Fundamentale Nachricht
16:49 Uhr, 12.04.2018

Jedes Land für sich

Die Entstehung einer neuen politischen Ordnung führt Natixis-Chefökonom Philippe Waechter zufolge zu Verunsicherung, ob die Weltwirtschaft in der Lage sein wird, ihren Wachstumstrend von 2017 und Anfang 2018 fortzusetzen.

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Paris (GodmodeTrader.de) - Das Wirtschaftswachstum hat gerade erst ein Comeback erlebt und schon möchte jedes Land sein eigenes Ding machen. Von Einigkeit ist inzwischen keine Rede mehr, sodass die Weltwirtschaft mittlerweile einen ganz anderen Weg – und zwar den nach unten – eingeschlagen hat. Während der Erholungstendenz der Jahre 2016 und 2017 war die Lage weltweit vergleichsweise stabil. Es gab keine gravierenden Ungleichgewichte, und wenn es besonders schwierige Zeiten durchzustehen galt, dann halfen die Notenbanken etwas nach, wie Philippe Waechter, Chefökonom bei Ostrum Asset Management, in einem aktuellen Marktkommentar schreibt.

Dieser Ansatz habe auch recht gut funktioniert, weil sich die unterschiedlichen Regionen weltweit in ähnlichem Tempo entwickelt hätten. Dadurch aber seien das Wachstum sowie der Handel belebt worden, und die Volkswirte seien gezwungen gewesen, ihre Prognosen regelmäßig nach oben zu korrigieren. Mittlerweile seien diese Zeiten der Kooperation und Koordination allerdings vorbei, heißt es weiter.

„In Europa scheint Emmanuel Macron inzwischen der Einzige zu sein, der sich für eine Reformierung der europäischen Institutionen starkmacht, um so deren Überleben zu sichern. Die deutsche Bundeskanzlerin musste zunächst das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen mit der SPD abwarten und sehen, ob sie überhaupt in der Lage sein würde, eine neue Regierung zu bilden. Damit hat die deutsche Regierung das Ruder also nicht mehr wirklich in der Hand. Gleichzeitig haben sich die Sorgen um den Aufwind der AfD in den Meinungsumfragen als absolut gerechtfertigt erwiesen, denn diese Partei ist nun Oppositionsführerin“, so Waechter.

Parallel dazu hätten die populistischen Parteien bei der Wahl in Italien am 4. März über 50 Prozent der Wählerstimmen erhalten. Vor diesem Hintergrund mehrten sich die Zweifel, ob dort überhaupt noch eine eindeutig pro-europäische Regierung gebildet werden könne. Geschwächt würden die europäischen Institutionen außerdem durch die Debatte, ob Polen und Ungarn vollwertige Mitglieder der EU bleiben sollten. Das Wachstum sei also nach Europa zurückgekehrt, aber die politischen Grundfesten der Region seien wackelig. Deshalb bestehe durchaus Anlass zur Sorge, was wohl passieren werde, falls das Wachstum wieder nachlassen und zukünftig weniger Arbeitsplätze geschaffen werden sollten. Dann könnte das politische Gleichgewicht nämlich durchaus erschüttert werden, heißt es weiter.

„In China dient das Projekt ‚Neue Seidenstraße‘ als Blaupause für den Handel mit Drittländern und spiegelt den Wunsch der Chinesen wider, ihr Handelsumfeld aktiv zu gestalten, um so die Risiken für ihre eigene Situation zu begrenzen. Die Logik, die diesem Programm zugrunde liegt, steht jedoch nicht zu 100 Prozent im Einklang mit dem Ansatz der WTO. Besonders bedeutsam ist das ganze Thema mit Blick auf die jüngste Entscheidung der USA, Einfuhrzölle auf Stahl und Aluminium zu erheben. Diese Maßnahme birgt nämlich die Gefahr eines weltweiten Dominoeffekts sowie neuer globaler Ungleichgewichte – und zwar insbesondere in Europa, dem größten Stahllieferanten der USA. Neu hinzu kommt in der aktuellen Situation der Umstand, dass sich die USA damit nun auch gegen Staaten wenden, die sie traditionell eigentlich als ihre Partner betrachtet haben“, so Waechter.

