Kommentar
10:48 Uhr, 28.11.2018

Konjunktur: Mittelmaß

Die Konjunktur war bisher eine der Stützen der Aktienentwicklung. Bricht sie jetzt weg, wie einige meinen?

  • Es gibt gute Gründe, sowohl für den Fall, dass die Konjunktur im nächsten Jahr stabil bleibt, als auch für den Fall, dass sie abstürzt.
  • Wenn zwei Dinge gleich wahrscheinlich sind, ist es vernünftig, sich für die Mitte zu entscheiden. Das ist allerdings langweilig.
  • Aktien bleiben unter diesen Umständen die bevorzugteste Anlageform. Die Kursentwicklung wird Anleger aber nicht vom Hocker hauen.

Die Konjunktur ist einer der wichtigsten Faktoren, die die Aktienmärkte beeinflussen. Ist sie gut, dann verdienen die Unternehmen ordentlich und die Aktienkurse gehen nach oben. Ist sie schlecht oder droht gar eine Rezession, dann gehen die Gewinne zurück und die Aktionäre müssen sich auf Rückschläge gefasst machen.

Bei einer Reihe von Kundengesprächen in der letzten Wo­che zeigten sich die Meinungen zu den konjunkturellen Aus­sichten sehr gespalten. Es gab viele, die nach wie vor auf eine stabile Entwicklung im Jahr 2019 setzen. Die Abschwä­chung, die wir im Sommer in Europa beobachteten, sei nur vorübergehend. Spätestens im nächsten Jahr werde es wie­der nach oben gehen. Es gab aber auch andere, die skepti­scher waren. Der Zyklus dauere jetzt schon so lange, dass ein Ende fällig sei (siehe Grafik). Es könnte daher im kom­menden Jahr zu einer deutlichen Abschwächung, vielleicht sogar einer Rezession in Europa und Japan kommen.

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Wer hat recht? Das Vertrackte ist, dass beide Meinungen gleich gute Gründe anführen können. Die Optimisten ver­weisen darauf, dass es bisher keine größeren Ungleichge­wichte im Aufschwung gebe. Die Nachfrage sei trotz aller Risiken stabil. Das gilt selbstverständlich für die USA, wo die Steuersenkung die Wirtschaft stark gestützt hat. In Euro­pa ist es schwieriger. Aber auch hier wird die Finanzpolitik nach den Jahren der Austerität expansiver. Die Italiener wollen das Staatsdefizit nicht reduzieren, sondern eher aus­weiten. In Frankreich gibt es – wenn auch nicht so krass – ähnliche Tendenzen. In Deutschland treten im nächsten Jahr Ausgabensteigerungen und Abgabensenkungen in Hö­he von etwa EUR 19 Mrd. in Kraft.

Die Nachfrage in der Autoindustrie wird sich nach dem Ein­bruch im Herbst wieder erholen.


Es ist Mittelmaß, in dem wir uns bei der Konjunktur bewegen.


Hinzu kommt, dass die Zinsen niedrig und die Liquidität reichlich bleiben wird, selbst wenn die EZB wie angekündigt die Wertpapierkäufe zum Jahresende auslaufen lässt. Auch in den USA wird die Fed bei ihren Zinserhöhungen nicht ris­kieren, dass die Konjunktur darunter leidet.

Die Pessimisten verweisen dagegen auf die vielfachen poli­tischen Risiken, die die wirtschaftliche Aktivität beeinträch­tigen. Der Brexit lässt die Nachfrage aus Großbritannien weiter einbrechen. Die neuen Sanktionen der Vereinigten Staaten gegen den Iran treffen einen Markt, der nicht nur für die Deutschen immer wichtig war. Die bisherigen Handels­restriktionen der Amerikaner haben Europa und Japan bis­her zwar noch nicht stärker belastet. Wenn Trump aber Zöl­le auf deutsche Autos erheben sollte, wird es schwierig. In China hat sich das Wachstum bereits abgeschwächt.

