Mitten im Straffungszyklus
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Der nächste Zinsschritt
In der vergangenen Woche hat die Fed den Leitzins wie erwartet um 50 Basispunkte (BP) angehoben. Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell spielte das Risiko, dass die Zinsen in den folgenden Sitzungen um 75 BP erhöht werden könnten, herunter. In der Folge haben die Märkte den Pfad der erwarteten Zinserhöhungen für den Rest des Jahres und bis in 2023 hinein teilweise neu bewertet. Der Markt geht jedoch nach wie vor von weiteren Zinserhöhungen um 200 BP bis Ende 2022 aus und rechnet mit einer Fed Funds Rate von etwa 3,25 Prozent im zweiten Quartal kommenden Jahres. Wir gehen davon aus, dass die Fed mit der Straffung der geldpolitischen Bedingungen, die in den vergangenen Monaten mit den restriktiven Äußerungen der Fed-Vertreter bereits stattgefunden hat, recht zufrieden ist. Die Erwartungen für die Zinsen liegen bei über 3 Prozent, die Anleiherenditen sind gestiegen und die Kreditkosten für Unternehmen mit BBB-Rating liegen über 250 BP über dem Tiefstand vom vergangenen Sommer.
Der weitere Weg
Die letzte derart aggressive geldpolitische Straffung fand 2018 statt. Aktien und Unternehmensanleihen lieferten damals über das gesamte Jahr hinweg negative Gesamtrenditen. Die zweite Jahreshälfte verlief recht unangenehm, insbesondere als sich die Wachstumsindikatoren abschwächten. Betrachtet man einige Risikoindikatoren – die realen US-Renditen, die Break-Even-Inflation, den Spread zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen (BTP), den Euro-Crossover-CDS-Index, den Spread der Schwellenländeranleihen und den Aktienvolatilitätsindex VIX – so befinden sich einige, aber nicht alle, auf den Höchstständen von 2018. Am deutlichsten wird dies bei den Indikatoren im Credit-Bereich: Der Crossover-Index und der Spread von Schwellenländeranleihen befinden sich über den 2018 erreichten Höchstständen. Die realen Renditen, die Aktienvolatilität und der BTP-Bund-Spread haben noch einen weiten Weg vor sich. Zusätzliche Abwärtsrisiken für alle Märkte können nicht ausgeschlossen werden, da die Dynamik auf einen möglichen weiteren Anstieg der Anleiherenditen und einen weiteren Rückgang der Aktienkurse hindeutet. Auch eine mögliche Stagflation ist ein Hauptrisikofaktor.
Es ist schwierig, etwas Positives zu finden…
Unser Makro-Valuation-Sentiment-Technical-Rahmen (MVST) zur Beurteilung der Aussichten für verschiedene Märkte zeigt, dass der Makrofaktor durchweg negativ bleibt. Die Inflation mag ihren Höchststand erreicht haben, wird aber hoch bleiben. Das Wachstum verlangsamt sich bedingt durch den Druck auf die realen Einkommen der Haushalte und den breiten Anstieg der Inputkosten. Die Geldpolitik wird gestrafft. Diese Faktoren haben zusammen bereits zu negativen Renditen in allen Anlageklassen 2022 geführt. Die Kehrseite dieser Entwicklung sind bessere Bewertungen. Die Anleiherenditen und Spreads sind höher und die Aktienbewertungen sind seit vergangenem Jahr deutlich gesunken. Die Stimmung ist – den Marktkommentaren nach zu urteilen – nach wie vor recht schlecht und wir würden nicht damit rechnen, dass sie sich wesentlich verbessert, solange die Feindseligkeiten in Europa nicht eingestellt werden, die Energiepreise nicht fallen und die jährliche Inflationsrate nicht einen klaren Höhepunkt erreicht. Die BoE nahm ihre vierte Zinserhöhung in Folge vor und warnte zugleich vor einer höheren Inflation und einem schwächeren Wachstum. Dies löste sowohl an den weltweiten Anleihe- als auch Aktienmärkten eine negative Marktreaktion aus. Was die technischen Faktoren anbelangt, so sind Volatilität und Liquidität derzeit nicht hilfreich. Und für Anleiheinvestoren sind die Auswirkungen auf die Marktpreise, die sich aus der Abkehr der Zentralbanken von der quantitativen Lockerung und aus dem Abbau ihrer Bilanzen ergeben werden, ungewiss. Insgesamt ist das MVST-Modell bezüglich der meisten Faktoren negativ.
