Konjunkturermüdung
- Lesezeichen für Artikel anlegen
- Artikel Url in die Zwischenablage kopieren
- Artikel per Mail weiterleiten
- Artikel auf X teilen
- Artikel auf WhatsApp teilen
- Ausdrucken oder als PDF speichern
Für unseren Investmentausblick bleibt entscheidend, was in den USA passiert – eine weiche Landung, eine Rezession oder etwas anderes? Laut Fed ist die Inflation noch nicht besiegt. Die Notenbank hat aber eine Zinspause eingelegt und hofft, dass um 500 Basispunkte höhere Leitzinsen Wachstum und Preisauftrieb dämpfen. Keineswegs zeigen die Konjunkturdaten eine sichere Rezession an, und auf Einzelwertebene sieht es nicht anders aus. Am Markt scheint man sich nicht festlegen zu wollen, trotz manch deutlicher Hinweise. Man investiert deshalb weiter in kurz laufende Anleihen. Aktien legen zwar weiter zu, können aber ebenso schnell wieder einbrechen, wenn sich die Einschätzung ändert oder die Zahlen schwächer werden. Genießen wir also den Sommer, solange es geht.
Pause, aber Warnungen: Am 14. Juni ließ die Fed ihren Leitzins wie allgemein erwartet bei fünf Prozent. „Hawkish Skip” wurde das genannt – eine Zinspause zwar, aber mit scharfer Begleitrhetorik. Außerdem aktualisierte die Notenbank ihre Prognosen, was ebenfalls für weitere Zinserhöhungen spricht. Sie schließt eine überraschend hohe Inflation nach wie vor nicht aus und hält die Konjunktur für stabiler als nach den Bankenzusammenbrüchen im März. Durch die Entscheidung der Fed steigen die Zinserwartungen – für den Tagesgeldsatz in drei Jahren rechnet man jetzt mit 4,2 Prozent, nach 3,5 Prozent vor einem Monat. Man geht also von weniger Zinssenkungen aus, und weil zugleich die Inflation gefallen ist, hat der implizite Realzins kräftig zugelegt. Doch obwohl die Fed nach ihrem Dot Plot 2023 noch zwei Zinserhöhungen plant, rechnet man am Markt bestenfalls mit einer. Die implizite Federal Funds Rate für Ende 2023 beträgt 5,22 Prozent. Offensichtlich erwartet man am Markt noch länger Leitzinsen wie jetzt oder etwas darüber.
Hartnäckige Kernteuerung: Das ist auch plausibel, liegt doch die Inflation noch immer deutlich über dem Notenbankziel. Im Mai fiel sie zwar auf vier Prozent, aber die Kernrate verringerte sich nur leicht auf 5,3 Prozent. Monat für Monat steigt der Kernindex um etwa 0,4 Prozent, was auf eine Jahresrate von 4,8 Prozent hinausläuft. Das ist zu viel. Wenn die Kerninflation nicht nachlässt, wird die Fed dabei bleiben, dass die Geldpolitik erst einmal straff bleiben muss.
Schwierige Prognose: Entscheidend für den Ausblick wird sein, ob der US-Wirtschaft eine weiche Landung gelingt oder ob sie doch in die Rezession fällt. An den Aktien- und Credit-Märkten ist man optimistisch. Meine Anleihenkollegen und ich haben gerade unsere vierteljährlichen Konjunktur-, Zins- und Credit-Prognosen formuliert. Fest steht, dass die Unternehmen fundamental stabil sind. Dank des hohen nominalen Gewinnwachstums haben sie Schulden abgebaut, und wer neue Anleihen begeben musste, hatte es in den letzten Monaten leicht. Die Unternehmen haben Liquiditätspuffer aufgebaut – für den Fall, dass die Konjunktur einbricht. Die Arbeitslosigkeit bleibt niedrig, der Konsum hoch. Nach der Einigung über die Schuldenobergrenze wird auch die Fiskalpolitik keine Probleme machen.
Geldmarktanlagen weiter attraktiv: Wenn doch eine Rezession kommt, wird sie keine wirkliche Überraschung sein. Seit einem Jahr ist die Zinsstrukturkurve invers, das Geldmengenwachstum ist eingebrochen, und die Kreditbedingungen werden straffer. Da liegt es nahe, dass die Anleger vorsichtig sind. Warum soll man zusätzliche Durations-, Kredit- und Aktienrisiken eingehen, wenn man mit Geldmarktfonds 5 % und mit Investmentgrade-Kurzläufern 5,5 Prozent bis sechs Prozent verdienen kann? Weil uns die Fed immer wieder versichert, dass die Zinsen erst einmal hoch bleiben, brauchen Geldmarktanleger auch keine Wiederanlagerisiken zu fürchten. Bis zu einem Jahr Laufzeit ist die US-Zinsstrukturkurve fast eine Gerade. Kaum anders ist es in Europa: Französische Staatstitel mit zwölf Monaten Laufzeit bieten 3,4 Prozent Rendite, während man mit Zehnjahresanleihen nur drei Prozent verdient.
