Fundamentale Nachricht
12:52 Uhr, 13.03.2019

„Keine EZB-Sitzung wie jede andere – überraschend ängstlich“

Die EZB hat ihre Wachstums- und Inflationsprognosen drastisch reduziert und nach Einschätzung der DWS-Experten überraschend früh ihre Geldpolitik festgelegt.

Frankfurt (GodmodeTrader.de) - Eigentlich galt seit der Finanzkrise unter Anlegern das ungeschriebene Gesetz, dass schlechte Wirtschaftsnachrichten gute Marktnachrichten sind. Denn dann war stets mit der Hilfe der Zentralbanken zu rechnen. Und zeigte sich eine Zentralbank nach einer Sitzung akkommodierender, also dovisher als gedacht, wurde das von den Märkten ebenfalls umgehend gefeiert, wie die Finanzexperten der DWS im aktuellen „CIO Flash“ schreiben.

Für knapp eineinhalb Stunden hätten am Donnerstag die europäischen Aktienanleger gedacht, sie könnten weiterhin nach diesem gut einstudierten Drehbuch handeln. Der Dax und Stoxx Europe 600 hätten mit der Publikation der Europäischen Zentralbank (EZB)-Pressemitteilung einen Satz nach oben gemacht, der jedoch noch während der Pressekonferenz wieder einkassiert worden sei, bevor die Märkte dann ins Minus gedreht hätten. Das sei insbesondere für den Dax umso bemerkenswerter, als dass der Euro gegenüber dem Dollar um über ein Prozent nachgegeben und sogar kurz mal unter der 1,12 gehandelt habe. Normalerweise helfe ein schwächerer Euro dem exportlastigen Dax auf die Sprünge, heißt es weiter.

Auch die Rentenmärkte hätten deutlich reagiert. Am Ende des Tages habe sich die ohnehin schon dürftige Rendite zehnjähriger Bundesanleihen halbiert, auf 0,06 Prozent. Die neunjährigen Anleihen rentierten bereits wieder negativ und auch ein erneutes, temporäres Rutschen der Zehnjährigen ins negative Territorium sei nicht mehr auszuschließen, heißt es weiter.

„Diese Sitzung hat uns überrascht. Die EZB zeigt sich deutlich besorgter über Europas Wirtschaft, als von allen erwartet. Wie ernst die Anleger die Sorgen der EZB nehmen, zeigt sich an den Marktreaktionen, die trotz des akkommodierenden Tons negativ waren", sagt Ulrike Kastens, Volkswirtin der DWS.

Die EZB habe nach ihrer Sitzung die Märkte nicht nur mit der frühen Festlegung ihrer Geldpolitik überrascht, sondern auch mit ihrem pessimistischen Wirtschaftsausblick. Das gesamte Paket, das am Donnerstag angekündigt wurde, enthalte drei wichtige Botschaften: Erstens die Korrektur der wachstums- und Inflationsprognosen, zweitens die die überraschend Änderung der Zinsprognose - Zinserhöhungen würden für 2019 ausgeschlossen – und drittens die neue Runde der Targeted Longer-Term Refinancing Operations (TLTROs), heißt es weiter.

Die Vorsichtigkeit der EZB hat die Märkte überrascht. Sie hat ihre Prognosen reduziert, erste Details zu TLTROs angekündigt und ihre Geldpolitik akkommodierender als erwartet ausgerichtet. Die drastische Reduzierung der BIP-Wachstumsprognosen und die weitere Einschätzung der wirtschaftlichen Chancen und Risiken als negativ bedeutet jedoch, dass die EZB weiterhin über die wirtschaftliche Entwicklung im Euroraum besorgt ist. Ihre Wachstumsschätzungen liegen nun leicht unter den unsrigen (2019: 1,3 Prozent, 2020: 1,4 Prozent). Dennoch schätzen sie, ganz wie wir, die Wahrscheinlichkeit einer Rezession als sehr gering ein, ebenso wie erneute Deflationssorgen“, so die DWS-Experten.

Mit dieser Entscheidung fühle man sich mit den hauseigenen, kürzlich erst reduzierten Prognosen für die Bundrenditen bestätigt, heißt es weiter. „Für Zehnjährige hatten wir sie Ende Februar von 0,60 Prozent auf 0,30 Prozent auf Zwölfmonatssicht reduziert. Unsere Euro-Dollar-Prognose hatten wir per März 2020 zwar mit 1,15 Euro je Dollar bestätigt, eine kurzfristige Euroschwäche jedoch für wahrscheinlich gehalten“, so die DWS-Experten.

Für europäische Banken verlängere sich mit der gestrigen Entscheidung die Leidenszeit. Durch die Ankündigung der EZB, die Zinsen nicht vor 2020 zu erhöhen, würden sich spürbare Verbesserungen im Zinsergebnis der Banken entsprechend nicht vor 2021 in den Bankbilanzen zeigen, heißt es abschließend.

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  • Ich_bin_ein_Berliner
    Ich_bin_ein_Berliner

    Euro long 3 Jahre sieht richtig mies aus

    21:43 Uhr, 13.03. 2019

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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