Kommentar
12:12 Uhr, 11.02.2022

Kommt nach dem Inflationsschock der Zinsschock?

Nach den Inflationsdaten am Donnerstag dauerte es einige Stunden, bis sich Anleger entscheiden konnten, wie die Daten zu werten sind. Es sieht nicht gut aus.

In den USA hatten sich Anleger mit der Zinswende mehr oder weniger angefreundet – bis zur Veröffentlichung der Inflationsdaten. Vor der Veröffentlichung durfte man noch auf eine gemächliche Zinswende hoffen. Nun muss man aggressive Zinsschritte befürchten.

In der Eurozone ist man ebenfalls dabei, eine Zinswende einzupreisen. Die EZB hat zwar bisher keinen Zeitplan für die Zinswende vorgegeben, doch allein die Tatsache, dass EZB-Chefin Lagarde keine Garantie für keinen Zinsschritt in diesem Jahr mehr abgeben wollte, hat Anleger wachgerüttelt. Der Euro legte über 1 % zum Dollar zu. Die Renditen der Anleihen der Euromitgliedsländer legten zu.

Die Reaktion der Anleger in Europa erschien mir persönlich etwas übertrieben. Die EZB hält an ihrem Plan fest, erst das Pandemiekaufprogramm im März zu beenden. Danach wird das bestehende QE-Programm mit 40 Mrd. pro Monat im zweiten und mit 30 Mrd. im dritten Quartal fortgeführt. Ab Oktober sinkt der monatliche Kaufbetrag auf 20 Mrd. Das entspricht dem Betrag, den die EZB auch vor der Krise monatlich erwarb.

Erst nach dem Ende von QE werden die Zinsen angehoben. So ist es eventuell möglich, dass der Einlagensatz der EZB im Dezember von -0,5 % auf einen weniger negativen Wert steigt. Eine radikale Zinswende ist das nicht. Die Eurozone hat viele Problem. Eine Erhöhung des Einlagensatzes Richtung 0 % gehört nicht dazu. Im Gegenteil sogar, die Aushöhlung des Bankensystems würde endlich beendet und die Stabilität des Finanzsystems stärken.

Rational ist die Angst vor der Zinswende nicht. Die Reaktion zeigt aber, wie wichtig Erwartungshaltungen sind. Wird etwas nicht erwartet, egal wie schlimm oder wie banal es ist, es kann verschrecken. Der Schrecken ist meist schlimmer als die realwirtschaftliche Bedeutung. Erwartungen passen sich nun in der Eurozone an.

In den USA müssen neue Erwartungen gebildet werden. Die Inflationsdaten haben vieles verändert. Einzelne Notenbanker fordern bis Juli einen Leitzins von einem Prozent. Das ist bisher nicht eingepreist und erklärt den aktuellen Verkaufsdruck bei US-Aktien.

Generell muss man vor der Zinswende keine Angst haben, sofern sie sich entlang der Erwartungen bewegt. Die Erwartungen in den USA und nun Europa sehen eine Loslösung von der Nullzinspolitik vor. Noch ist die Zinswende nicht zu erkennen (Grafik 1). Bis jetzt wurde ein behutsames Vorgehen erwartet. Solange das der Fall ist, bleibt alles im grünen Bereich.

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Der Bereich kann jedoch schnell rot werden. Zinswenden können nämlich auch ganz anders aussehen. Bisher versteckte sich die globale Zinswende in Emerging Markets (Grafik 2). Diese Zinswende wird von Anlegern souverän ignoriert, was sich als Fehler herausstellen kann. Viele Emerging Markets haben nicht unbedingt höhere Inflationsraten als die USA. Trotzdem wird entschlossen gehandelt.

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Besonders bemerkenswert ist die Koordination. In der Vergangenheit gab es Länder, die die Zinsen anhoben und andere, die sie senkten. Aktuell heben alle die Zinsen an und dies auch noch in einem Tempo, welches es selbst vor der Finanzkrise nicht gab.

Die Zinswende ist auch schon längst bei den weniger dominanten Notenbanken in entwickelten Ländern in Europa und Asien angekommen (Grafik 3). In Tschechien liegt der Leitzins über dem Niveau aus dem Jahr 2008. Höhere Zinsen als vor der Finanzkrise schienen bisher vollkommen undenkbar.

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Auch hier gilt: Die Zinswende erfolgt schneller als alle anderen in den vergangenen 30 Jahren und sie ist synchron. Die Mehrheit der globalen Notenbanken macht Tempo. Lediglich die großen Notenbanken haben bisher nicht reagiert. Die Frage drängt sich auf: Wer irrt, die Mehrheit oder die Minderheit der großen Notenbanken?

Was Anleger nicht erwarten, geschweige denn eingepreist haben, ist eine Zinswende wie sie sonst überall auf der Welt zu finden ist. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein ähnlich radikaler Weg eingeschlagen wird, wurde von Anlegern bisher mit Null bewertet. Die Wahrscheinlichkeit ist deutlich größer als Null. All die anderen Notenbanken sind ja nicht blind und inkompetent. Sie sehen etwas, was die großen Notenbanken nicht sehen oder sehen wollen.

Die US-Inflationsdaten rütteln nun Anleger wach. Anleger müssen möglicherweise eine vollkommen andere Zinswende einpreisen als bisher. Anstatt gemächlicher Zinsschritte ist ein steiler Anstieg wie in Polen, Ungarn, Tschechien und anderen Ländern nicht mehr auszuschließen.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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