Aus diesem Grund sei die Geisteshaltung, die hinter diesen Entscheidungen stehe auch so problematisch. Möglicherweise führten diese Maßnahmen ja wirklich dazu, dass in den USA mehr Stahl und Aluminium hergestellt würden, weil die entsprechenden Produktionsanlagen dort nicht vollständig ausgelastet seien. Gleichzeitig aber werde sich die Produktion im Ausland verteuern. Dies sei tatsächlich auch eines von Trumps Argumenten: Die Produktionsstätten in den USA könnten besser ausgelastet werden; deshalb sollte man die Importe eindämmen, um so die einheimische Produktion zu fördern. Dies werde jedoch nicht ausreichen, um die US-Nachfrage vollständig zu decken. Aus diesem Grund dürften die Preise in den weiterverarbeitenden Sektoren in den USA ansteigen, während gleichzeitig die Exporte nach Europa zurückgehen dürften. Außerdem dürfte bei der Stahl- und Aluminiumproduktion außerhalb der USA Preisdruck entstehen, weil jenseits des großen Teichs nichts mehr abgesetzt werde. Das werde die entsprechenden Sektoren in Europa belasten, heißt es weiter.

„Diese Maßnahmen der USA sind auch deshalb so besorgniserregend, weil es sich dabei offenbar lediglich um einen Teil des Puzzles handelt und das Ende der Fahnenstange damit noch lange nicht erreicht ist. So scheint das Weiße Haus seine Strategie sogar noch ausweiten zu wollen – eine Ausnahme sollen lediglich jene Länder bilden, die um Sonderkonditionen bitten und bereit sind, sich an die von Washington vorgegebenen Spielregeln zu halten. Mit dieser Vorgehensweise brechen die USA zugunsten lokaler Geschäftsinteressen mit den Grundprinzipien der WTO. Letztendlich wird diese Politik aber lediglich den chinesischen Handelsprogrammen Vorschub leisten“, so Waechter.

Ein anderer Aspekt der aktuellen US-Politik bestehe darin, dass man das Wachstum dort mit einer sehr aggressiven Haushaltspolitik befeuere, obwohl in den USA bereits Vollbeschäftigung herrsche. Ganz grundsätzlich gelte: Wenn die Arbeitslosigkeit sehr niedrig sei, sinke das US-Haushaltsdefizit. Das sei nur logisch, denn in diesen beiden Indikatoren – also in den Zahlen zur Arbeitslosigkeit und zum Staatshaushalt – spiegele sich ja die aktuelle konjunkturelle Lage wider. Der gewohnte Parallellauf der nachfolgenden Grafik werde durch die Entscheidungen des Weißen Hauses und des Kongresses im Jahr 2018 also offensichtlich unterbrochen. So werde die Arbeitslosigkeit zwar wahrscheinlich niedrig bleiben, das Haushaltsdefizit dürfte jedoch trotzdem ansteigen – zunächst auf über fünf Prozent und möglicherweise auch auf 5,5 Prozent oder sogar auf mehr als sechs Prozent, heißt es weiter.

„Die USA setzen also auf eine nach innen gerichtete Politik. Als Ronald Reagan seinerzeit konjunkturfördernde Maßnahmen einführte, war die Wirtschaft im Gegensatz zur aktuellen Situation von einer Vollbeschäftigung weit entfernt. Deshalb zielt dieser Ansatz also nicht auf volkswirtschaftliche Aspekte ab, sondern vielmehr auf eine Umverteilung von Wohlstand zugunsten der reichsten Bevölkerungsschichten. Dies belegen auch Simulationen für den Zeitraum von 2018 bis 2027, über den sich die aktuelle Haushaltspolitik zunächst einmal erstrecken soll. Diese Vorgehensweise wird dazu führen, dass die Binnennachfrage ansteigt und sich die Ungleichgewichte beim Außenhandel noch verschärfen“, so Waechter.