…aber es geht
Der Ölpreis ist nach wie vor hoch, er hat sich aber seit Mitte März vor allem seitwärts bewegt, wobei der Spotpreis der Rohölsorte Brent in einer Spanne von 100 bis 110 US-Dollar pro Barrel notierte. Die Erdgaspreise sind im Allgemeinen niedriger. Der große Druck von Seiten der Energie auf die Inflation geht somit vorüber, was zu niedrigeren Inflationsraten im Jahresvergleich beitragen wird. Interessant wird der Bericht zu den US-Verbraucherpreisen im April. Die Kernverbraucherpreise kletterten zwischen Oktober und Februar um 0,5 bis 0,6 Prozent pro Monat. Im März ging der monatliche Anstieg auf 0,3 Prozent zurück. Der aktuelle Bloomberg-Konsens geht von 0,4 Prozent für den April aus. Es könnte sein, dass die Dynamik der Kerninflation ebenfalls nachlässt (allerdings hat sich der in der Pipeline befindliche Druck nicht wesentlich verringert, wenn man den Erzeugerpreisindex als Maßstab nimmt). Gegenüber anderen wichtigen Währungen ist der Dollar fast auf einem 20-Jahres-Hoch. Der Treasury-Markt bietet bei diesen Renditeniveaus eine Gelegenheit, die Duration zu erhöhen. Wenn das Wachstum an irgendeinem Punkt einbricht und sich die Zinserwartungen umkehren, wird ein Rückgang der Treasury-Renditen um einen Prozentpunkt eine Gesamtrendite von sieben bis acht Prozent bringen. Das könnte man brauchen, wenn die Aktienkurse weiter fallen.
Uneinigkeiten bei den Zentralbanken
In der vergangenen Woche hat die BoE den Leitzins auf ein Prozent angehoben, sprach aber von einer deutlichen Wachstumsverlangsamung. Dies kam an den Märkten nicht gut an. Der Dow Jones Industrial Average fiel am 5. Mai um mehr als 1.000 Punkte. Darüber hinaus war der geldpolitische Ausschuss der BoE gespalten: Drei Mitglieder forderten eine Anhebung um 50 BP (Falken), einige hielten dagegen einen ausgewogeneren Ausblick auf Wachstum und Inflation für gerechtfertigt (Tauben). Es wird immer wieder gesagt, dass es große Unterschiede in der Arbeitsweise des Federal Open Market Comitee (FOMC) und des geldpolitischen Ausschusses der BoE (MPC) gibt. In den USA holt der Fed-Vorsitzende vor geldpolitischen Sitzungen Meinungen ein und bemüht sich diplomatisch um einen Konsens, der möglichst nahe an dem liegt, was den Märkten bereits mitgeteilt worden ist. In Großbritannien führt der MPC eher eine hitzige Debatte, weshalb es in der Vergangenheit häufig zu Meinungsverschiedenheiten kam. Die Folge sind nicht eindeutige Entscheidungen und deutliche Warnungen zu den Aussichten, die nicht zu den Erwartungen passen. Der Bloomberg-Konsens geht für Großbritannien von einem Wachstum um 3,8 Prozent in diesem und 1,6 Prozent im kommenden Jahr aus, während die Inflation im Durchschnitt 7,1 und 3,4 Prozent betragen soll. Dieser Ausblick ist „stagflationärer“ als die 2,1 Prozent Wachstum und 2,8 Prozent Inflation für die USA in 2023. Auch auf politischer Ebene ist mit Unsicherheit zu rechnen, so dass die Aussichten für das britische Pfund nicht sehr günstig sind. Ein weiterer Test der 1,20-Dollar-Marke ist wahrscheinlich – eine Wiederholung der Tiefststände von 2016 nach dem Brexit-Votum, sowie 2019 und 2020, als Covid kam.