Arbeitsmarkt: Ich weiß nicht, ob die USA in die Rezession fallen, wann sie droht und wie schlimm sie dann wird. Die Daten sind einfach viel zu uneinheitlich. Entscheidend wird aber der Arbeitsmarkt sein, und er zeigt bislang keinerlei ernste Schwächen. Normalerweise bauen US-Unternehmen sofort Stellen ab, wenn die Nachfrage fällt und die Gewinne nachgeben. Mein Kollege David Page, der unser Macro Research leitet, und sein Team haben die Arbeitsmärkte in den Industrieländern genauer unter die Lupe genommen. Ihr Fazit: Seit Corona ist das Arbeitskräfteangebot aus mehreren Gründen kleiner. So lassen sich mehr Arbeitnehmer lange krankschreiben, und in etlichen Ländern haben sich viele Menschen auch ganz vom Arbeitsmarkt verabschiedet. Die Unternehmen halten deshalb an ihren Mitarbeitern fest. Sie scheuen sich, sie zu entlassen, weil das Personal knapp werden könnte, wenn sich die Konjunktur wieder belebt. Sicher sind weitere Studien nötig, doch es scheint nahezu sicher, dass sich der Arbeitsmarkt in vielen Ländern seit Corona grundlegend verändert hat. Das hat großen Anteil am Arbeitskräftemangel und dem stärkeren Lohnanstieg. Mittelfristig könnte es daher schwierig werden, die Inflation auf das Notenbankziel oder darunter zu senken.
Gut gepolstert? Eine weiche Landung ist wegen der krisenfesten Unternehmen und Haushalte noch immer möglich, und auch die Aktienmarkterwartungen sind keineswegs katastrophal. Die Gewinnrevisionen für die nächsten zwölf Monate waren zuletzt insgesamt positiv. In den letzten drei Jahren mussten Unternehmen und Haushalte mit vielem zurechtkommen – mit Lockdowns, dem Energiepreisschock und einer drastischen Straffung der Geldpolitik. Man betreibt daher mehr Vorratshaltung und überlegt sich Ausgaben zweimal. Die fortschreitende Digitalisierung großer Teile der Wirtschaft fördert Investitionen und die Entwicklung neuer Produkte. Es stimmt zwar, dass der Fed nur selten eine weiche Landung gelungen ist. 1995 und 2018 scheint sie es aber geschafft zu haben.
Abwarten: Die Antwort werden wir erst später kennen. Nach den klassischen Vorboten für eine Rezession – wie eine beginnende Straffung der Geldpolitik oder eine inverse Zinsstrukturkurve – vergeht oft viel Zeit, bis das BIP tatsächlich einbricht. Eine Rezession Anfang 2024 entspräche durchaus den Erfahrungen. Damit es aber wirklich dazu kommt, müssten die Unternehmensnachrichten nachgeben und die Arbeits-losigkeit steigen. Bis dahin könnten sich die Märkte seitwärts bewegen, mit echtem Potenzial lediglich für Technologieaktien. Dennoch können Anleger Geld verdienen. Kurz laufende Anleihen scheinen fürs Erste attraktiv. Je näher die erste Zinssenkung rückt, desto interessanter kann dann eine allmähliche Verlängerung der Duration sein.
Europa ist keine Insel der Seligen: Unterdessen blickt die Europäische Zentralbank (EZB) noch immer zurück statt nach vorn und bleibt bei einer straffen Geldpolitik. In Teilen des Euroraums hat die technische Rezession schon begonnen. Sie könnte sich verschlimmern, wenn die Notenbank die Zinsen weiter anhebt und der Wirtschaft Liquidität entzieht. Die Refinanzierungskosten der Banken werden dann steigen, die Kreditbedingungen werden noch straffer. Vielleicht weiten sich in den nächsten Monaten die Peripherieländerspreads wieder aus, vor allem, wenn die EZB mehr Anleihen verkauft. Anfang 2023 hielten wir europäische Aktien für interessanter als US-Titel. Das ist jetzt nicht mehr so sicher, auch wenn Europa günstiger bewertet scheint.