Kommentar
08:58 Uhr, 14.12.2016

Märkte im Rausch: Darum interessiert das Italien-Votum niemanden

Die Gelassenheit der Märkte auf das gescheiterte Referendum und Renzis Rücktritt ist bemerkenswert. Es gibt dafür aber einen handfesten Grund.

Eigentlich sollte in Italien ja eine neue Ära beginnen, eine Ära von politischer Dynamik und Handlungsfähigkeit. Daraus wird nun erst einmal nichts. Der Ministerpräsident ist zurückgetreten und eine neue Regierung muss geformt werden. Daran wird derzeit gearbeitet und die Chancen stehen gut, dass es eine neue Regierung ohne Neuwahlen geben wird, doch sicher kann man sich der Sache noch nicht sein. Neuwahlen kann man noch nicht komplett ausschließen.

Vorgezogene Wahlen und auch reguläre Wahlen sind in Europa aktuell Nervenproben. Jedes Mal greift die Angst um sich, dass ein Unfall passiert und eine Partei an die Macht kommt, die tollpatschig das komplexe Geflecht aus EU und Währungsunion sprengt.

Auch Italien hat theoretisch das Zeug dazu. Praktisch ist es unwahrscheinlich. Das Wall Street Journal hat sich das Vergnügen gegönnt, italienische Regierungszeiten zu untersuchen. Das Ergebnis ist in der Grafik dargestellt. Im Durchschnitt liegt die Überlebensdauer einer italienischen Regierung bei etwas mehr als einem Jahr (386 Tage).

Im Einzelfall kann die Dauer sehr viel länger sein. Der Rekord liegt bei über 1.400 Tagen. Der Negativrekord liegt bei weniger als einem Monat. Kommt es in Italien zu Neuwahlen und zum Sieg einer Protestpartei, dann hat das vermutlich nur eine geringe Bedeutung.

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine neue Regierung überhaupt lang genug im Amt ist, um aus der EU auszutreten oder den Euro abzuschaffen, ist äußerst gering. Selbst wenn die Regierung lange im Amt ist, ist sie deshalb noch nicht automatisch handlungsfähig. Italienische Koalitionen setzen sich für gewöhnlich aus 3 bis 5 Parteien zusammen. Im Extremfall können es auch schon einmal 9 Parteien sein.

In einer solchen Konstellation mal schnell aus der EU auszutreten ist praktisch undenkbar. Zudem müsste ein solcher Beschluss durch die zwei Kammern. Dieser Prozess dauert sehr lange und endet für gewöhnlich in einem Kompromiss, der wenig mit der ursprünglichen Intention zu tun hat.

Renzis Reform ist gescheitert. Das ist für ihn und seine Regierung bedauerlich. Dafür gibt es die Sicherheit, dass – egal wer nun die Regierung stellt – ebenfalls nicht handlungsfähig sein wird. Die Politik lähmt sich selbst. Wenn also die 5 Sterne Bewegung bei Neuwahlen gewinnt, ist das noch lange kein Garant dafür, dass sich in Italien auch nur irgendetwas ändert. Die 5 Sterne Bewegung hat sich gegen die Verfassungsreform ausgesprochen. Das Referendum hat sie quasi gewonnen, aber damit auch besiegelt, dass sie selbst, sofern sie einmal an die Macht kommt, nicht handlungsfähig sein wird.

In Italien ändert sich also erst einmal nichts. Die EU steht damit nicht kurz vor dem Zusammenbruch. Ausschließen kann man es nicht, die Wahrscheinlichkeit ist jedoch gering. Dafür ist das Ergebnis für Italien selbst nicht gerade ermunternd. Ohne eine durchsetzungsfähige Regierung kommt es niemals zu den notwendigen Reformen, die mehr Wachstum begünstigen. Bis zu einem gewissen Grad wurde die ewige Stagnation einzementiert.

Clemens Schmale

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5 Kommentare

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  • porree
    porree

    aktien steigen langfristig immer weiter,solange sich die erde dreht

    12:25 Uhr, 14.12.2016
    1 Antwort anzeigen
  • Introspective
    Introspective

    Herr Schmale,

    wenn alles kein Problem darstellt und das Italien Votum niemanden interessiert,dann hätten sie Ihren Artikel auch schon vor 2 Wochen schreiben können...

    12:21 Uhr, 14.12.2016
  • tschak
    tschak

    Dolce Vita und LIRA-Abwertung - so habe ich bella Italia als Jugendlicher in den 90er Jahren (letzter Jahrtausend ; -) kennenlernen dürfen. Die Leute dort, verstehen es zu leben! Bzgl. Wirtschaft schaut es dort viell. anders aus - aber es wird schon - Man muss ihnen Zeit geben - Italiener wollten wohl nie ein zweites NEW YORK oder eine Wall Street in Mailand haben...Dafür bietet sich in Europa wohl eher London an...etc...

    10:41 Uhr, 14.12.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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