Kommentar
11:17 Uhr, 02.04.2014

Mythos Deflation

Inflation ist scheinbar kein Thema mehr in der öffentlichen Debatte. Deflation ist das neue Feindbild, das bekämpft werden muss.

Seit es Notenbanken gibt, war deren Aufgabe praktisch durchgehend immer die Bekämpfung von Inflation. Konstant hohe Preissteigerungen waren an der Tagesordnung. Die Wahrnehmung des Mandats „Preisstabilität“ konnte früher nie anders interpretiert werden, als dafür zu sorgen, dass die Inflationsrate im Rahmen bleibt. Es gab ja Zeiten, da waren Teuerungsraten um 5% eher die Regel als die Ausnahme.

Heute ist das anders. Das Inflationsniveau hat sich in den Industrienationen eingependelt zwischen 0 und 2%. Die letzten Jahre waren geprägt von Disinflation, also abnehmenden Inflationsraten. Und die Notenbanken sehen jetzt die Wahrung der Preisstabilität „nach unten“ als ihre neue Kernaufgabe an.

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen hat sich die hedonische Berechnungsmethode durchgesetzt. Das bedeutet, dass Qualitätssteigerungen von Produkten bei der Ermittlung der Inflationsrate berücksichtigt werden, was allerdings häufig schwierig bis unmöglich ist. Zum anderen hat die Globalisierung dazu geführt, dass typische Konsumprodukte in nahezu beliebigen Mengen günstig produziert werden können. Der technische Fortschritt sorgt dafür, dass die Produktionskosten stetig abnehmen. Ferner schwächt sich das Wirtschaftswachstum langsam aber sicher weltweit ab. Das ist der sogenannte „Basiseffekt“. Je größer eine Wirtschaft ist, desto eher gehen die Wachstumsraten zurück. Das ist sehr leicht nachvollziehbar.

Zuletzt haben außerdem ökonomische und politische Anpassungsmaßnahmen in einigen Euroländern dazu beigetragen, dass das verfügbare Realeinkommen gesunken ist. Eine logische Folge davon ist, dass auch die Preise nicht mehr stark steigen können. Oder sogar fallen. Deflation „droht“!

Wie Sie der öffentlichen Berichterstattung entnehmen können, heißt das neue Schreckgespenst also Deflation.

Der Begriff Deflation ist wahrscheinlich noch stärker negativ konnotiert als Inflation. Er steht für eine nicht nur einmalige, sondern länger anhaltende Periode von fallenden Preisen, gemessen anhand eines Warenkorbs, aus dem sich ein Index ergibt. In Europa ist das der HVPI (Harmonisierter Verbraucherpreisindex).

Es ist Notenbanken und Politik mit Hilfe von unkritischen Journalisten gelungen, einen Mythos um das Thema Deflation zu erschaffen. Neuerdings ist es das Allerschlimmste auf der Welt, wenn die Inflationsrate dauerhaft unter 2% liegt. Gebetsmühlenartig wird eine „deflationäre Abwärtsspirale“ beschworen. Ein gängiges Argument ist z.B., dass Konsumenten in Erwartung fallender Preise Ausgaben verschieben. Dadurch würde dann die Nachfrage sinken, die Preise weiter fallen, usw.

Das ist natürlich absoluter Quatsch. Es basiert auf einem theoretischen Modell, das einen 100% rationalen Homo oeconomicus unterstellt. Allerdings würde selbst der hypothetische HÖ sich schwer tun, bei niedrigen Deflationsraten eine Ausgabe zu verschieben. Ein bekannter SPIEGEL-Kolumnist, glühender Verfechter der These dass Deflation das Übelste ist was uns drohen kann, behauptete kürzlich ernsthaft , dass eine Familie z.B. den Kauf eines Kühlschranks aufschieben könnte, weil er im Folgejahr billiger sein könnte. Dazu müssen Sie wissen: wenn wir von Deflation sprechen, sind in der Regel Raten von -0,1 bis -1% gemeint.

Selbst in Japan, das Paradebeispiel für die angeblich desaströsen Auswirkungen von Deflation, lag die höchste Deflationsrate bei -1,67% (2009). Im Jahr davor waren es +0,39%, davor +0,70%, und danach -0,4%.

Bei so einer schlimmen Geldaufwertung verblasst natürlich die japanische Inflationsrate z.B. von +21% im Jahr 1974 völlig!

