Kommentar
10:14 Uhr, 12.12.2018

Loblied auf höhere Zinsen

Viele reden jetzt schon wieder davon, dass die Zinserhöhungen in den USA und in Europa verschoben werden sollten. Ich halte das nicht für richtig.

  • Niedrige Zinsen sind aus der Sicht des Makroökonomen hilfreich, um die Konjunk­tur zu stabilisieren und die Inflation auf das erwünschte Niveau zu bringen.
  • Für Wirtschaft und Gesellschaft führen sie aber zu gravierenden Schäden, die schwer wieder gut zu machen sind.
  • Auch der sich verbreitende Populismus hat etwas mit niedrigen Zinsen zu tun.

Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, wird auch in dieser Woche wieder erklären, mit wie viel Risi­ken Konjunktur und Inflation noch behaftet sind. Die Zinsen müssten daher vorerst noch niedrig bleiben. Das leuchtet jedem Makroökonomen ein (jedenfalls vielen). Dies insbe­sondere in der aktuellen Situation, in der sich die Konjunktur abschwächt.

Aber Makroökonomie ist nicht alles. Was oft verdrängt wird: Viele der heutigen Probleme in Wirtschaft und Gesellschaft sind auf die zu niedrigen Zinsen zurückzuführen. Wenn sie noch lange auf diesem Niveau bleiben, entstehen Schäden, die in dieser Generation vielleicht nicht mehr gut zu machen sind. Ich will hier einmal zehn Gründe aufzählen, weshalb wir höhere Zinsen brauchen.

Dabei verstehe ich unter höheren Zinsen ein Niveau, das ausreicht, um die bestehenden Ungleichgewichte in der Volkswirtschaft zu beseitigen. Das wären unter den gegen­wärtigen Bedingungen rund 3 % für 10-jährige Bundesanlei­hen (1,5 % reales Wachstum plus 1,5 % Preissteigerung). Zuletzt hatten wir solche Zinsen vor acht Jahren (Grafik). Davor waren die Zinsen in Deutschland immer höher.

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Höhere Zinsen sind notwendig, erstens weil die Altersvor­sorge sonst gefährdet ist. Wie will ein Privatmann bei Ren­diten von fast Null Prozent ausreichend für sein Alter vor­sorgen? Die gesetzliche Rentenversicherung wird bei der absehbaren demografischen Entwicklung jedenfalls nicht in der Lage sein, auskömmliche Renten zu bezahlen und Altersarmut zu verhindern.

Zweitens brauchen wir höhere Sätze, um die Ungleichheit in der Gesellschaft nicht noch weiter zu verstärken. Die Rei­cheren profitieren von der höheren Rendite bei Aktien und Renten. Die Ärmeren sind auf Spareinlagen angewiesen, die nichts oder fast nichts abwerfen. Je länger die Zinsen so niedrig sind, umso größer wird die Ungleichheit.

Drittens sind höhere Zinsen nötig, um zu verhindern, dass die öffentliche Hand sich noch mehr verschuldet. Das ist in Deutschland im Augenblick vielleicht nicht das größte Pro­blem (anders als in anderen Ländern). Aber auch hier wä­ren höhere Zinsen hilfreich, den Finanzminister zu mehr Disziplin zu zwingen. Man hat schon manchmal den Ein­druck, dass er aus dem Vollen wirtschaftet.


Viele der heutigen Probleme in Wirtschaft und Gesellschaft sind auf die zu niedrigen Zinsen zurückzuführen.


Viertens sind höhere Zinsen erforderlich, damit die Ver­schuldung von Unternehmen und Konsumenten nicht noch weiter steigt. Je länger sie so niedrig sind, umso größer der Anreiz, Kredite auch dann aufzunehmen, wenn Bedienung und Rückzahlung bei höheren Sätzen nicht unbedingt ge­währleistet sind. Wenn die Zinsen dann doch steigen, dro­hen Zahlungsschwierigkeiten. Das ist genau das, was der­zeit in Italien zu beobachten ist.

Fünftens brauchen wir höhere Zinsen zur Sicherung eines stabilen Finanzsystemes. Banken gehen bei den derzeitigen Sätzen mehr Risiken ein, um überhaupt noch Geld zu ver­dienen. Versicherungen haben Schwierigkeiten, aus ihren Kapitalanlagen die versprochenen Auszahlungen zu leisten. Kapitalsammelstellen können weniger ausschütten. Ein ge­sundes Finanzsystem ist aber Voraussetzung für eine funk­tionierende Volkswirtschaft.

Sechstens helfen höhere Zinsen, Fehlinvestitionen in der Wirtschaft zu vermeiden. Der Zins trennt bei Investitionen die Spreu vom Weizen. Wenn er zu niedrig ist, werden auch Maschinen und Ausrüstungen angeschafft und Bauten er­stellt, die unter normalen Bedingungen nicht rentabel wären. Das kann sich später rächen.

Siebtens sind höhere Zinsen ein Rezept gegen spekulative Blasen an den Immobilienmärkten. Die überhöhten Preise für Grundstücke und Häuser in vielen Regionen Deutsch­lands und anderswo sind nicht zuletzt auf die niedrigen Finanzierungskosten zurückzuführen. Sie führen zu Woh­nungsnot und hohen Mieten wenn an den falschen Stellen gebaut wird.

