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10:21 Uhr, 07.12.2012

„Krise? Was für eine Krise denn?"

Frankfurt (BoerseGo.de) - Die Finanzmärkte schwimmen in billigem Notenbankgeld und lassen sich von der allgemeinen Wahrnehmung einer Wirtschaftskrise anscheinend nicht beeindrucken. Die Situation erinnert Christophe Bernard, Chefstratege der Vontobel-Gruppe, an „Crisis? What Crisis", ein Werk der Popgruppe Supertramp aus dem Jahr 1975: Auf dem Cover ist ein Mann abgebildet, der sich inmitten einer Industriebrache unter einem Sonnenschirm entspannt.

In Anbetracht der starken Performance der Finanzmärkte sei 2012 bis jetzt ein guter Jahrgang. Weltweit seien die Aktienmärkte um zehn Prozent gestiegen, während die Schuldverschreibungen aus den Schwellenländern sowie hochverzinsliche Wertpapiere Renditen von zehn bis 15 Prozent erbracht hätten. Staatsanleihen aus Irland, Portugal, Spanien oder Italien hätten sogar noch besser abgeschnitten. Selbst die als „sichere Häfen" geltenden Staatsanleihen aus den USA, der Schweiz oder Deutschland hätten trotz einer rekordniedrigen Nominalverzinsung ordentliche Gewinne verzeichnet. Weniger günstig hätten sich die Rohstoffmärkte und die Hedgefonds, die aber immer noch positive Renditen erwirtschafteten, entwickelt, so Bernard.

Lässt sich diese Entwicklung mit besseren Konjunkturaussichten erklären? Die Antwort heißt dem Vontobel-Chefstrategen zufolge „nein“. Ein Vergleich mit den Konsens-Prognosen vor zwölf Monaten zeige, dass die meisten Regionen die Erwartungen enttäuschten. Eine Ausnahme bildeten allein die USA und die Schweiz. Lässt sich diese Entwicklung auf bessere Ertragsaussichten der Unternehmen zurückführen? Die Antwort heißt bei Bernard ebenfalls nein. Im laufenden Jahr haben die Analysten ihre Gewinnprognosen mehrfach nach unten revidieren müssen. Gegenüber dem Vorjahr seien die Unternehmensgewinne im Jahr 2012 nicht gestiegen – eine deutliche Enttäuschung.

„Die Widerstandskraft der Finanzmärkte beruht einzig und allein auf den außergewöhnlichen Stützungsmaßnahmen der Zentralbanken und Regierungen. Die Bemühungen staatlicher Institutionen zur Verhinderung einer Wirtschaftsdepression im Zuge des weltweiten Schuldenabbaus finden ihren Ausdruck in Begriffen wie „quantitative Lockerungsmaßnahmen" (QE), Nullzinspolitik (zero-interest-rate policy, ZIRP), langfristige Refinanzierungsgeschäfte (long-term refinancing operations, LTRO) oder „Outright Monetary Transactions" (OMT, das Anleihen-Kaufprogramm der Europäischen Zentralbank). Diese Kürzel sind zu entscheidenden Wegweisern auf der Anlagekarte geworden. Eine erfolgreiche Anlagestrategie ist ohne Kenntnis der Bedeutung der zugrunde liegenden Begriffe undenkbar“, so Bernard.

Zentralbanken und Regierungen hätten die Eintrittswahrscheinlichkeit systemischer Risiken massiv reduziert und somit auch dazu beigetragen, dass die Risikoprämien für risikobehaftete Anlageklassen gesunken seien. Allerdings bleibe das Anlageumfeld von übermäßiger Verschuldung, schleppendem Wirtschaftswachstum und negativen Realzinsen geprägt. Zudem bestehe wenig Raum für einen Anstieg der Unternehmensgewinne. In einer solchen Situation dürften sich die Märkte für Unternehmens- und Schwellenländeranleihen am besten entwickeln und nach wie vor das beste Risiko-/Renditeprofil aufweisen. Dies gelte vor allem für Schuldverschreibungen aus den Schwellenländern in lokaler Währung. Insgesamt bewegten sich die Aktienmärkte in engen Bandbreiten, da eine nachhaltige Hausse ohne Ertragswachstum nicht möglich sei. Eine übermäßige Staatsverschuldung belaste nicht nur das Wirtschaftswachstum, sondern führe auch zu Steuererhöhungen oder Änderungen des rechtlichen Rahmens, die für die Aktionäre negativ ausfallen.

„In einem solchen Umfeld konzentrieren wir uns ausschließlich auf aussichtsreiche Themen wie Aktien mit einer Verbindung zur Erholung des Häusermarktes in den USA, US-amerikanische Banken oder chinesische Aktien. Vor kurzem haben wir eine Position in Japan – bei gleichzeitiger Absicherung des Yen – aufgebaut. Die Kombination von attraktiver Bewertung, einer erwarteten Neuausrichtung der Geldpolitik der Bank of Japan und schwacher Währung dürfte japanischen Aktien Auftrieb verleihen. Kurzfristig lassen wir uns weiterhin von Vorsicht leiten. Sobald sich in den USA eine Lösung der Problematik rund um die „fiskalische Klippe" abzeichnet, werden wir die Portfolios aber möglicherweise selektiv um risikobehaftete Anlagen erweitern. Die konjunkturellen Frühindikatoren aus den USA und aus China, die auf eine verbesserte Wirtschaftsdynamik schließen lassen, geben Anlass zu mehr Optimismus für 2013“, so Bernard.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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