Über Japan müsste ich einen eigenen Artikel verfassen, denn gerade dieses Paradebeispiel der „Deflationisten“ taugt überhaupt nicht. Deflation war hier in keinster Weise eine Ursache von Problemen, sondern die Folge von Exzessen. Die angeblichen Abwärtsspiralen sind eine Erfindung. Doch dazu mehr in einem separaten Artikel.

Wichtig: Man sollte nun auf keinen Fall denken, dass Deflation unter allen Umständen ungefährlich ist. Würden die Preise auf breiter Front über mehrere Jahre um z.B. 5% p.a. fallen, wäre das schon sehr bedenklich. Schließlich sind viele Preise rigide, wie z.B. Löhne und Mieten. Da könnten Unternehmen schon in arge Probleme kommen. Von den Schwierigkeiten von Schuldnern ganz zu schweigen.

Aber wenn Deflation z.B. durch sinkende Energiekosten begünstigt wird, dann verdienen eben ein paar Energiemultis weniger. Na und?

Wenn Deflation z.B. durch Rationalisierung und technischen Fortschritt begünstigt wird, dann sinken ja auch die Produktionskosten. Wo ist das Problem?

Wenn Deflation durch sinkende Löhne entsteht, weil die Regierung gezwungen wird, Reformen durchzusetzen, die dringend nötig sind, dann sind leicht deflationäre Tendenzen die logische Konsequenz. Will man dann der Bevölkerung ernsthaft auch noch steigende Preise als positiv verkaufen, wenn diese ohnehin am Existenzminimum herumkrebst?

Kommen wir zum Kern der verzweifelten Deflationspropaganda. Es geht im Wesentlichen um drei Dinge:

  1. Die Zinsen so lange wie möglich unten halten
  2. Die Schulden so weit wie möglich inflationieren
  3. Im Währungskrieg mithalten und eine zu starke Aufwertung der eigenen Währung verhindern

Sowohl Fed als auch EZB haben bereits erklärt, dass das Inflationsziel (um die 2%) die Steuergröße Nummer 1 für die Zinsen bleibt. Das verschafft allen Marktteilnehmern und insbesondere Staaten Luft.

Die „Nebenwirkungen“ dieser Politik sind immens und ebnen den Weg für eine neue Finanzkrise. Die relativen Preise werden in massivstem Ausmaß manipuliert. Die rabiaten Teuerungsraten bei Immobilien und Vermögenswerten generell gehen aber gerade nicht in die offizielle Teuerungsrate mit ein. Hier bauen sich gigantische Blasen auf, während die Notenbanken sich für quasi nicht zuständig erklären. Schon ist vergessen, wo die Finanzkrise ihren Ursprung nahm. Im Immobilienmarkt und der Verbriefung von Hypothekenforderungen. Wir sind auf dem besten Wege zurück ins Jahr 2008.

Ihr

Daniel Kühn

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39 Kommentare

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  • Gleichgewichtspunkt
    Gleichgewichtspunkt

    Beim Thema Inflation/Deflation und Leitzinsen stelle ich mir seit einiger Zeit die Frage, wie die Inflations- oder Deflationsrate mit den Leitzinsen korrelliert ist.

    Ich bin kein Experte, aber ist die Inflations-/Deflationsrate nicht auch zum großen Teil eine Folge der Leitzinsen? Angenommen die Leitzinsen sind hoch, dann steigen die Kapitalbeschaffungskosten und damit auch irgendwann die Herstellungskosten von Gütern aller Art. Die Preise steigen. Umgekehrt fallen die Preise bei niedrigen Leitzinsen.

    Ist eine Bekämpfung von Deflation durch niedrige Leitzinsen langfristig gesehen deshalb nicht kontra-produktiv? Geldentwertung ist doch eine Folge von Geldmengenausweitung und die Geldmenge erhöht sich umso mehr, je höher die zu zahlenden Zinsen sind.

    Ist das eigentliche Problem hier nicht, dass vor allem einige Staaten sich zur Zeit keine hohen Zinsen leisten können? In der Konsequenz dieses Denkansatzes würden die aktuell niedrigen Leitzinsen dann auf lange Sicht nicht der Preisstabilität dienen, sondern vornehmlich der Staatsfinanzierung...

    Gibt es Denkfehler in meinen laienhaften Überlegungen?

    14:12 Uhr, 02.04.2014
    1 Antwort anzeigen
  • T.T.T
    T.T.T

    Der Text in ein Satz zusammengefasst: Alles im Leben hat seine Vor- und Nachteile.

