internetriesen Tencent und Alibaba investierten ebenfalls beträchtliche Summen in neue Dienstleistungen. Sie gehörten in China zu den größten Investoren in Forschung und Entwicklung (R&D) und seien weltweite Innovationsführer im Bereich elektronischer Zahlungssysteme. Die Zeiten, in denen chinesische Unternehmen ausländische Innovationen für den Heimmarkt kopierten, seien vorbei. Diese Unternehmen seien heute Vorreiter in ihren Sektoren, heißt es weiter.

„Ein zweiter Faktor ist der strategische Erfolg am Heimmarkt. Aufgrund des steigenden Konsums ist der chinesische Binnenmarkt in vielen Branchen bereits so groß, dass es für Unternehmen ausreicht, an der Spitze des Heimatmarktes zu stehen, um gleichzeitig zu den weltgrößten Unternehmen gehören. Xiaomi war bereits der größte Smartphone-Hersteller weltweit, noch bevor es sein erstes Gerät exportierte – dank des überragenden Erfolgs seiner Telefone auf dem chinesischen Festland. Huawei stieg bei Xiaomi ein, als die Verkaufszahlen zurückgingen und das Start-up mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und sicherte sich somit umkämpfte lokale Marktanteile. Huawei stieg somit ebenfalls in die Top 5 der Welt auf. Sollte das Unternehmen seinen Platz in der globalen Rangliste verlieren, wird sicherlich ein chinesischer Konkurrent seinen Platz einnehmen. Unter die Weltbesten haben es vor kurzem auch die chinesischen Unternehmen Oppo und Vivo geschafft, die vor zwölf Monaten international noch unbekannt waren, sich aber rasch am Heimmarkt durchgesetzt haben“, so Nègre.

Dieses Muster sei auch in anderen Sektoren zu beobachten. Die TV-Marken Hisense, TCL und Skyworth hielten einen Anteil von je 15 Prozent am chinesischen Heimatmarkt, der sich auf rund 160 Millionen Fernseher pro Jahr belaufe. Die Qualität der besten Produkte verbessere sich stetig und nähere sich internationalen Standards an – auch wenn diese Marken noch nicht mit südkoreanischen oder japanischen Herstellern konkurrieren könnten. Sie hätten das Potenzial weiter in der Wertschöpfungskette aufzusteigen, heißt es weiter.

„Comac, der Hersteller des ersten kommerziellen Kurzstreckenflugzeugs Chinas, kann sein Produktangebot ausweiten, da er auf eine beträchtliche Binnennachfrage zurückgreift. Das erste Modell des Unternehmens, der ARJ 21, ein Kurzstreckenflugzeug mit 90 Sitzplätzen, wurde bereits mehr als dreihundertmal für insgesamt elf Milliarden US-Dollar verkauft. Fast alle Käufer waren Chinesen. Comac nutzte diesen Erfolg und kündigte jüngst eine Kooperation mit Russland für ein gemeinsames Langstreckenflugzeug an. Boeing und Airbus fühlen sich noch nicht bedroht, räumen aber ein, dass auf lange Sicht eine reale Konkurrenzgefahr besteht“, so Nègre.

Drittens spielten Akquisitionen eine strategische Rolle für chinesische Unternehmen. Das Tempo der Übernahmen ausländischer Unternehmen durch chinesische Marktführer scheine sich beschleunigt zu haben. Die Automobilhersteller nähmen gezielt ehrgeizige Akquisitionen ins Visier. Geely habe Volvo gekauft und Dongfeng Motors sei Teilhaber an PSA geworden. Lenovo habe vor einiger Zeit das PC-Geschäft von IBM übernommen und sich somit internationale Marktanteile gesichert. Die Automobilhersteller wendeten dieselbe Strategie an. Geely nutze das Know-how von Volvo, um einen Wagen ausschließlich für den chinesischen Premium-Markt zu bauen. Außerdem habe der Konzern eine Volvo-Fabrik in China eröffnet, als kostengünstige Produktionsstätte für den US-Markt, heißt es wieter.

„Obwohl die einzelnen Sektoren sehr unterschiedlich sind, haben alle diese Unternehmen eines gemeinsam: Sie profitieren von der Neuausrichtung des chinesischen Wirtschaftsmodells hin zum Konsum und nutzen ihren Anteile am Heimatmarkt, um international in Bereiche vorzustoßen, die für chinesische Unternehmen neu sind. Dies ist einer der Gründe, weshalb der Anteil Chinas am Welthandel stetig steigt. Trotz der berechtigten Sorgen über den chinesischen Finanzsektor scheint dieser Trend genug stark zu sein, um anzudauern“, so Nègre.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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