Blick nach Europa
Es ist Konsens, dass die erste Zinserhöhung seitens der EZB im Juli erfolgen könnte. Wenn man bedenkt, dass die Benchmark-Rendite der zehn-jährigen Bundesanleihen seit vergangenem Sommer um 150 BP gestiegen ist, dann ist die EZB hinter der Kurve. Negative Zinsen bringen der Wirtschaft des Euroraums nicht viel und stellen für den Bankensektor ein Ärgernis dar. Die EZB muss sich also bewegen und die Zinsen zumindest in den positiven Bereich heben. Andernfalls riskiert sie einen noch schwächeren Euro, als er ohnehin schon ist. Der Markt preist für dieses Jahr Zinserhöhungen um 80 BP ein, was angesichts der Tendenz der EZB in den zurückliegenden Jahren unglaublich wäre. Einer der Risikoindikatoren, der deutlich unter dem Niveau von 2018 liegt, ist der Spread zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen. Er liegt derzeit bei 190 BP, wobei die Rendite zehn-jähriger italienischer Staatsanleihen 2,86 Prozent beträgt. Der Anstieg des Spreads ist auf kein italienisches Systemproblem zurückzuführen, sondern eher auf das allgemeine Inflationsumfeld und die geldpolitische Straffung. Mit dem Auslaufen der Ankäufe von Vermögenswerten ist das Letzte, was Europa gebrauchen kann, eine erneute Staatsschuldenkrise. Es ist daher wichtig, dass die EZB die Inflation glaubwürdig in den Griff bekommt, um den Anstieg der Zinsen zu begrenzen. Gelingt dies nicht, wird die Frage nach der Schuldentragfähigkeit aufkommen. Das italienische Wachstum ist jedoch nicht stark genug, um viel höhere Kreditkosten als derzeit zu verkraften.
USA bevorzugen
Bei der Portfolioausrichtung könnten US-Anleihen gegenüber Europa oder Großbritannien besser performen, da die Renditen höher sind und sie sich als Reaktion auf eine mögliche Straffung bereits stark bewegt haben. Der US-Dollar ist stark und auf kurze Sicht ist es schwer, Argumente für eine Wiederbelebung des Euro oder des britischen Pfunds zu finden. Auch ist das Wachstum in Europa schwächer, so dass aus Sicht von Unternehmensanleihen das Risiko höher ist, vor allem wenn die Beziehung zwischen Staats- und Bankschulden wieder in den Vordergrund rückt.
Gewinne aus dem Ölsektor sollten in Erneuerbare Energien fließen
Die beiden an der britischen Börse gelisteten großen Ölkonzerne legten vergangene Woche ihre Geschäftszahlen vor. Die Gewinne überraschten positiv und lösten eine weitere politische Debatte über die Besteuerung des Energiesektors aus, um Investitionen in erneuerbare Energien zu finanzieren und den Anstieg der Energiepreise für Haushalte abzufedern. Es ist eine Frage des politischen Willens, ob eine Sondergewinnsteuer auf Windfall-Profits von Energieunternehmen eingeführt werden sollte. Es ist jedoch wichtig, dass sich Investoren bei den Unternehmen engagieren, um sicherzustellen, dass die wirtschaftliche Rendite aus dem Preisanstieg in die Entwicklung der firmeneigenen erneuerbaren Energien gelenkt wird. Das sollte folgendermaßen funktionieren: Die hohen direkten Kosten fossiler Brennstoffe (ganz zu schweigen von den untragbaren indirekten Kosten) sollten die Umstellung auf erneuerbare Energien, die bei der Stromerzeugung inzwischen effizienter sind, beschleunigen. Wenn der Markt diese Umstellung nicht erleichtert, muss die Politik mehr tun. Das Zurückdrängen der Netto-Null-Agenda aus einigen Kreisen ist gefährlich und die Vorzüge sauberer, zuverlässigerer und politisch weniger toxischer Energie in der Zukunft müssen aggressiver herausgestellt werden.
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