Achtens: Höhere Zinsen helfen auch gegen überzogene Bewertungen an den Aktien- und Rentenmärkten. Sie wür­den die Verhältnisse an den Kapitalmärkten wieder auf eine vernünftige Basis stellen.

Schließlich zwei generelle Punkte. Neuntens: Der Zins ist der Preis der Zukunft verglichen mit der Gegenwart. Je niedriger die Zinsen, umso weniger kümmern sich die Men­schen um die Zukunft und umso mehr schauen sie auf die Gegenwart. Damit gerät das Wertesystem einer Gesell­schaft in Unordnung. Es wird weniger gespart und investiert. Die Menschen leben von der Hand in den Mund. Das ist nicht gut.

Zehntens: Niedrige Zinsen begünstigen Schuldner und belasten Gläubiger. In der Gesellschaft überwiegen aber rein zahlenmäßig die Gläubiger. Es ist also nicht verwun­derlich, dass es bei der Mehrheit eine verbreitete Unzufrie­denheit in Gelddingen gibt. Nimmt man dazu noch die Spal­tung der Gesellschaft in die von den Zinsen profitierenden "Eliten" und die weniger glückliche breite Masse der Bevöl­kerung, so hat man zwei wichtige Wurzeln des heutigen Po­pulismus. Er ist einerseits ein Produkt der niedrigen Zinsen. Andererseits treten Populisten wieder für niedrige Zinsen ein. Ein fataler Zirkel.

Für den Anleger

ist eine Erhöhung der Zinsen normalerweise ein schlechtes Signal. Die Konjunktur schwächt sich ab, die Inflation nimmt zu und als Folge davon entwickeln sich auch Aktien und Rentenkurse negativ. Das gilt jedoch nur kurzfristig. Sowie der Markt versteht, dass die Überwindung der niedrigen Zin­sen die Wirtschaft wieder auf eine gesündere Grundlage stellt, dreht sich die Stimmung und die Märkte reagieren positiv.


Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen: martin.huefner@assenagon.com.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

6 Kommentare

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  • G3ckOoo
    G3ckOoo

    Sie können ja mal die Gelbwesten oder Griechen dazu befragen. Oder Sie schauen einfach ein paar Rentnern hierzulande beim Flaschensammeln zu.

    14:23 Uhr, 13.12.2018
    1 Antwort anzeigen
  • G3ckOoo
    G3ckOoo

    Hier ist ein großer Denkfehler.

    Man senkt die Zinsen ja nicht zum Spaß, sondern weil man keine andere Wahl hat. Eine Erhöhung der Zinsen in einem auf Schulden basierenden Wachstumsmodel ist eine Utopie. Mit Erhöhung meine ich nicht die kleinen Auf und Abs. Wie soll das auch gehen? Schuldner (Staaten, Unternehmen, Personen) können nur dich Zinssenkungen, also einer Umschuldung zu besseren Konditionen am Leben gehalten werden. Es ist daher eine Utopie und würde den Zusammenbruch bedeuten.

    Es ist auch nicht erst in den letzten Jahren ein Problem geworden, sondern die Sackgasse war von Anfang an eine Einbahnstraße. Am Ende steht immer der Kollaps.

    Um das System zu beheben muss man verstehen was bei einem Kollaps passiert. Riesige Vermögenswerte werden vernichtet, also auch Schulden. Es findet eine Umverteilung wieder von Oben nach Unten statt.

    Das Ergebnis dieses Systems ist ja auch die größte Vermögensumverteilung in der Geschichte mit allen Konsequenzen. Die reichsten 8 Menschen besitzen soviel wie die Ärmere Hälfte der Menschheit. Während die Belastung für die Masse steigt bis es eben nicht mehr geht.

    Um den Kollaps zu verhindern muss also Spannung aus dem System. Vermögen muss also freiwillig von Oben nach unten wandern. Und genau das wird nicht passieren.

    12:01 Uhr, 13.12.2018
    1 Antwort anzeigen
  • Der Euro
    Der Euro

    Klasse Artikel Herr Dr. Hüfner! M.E. kann man auch durchaus sagen, dass nicht-vorhandene (oder Gott bewahre, gar negative) Basiszinsen einen gewissen Moral Hazard für Geld-emittierende Institutionen beinhaltet. Der glückliche Schuldner wird sich wohl die Gunst mit dem ein oder anderen Gefallen erkaufen wollen... Ich wünsche Ihnen und dem gesamten Assénagon Team an dieser Stelle schon mal ein frohes Fest und einen guten Rutsch ins neue Jahr.

    18:16 Uhr, 12.12.2018
  • German2
    German2

    prinzipiell richtig..nur die 1,5% Inflation ist Märchenstunde..es sind ca 5% ..siehe Shadowstats...viele Produkte die durch Automatisierung usw eigentl viel billiger sein mūssten sind trotzdem teurer geworden,maximal Preisstabll geblieben... dies vertfälscht die eigentliche Inflation... man muss sich anschauen was es kostet einen Brief oder ein Paket zu versenden... das treibt die Leute um....

    10:25 Uhr, 12.12.2018