Es gibt daneben auch interne Risiken. Die lange Phase einer stabilen Aufwärtsentwicklung mit Nullzinsen hat dazu geführt, dass die Risikoneigung größer geworden ist. Unter­nehmen und private Haushalte tätigen Investitionen oder Ausgaben, die sie früher für zu riskant gehalten hatten. Im­mer mehr Leute denken: In der Vergangenheit ist alles gut gegangen, warum soll es nicht auch in Zukunft so weiter gehen? In den Handelsräumen der Banken sitzen zuneh­mend Trader, die die große Finanzkrise nicht mehr erlebt haben. Das ist gefährlich.

Das Handelsblatt hat letzte Woche berichtet, dass in den Bilanzen deutscher DAX-Unternehmen fast EUR 300 Mrd. Goodwill enthalten sind, die durch verteuerte Unterneh­mensübernahmen entstanden sind. Daraus können schnell Abschreibungen und Verluste werden. Wie viele Immobilien sind in den letzten Jahren zu überhöhten Preisen erworben worden? Wie viele Investitionen sind nur wegen der niedri­gen Zinsen rentabel? Banken haben in den letzten Jahren ihre Kreditstandards vielfach reduziert. Wenn sich die Kon­junktur nur leicht verschlechtert oder die Zinsen nur wenig steigen, können in ihren Bilanzen erhebliche Non­-Perfor­ming Loans entstehen.

Gleichzeitig sind in der Phase stabilen Wachstums notwen­dige Anpassungen in der Produkt- und Produktionsstruktur unterlassen worden. Siehe die deutsche Autoindustrie, die bei der Elektromobilität und der Batterietechnik zurückgefal­len ist. Ähnlich die deutschen Banken. All das kann sich bei schwächerer gesamtwirtschaftlicher Entwicklung rächen.

Wer hat nun mit seiner Konjunktureinschätzung recht, die Optimisten oder die Pessimisten? Hier gibt es kein Richtig oder Falsch. Beides kann eintreten, beides ist gleich wahr­scheinlich. Risiko-Manager entscheiden sich in solchen Fäl­len für die Mitte. Das ist zwar langweilig, gibt am Ende aber die vernünftigsten Ergebnisse. Es wird im nächsten Jahr also schlechter gehen als in diesem Jahr, aber keinen Ab­sturz mit einer möglichen Rezession geben. Es ist Mittel­maß, in dem wir uns bei der Konjunktur bewegen. Die guten Fundamentalfaktoren sprechen dagegen, dass die Risiken schlagend werden. Umgekehrt sorgen die Risiken dafür, dass die wirtschaftliche Aktivität nicht zu gut wird.

Ich rechne für Deutschland mit einem realen BIP-Wachstum von 1,5 % für 2019, für den Euroraum mit etwas mehr, für Japan mit weniger (1 %). In den USA wird es wegen der Nachwirkungen der Steuersenkung besser gehen (2,5 %). China wird voraussichtlich mit 6,5 % expandieren. Solche Raten hauen niemand vom Hocker, sind aber auch kein Grund zur Panik.

Für den Anleger

Unter diesen Umständen bleiben Aktien für den Langfrist-Investor die bevorzugte Anlageform. Sie werden keine gro­ßen Kursgewinne bringen, haben aber eine nach wie vor at­traktive Dividendenrendite. Ziehen Sie sich wegen der Risi­ken aber wärmer an. Reduzieren Sie vor allem die Aktien­quote (wenn Sie das noch nicht getan haben). Bleiben Sie in jedem Fall wachsam, wenn sich die Bedingungen ver­schlechtern. Ein Absturz kündigt sich nicht langsam an, son­dern kommt – wenn er denn kommt – eher plötzlich wie aus dem Nichts.


Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen: martin.huefner@assenagon.com.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

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