    Eine Frage an Herrn Kühn, ich hörte vor einiger Zeit das 2014 eine Finanzkrise sein soll, da die Schulden der Banken einen kritischen Punkt erreiche. Eine Quelle kann ich nicht nennen, aber anscheinend wenn es zur einer erneuten Krise kommt bin ich sehr gespannt auf China den Yuan.

    Eine Finanzkrise tut den Chinesen mit ihren vielen Staatsreserven teilweise gut. Dies wäre die Möglichkeit für die Chinesen den Währungskrieg zu gewinnen.

    Ich denke, dass ich hier aber zu viel spekuliert hab oder auch nicht wer weiß das schon.

    Mit freundlichen Grüßen

    Ayko

    00:56 Uhr, 02.04.2014
  • Vito Corleone
    Vito Corleone

    @Daniel Kühn,
    zum Artikel "Wahnsinn: Neue ... " - Hahaha - klasse.
    ( Jetzt, zum Feierabend darf man es wohl "auflösen" )
    Aber leider zu offensichtlich, "Fuhlmie AG" neudeutsch für "Fool-Me-AG" ?
    Ja, alles klaro. Spätestens bei der gesperrten Kommentarfunktion,
    dürfte auch der Letzte wissen was gespielt wird. ;-)

    Eine AutoCorrect-Funktion mit "Rückabwicklung" - klasse -
    die hat aber schon ein gewisser H.G.Wells 1895 erfunden,
    in Fachkreisen auch als "the time machine" bekannt ;-)

    "Do laachs de disch kapott." (Kölsches Grundgesetz, §11)

    22:17 Uhr, 01.04.2014
  • student
    student

    Sehr geehrter Herr Kühn, ihr Artikel handelt von der Inflation. Wir betrachten aber hier nur die KONSUMGÜTERINFLATION.

    Seit Trichet erklärte, dass ihn die VERMÖGENSPREISINFLATION der FINANZWERTE nicht interessiert, ist für mich das Thema Inflation nur noch ein Märchen. Denn die Währungshüter der EZB verheimlichen uns die wahre Inflationsrate.

    Wenn ich mir ansehe, wie sich die Schulden seit 2008 von 70 auf jenseits von 100 Billionen bewegen, kann die offizielle Zahl nicht richtig sein. Das ist sie auch nicht. Wie dem auch sei: für mich soll die offizielle niedrige Inflationsrate das Volk beruhigen und verschleiern, dass EZB und FED sich längst von der Finanzierung und Steuerung der Realwirtschaft mit Krediten verabschiedet haben. Stattdessen pumpen sie gezielt Geld in die Finanzmärkte, um das längst bankrotte westliche Bankensystem am Leben zu erhalten - auf Kosten vom Wohlstand der Nationen.

    19:01 Uhr, 01.04.2014
    2 Antworten anzeigen
  • ZockFreak
    ZockFreak

    Herr Kühn, ausgewogener Artikel!

    Sie meinen den Herrn Münchau oder? Das ist wirklich teilweise nicht zu ertragen, was der Mann schreibt.

    @MD Advisory, Ihr Beispiel mit dem Fernseher hakt an 2 Stellen.

    1. Unterhaltungselektronik fällt schon immer im Preis. Das weiß jeder und kauft dennoch.

    2. Das Abwarten machen Sie doch unabhängig von einer erwarteten Inflationsrate. sie setzen am individuellen Preis an. In der Diskussion um das Thema wird aber unterstellt, das schon eine milde Deflation generell zu Kaufzurückhaltung führt. Das ist unrealistisch. Und die Notenbanken kaufen ja nicht fernseher an, sondern versuchen das gesamte Preisniveau anzuheben.

    Ein weiterer Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt: Die Notenbanken bringen uns alle mit dieser Politik um die Früchte der Globalisierung und des technischen Fortschritts.

    Würde man eine milde Deflation zulassen, könnte das sogar dem realen Wachstum helfen, da dann jeder real mehr konsumieren könnte. Deswegen kann ich auch nicht nachvollziehen, was den Krisenländern jetzt Inflation bringen soll. Die Menschen existieren doch eh zum Großteil am Rande des Zumutbaren herum. Steigt die Inflation, dann können sie real noch weniger konsumieren. wie soll da die Wirtschaft wachsen??