Eine solche Entwicklung habe sich bereits in den letzten Monaten beobachten lassen. In der Folge werde aber letztlich auch der US-Markt unter Druck geraten, so dass mit einem Anstieg der Inflation zu rechnen sei. Um die Auswirkungen dieser Tendenzen zu umgehen, werde die US-Notenbank noch zügiger und entschlossener vorgehen müssen als bislang erwartet. Für 2018 sei deshalb also von mehr Zinsanhebungen - mindestens vier - auszugehen, wenn die Ungleichgewichte infolge der aktuellen Haushaltspolitik wieder ausgeglichen werden sollten, heißt es weiter.

„Während des aktuellen Zyklus, der im zweiten Quartal 2009 eingesetzt hat, hat die US-Wirtschaft zwar nicht unbedingt ein robustes Wachstum vorgelegt, aber dieser Umstand hat keine langfristigen Ungleichgewichte hervorgerufen. Das Wirtschaftswachstum hätte noch eine ganze Weile zwar langsam, aber doch stetig anhalten können: die monetären Absicherungsmechanismen hätten dafür gesorgt, dass die unterschiedlichen Aspekte des aktuellen Zyklus im Gleichgewicht bleiben. Das Weiße Haus hat jedoch einen anderen Weg eingeschlagen und sowohl bei der Haushaltspolitik als auch mittels höherer Zölle auf Handelsebene einen Schock ausgelöst. Die Konsequenzen werden vermutlich höhere Zinsen seitens der US-Notenbank sowie eine abflachende Zinskurve sein, weil sich die Anleger auch weiterhin auf die Glaubwürdigkeit der Fed verlassen möchten und einen langfristigen Anstieg der Inflation deshalb nicht in ihre Erwartungen für die Langfristzinsen einpreisen werden“, so Wachter.

Eine weitere Folge werde sein, dass die US-Notenbank ihre Geldmarktpolitik schneller als ursprünglich erwartet wieder normalisieren müsse. Um dieser Möglichkeit Rechnung zu tragen, werde die EZB nicht riskieren wollen, die Märkte über einen Richtungswechsel bei ihrer eigenen geldmarktpolitischen Strategie informieren zu müssen. Dies belege, dass die EZB ihre Unabhängigkeit allmählich verliere, da ihre Strategie mittlerweile von den Entscheidungen der US-Notenbank abhängig sei. Darüber hinaus werde die Strategie der Fed den US-Dollar in den nächsten Monaten nach oben treiben, so dass die Zinsdifferenzen allmählich keine Rolle mehr spielen würden, heißt es weiter.

„Dies gilt insbesondere dann, wenn die US-Notenbank das Tempo ihrer Zinsanhebungen beschleunigen muss. Die Zinsen werden also wahrscheinlich schneller und deutlicher erhöht werden als erwartet. Dies wird zur Folge haben, dass auch die Volatilität an den Aktienmärkten ansteigt. Ein solcher Anstieg der Volatilität erfolgt jedoch stets mit einer Verzögerung von 18 bis 24 Monaten nach einer Zinserhöhung, so dass uns dieses Thema erst 2019 bzw. 2020 ins Haus steht“, so Waechter.

Die drei großen Wirtschaftsregionen der Welt setzten also nicht mehr auf einen koordinierten, durch Zusammenarbeit geprägten Ansatz. Die USA und China möchten ihre eigenen Regeln für den internationalen Handel durchsetzen: Diese Haltung ignoriere die Gefahr, damit von den WTO-Richtlinien abzurücken und zu einer bilateralen Strategie zurückzukehren, die letztlich für alle anderen Beteiligten wenig vorteilhaft sein dürfte. In Europa werfe derweil der Mangel an politischer Initiative viele Fragen auf. Die Volkswirte entwickelten zwar potenzielle Lösungen, aber ohne die entsprechende politische Unterstützung blieben diese reine Luftschlösser, heißt es weiter.

„Das durch die Erholungstendenz entstandene Momentum hat also an Kraft verloren, während die Entstehung einer neuen politischen Ordnung zu Verunsicherung führt, ob die Weltwirtschaft in der Lage sein wird, ihren Wachstumstrend von 2017 und Anfang 2018 fortzusetzen. Da diese politische Transformationsphase noch nicht abgeschlossen ist, liegt auch diese Krise noch nicht hinter uns“, so Waechter.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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