Kommentar
11:12 Uhr, 27.01.2022

Ist die Zinspanik angebracht?

So wie sich Anleger derzeit anstellen, könnte man fast meinen, der Leitzins stünde kurz davor in den zweistelligen Bereich vorzustoßen. Zeit, die Fakten in den Fokus zu rücken.

Die geldpolitische Straffung kommt nicht erst, sie ist schon da. Das liegt nicht nur daran, dass die US-Notenbank ihre monatlichen Wertpapierkäufe seit drei Monaten reduziert. Allein die Ankündigung eines Endes von QE und Zinsanhebungen führen zu einer Straffung.

Anleger reagieren frühzeitig auf die Ankündigungen. Kündigt die Notenbank eine Veränderung der Geldpolitik in einem halben Jahr an, wird nicht erst in einem halben Jahr darauf reagiert, sondern sofort. So stieg hinter den Kulissen klammheimlich ein Indikator, der den Stress im Finanzsystem misst (Chicago Fed National Financial Conditions Index), bereits seit Anfang Juli 2021 an.

In den vergangenen Wochen, in denen der erste Zinsschritt immer greifbarer wurde, stiegen auch die Renditen vieler Anleihen an. Die Rendite einjähriger US-Anleihen stieg zwischen November und heute um 0,5 Prozentpunkte an. Die zweijährige Rendite legte um fast einen Prozentpunkt zu.

Die Zinsen steigen seit Wochen und da die Rendite von Staatsanleihen den Zins vieler Kredite bestimmt, ist die Straffung bereits in vollem Gange. Wer in den USA heute eine Hypothek für den Hauskauf aufnimmt, zahlt heute je nach Laufzeit fast 1 % mehr als im vergangenen Sommer.

Der Markt hat einen Großteil der zu erwartenden Straffung bereits eingepreist. Bis Jahresende erwarten Anleger einen Leitzins von mehr als einem Prozent (Grafik 1). Das entspricht vier Zinsschritten in diesem Jahr.

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Das ist angesichts der sehr lockeren Geldpolitik der letzten zwei Jahre natürlich eine Straffung. Anleger reagieren jedoch geradezu panisch darauf. De facto erwarten Anleger, dass die Fed die Wirtschaft in den Abgrund reißt. Ab Ende 2022 wird bereits kein Wirtschaftswachstum mehr erwartet. Die Prognosen sind nahezu apokalyptisch.

In solchen Situationen hilft es, die Fakten zu betrachten. Ja, es wird gestrafft. Ist die Straffung wirklich so gravierend, dass die Wirtschaft gleich zum Stillstand kommt? Wohl kaum. Gemessen an der Inflationsrate, dem Inflationsziel und aktuellem Wirtschaftswachstum wäre ein Leitzins von 7 % angebracht.

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Dieser Zins wird nach einer Formel von Taylor berechnet. Ob diese Formel nun stimmt oder nicht, ist eigentlich unerheblich. Sie stimmt ungefähr und das ist ausreichend. Ob der Leitzins nun also bei 7 % liegen müsste oder bei 3 %, ist von geringerer Bedeutung. Viel wichtiger ist die Feststellung, dass der aktuelle Zins deutlich unter dem liegt, was die Wirtschaft verkraften kann.

Die Lücke zwischen effektivem Zins und berechnetem Zins war noch nie so groß wie jetzt. Das gilt selbst, wenn vier Zinsschritte in diesem Jahr kommen. Es wird zwar gestrafft, doch sehr viel weniger als eigentlich gestrafft werden müsste. Streng genommen bleibt die Geldpolitik auch nach der Zinswende weiterhin locker.

Anleger gehen davon aus, dass die Wirtschaft sehr marode ist und ohne Geldschwemme nicht auf eigenen Füßen stehen kann. Die nüchternen Fakten sagen etwas anderes. Wer am Ende Recht hat, müssen wir abwarten. Persönlich halte ich die absehbare Straffung für verkraftbar, selbst der der höheren Verschuldung im Vergleich zu früheren Zinsanhebungszyklen.

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  • Reindi
    Reindi

    Die Einen reden von Zinsen die Anderen von Krieg, die Welt ist verrückt, Geld ist nicht alles

    18:58 Uhr, 27.01. 2022

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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