    18:33 Uhr, 01.04.2014
    1 Antwort anzeigen
  • Vito Corleone
    Vito Corleone

    "Die hedonische Berechnungsweise ist aber die richtige" (J. Stanzl)
    Ist das so ? Bitte Beweis/Beweise. Das möchte ich anzweifeln.
    Richtig für die Politiker, ja, aber allgemein, pauschal ?
    Problem an der hedon. Berechnung: Sie ist oft subjektiv !

    Beim Kühlschrank mag es ja noch angehen, da kann man die
    Stromeinsparung berechnen! Was ist aber z.B. bei Immobilien ?
    Der Wert könnte auch steigen, weil z.B. das Viertel gerade "en vogue" ist ?
    Haha, da hat sich die "Wohnqualität" verbessert.
    Oder die ganze schöne bunte Auto-Elektronik (nicht die Sicherheits-Technik).
    Z.B. Fahr-Kameras, Sprachsteuerung für Ach-ich-weiss-nicht-was, ...
    Ich brauch' diesen Müll nicht !
    Die "Qualitäts-Steigerung" sieht man die Tage wieder bei GeneralMotors.

    Von wegen "verfälschtes Bild".
    Warum werden dann nicht auch "Qualitätsverschlechterungen" eingerechnet ?
    Soll es geben, z.B. bei der Bahn (haha). Ab morgen auch bei der Lufthansa.
    Billiges Plastik, statt Metall. Oder z.B. Lebensmittel ?
    Wenn dort z.B. Bestandteile durch billigere ersetzt werden, wenn Gen-Fraas
    zunehmend verhackstückelt wird, wenn immer mehr durch Soja-Produkte ersetzt
    wird,, wenn der Erdbeer-Joghurt nur noch Erdbeer-Aroma aber keine Erdbeeren
    mehr enthält, wenn Schinken nur noch aus Resten zusammengeklebt wird, ...

    Und "Wenn ich das nicht mit reinrechne, bekomme ich ein verfälschtes Bild."
    Es ist doch schon eingerechntet - Da der Kühlschrank weniger verbraucht,
    kann der Hersteller ihn für einen höheren Preis absetzen (cet.par.).
    Genauso das "berühmte" PC-Beispiel. CPU 50% schneller = 50% mehr Qualität.
    Ist doch ebenso schon eingerechnet.
    Der schnellere PC kostet schließlich anfänglich auch mehr.

    Nach DER Logik müßten Kettenraucher und Alkoholiker einen Bonus bei der
    Rente bekommen. Sie schaffen Umsatz (bei Ärzten) und haben (statistisch)
    eine kürzere Lebenserwartung, also weniger Rentenjahre.

    Also, da ist der Willkür (poltischer Einfluss) doch Tür und Tor geöffnet.
    Es lebe die Statistik ! Sieht sowieso keiner so genau hin (siehe Griechenland).

    18:32 Uhr, 01.04.2014
  • MDADVISORY
    MDADVISORY

    Wenn der Ölpreis so weiter sinkt, kriegen wir richtig Deflation.

    17:47 Uhr, 01.04.2014
    1 Antwort anzeigen
  • MDADVISORY
    MDADVISORY

    Als letztens habe ich ein halbes Jahr darauf gewartet, dass ein bestimmter Sony Fernseher unter 700 EUR fällt. Er fiel dann auch für 2 Tage auf 640 EUR, wo ich dann gleich zugeschlagen habe. Dann kostete er wieder über 800 EUR. Im Moment kostet er 670 EUR. Die Frage ist schon, ob so ein Verhalten Deflation begünstigt.

    17:44 Uhr, 01.04.2014
    1 Antwort anzeigen
  • MDADVISORY
    MDADVISORY

    In der Vergangenheit gab es einen wesentlichen Bereinigungsprozess, der das japanische Dilemma gelöst hat. Das nennt man Krieg.

    Leider dient das heute nur noch bedingt als Lösungsansatz (außer im chinesischen Meer rappelt es bald).

    In Deutschland sehe ich das Problem auch, aber durch Einwanderung können wir das Thema der Demographie ggfs. lösen. Unlösbar ist es nicht. Außerdem haben wir ein Verschuldungsniveau was man noch händeln kann.

    17:43 Uhr, 01.04.2014
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Chefredakteur

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der vielseitig interessierte Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Seit 2012 leitet Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader)
Besondere Interessenschwerpunkte des überzeugten Liberalen sind politische und ökonomische Fragen und Zusammenhänge, Geldpolitik, Aktien, Hebelprodukte, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie generell neuere technologische Entwicklungen.

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