Kommentar
10:48 Uhr, 24.05.2017

Ist die US-Notenbank zu aggressiv?

Bei drei Zinsschritten in anderthalb Jahren ist das Wort, welches einem durch den Kopf geht, nicht gerade "aggressiv". Notenbanker selbst sehen das anders.

Der Chef der regionalen Notenbank von St. Louis, James Bullard, bezeichnete das derzeit vorgesehene Tempo der Zinswende als möglicherweise übermäßig aggressiv. Bullard hat aktuell kein Stimmrecht im Offenmarktausschuss und kann daher die Zinsbeschlüsse nicht direkt beeinflussen. Er kann es aber indirekt tun, indem er seine Meinung zum Besten gibt. Das hat er jetzt getan.

Fairerweise muss man sagen, dass es sich um eine durchaus fundierte Meinung handelt. Die Notenbanker sind ja nicht gerade dafür bekannt, dass sie nicht untermauerbare Schnellschüsse über Twitter abgeben. Jeder hat seinen eigenen Blick auf den Datenkranz. Die einen sehen Potenzial für weitere Zinserhöhungen, die anderen sind eher vorsichtig.

Diese Vorsicht bei einigen Notenbankern kommt nun auch im Markt an. Die Grafik zeigt die Erwartung für das Juni-Meeting und bis Jahresende. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Zinsen im Juni um weitere 25 Basispunkte angehoben werden, ist mit 70 % immer noch sehr hoch. Sie lag aber auch schon einmal bei 90 %.

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Noch gibt es keinen Grund daran zu zweifeln, dass die nächste Zinserhöhung im Juni kommt. Ob es dann noch eine weitere in diesem Jahr gibt, steht in den Sternen. Anleger schrieben dem Szenario von insgesamt drei Zinsschritten in diesem Jahr schon einmal eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 60 % zu. Nun liegt sie wieder bei weniger als 50 %. Bullard hat sicherlich dazu beigetragen.

Bullard blickt mit Sorge auf die Daten seit dem letzten Zinsschritt. Seither sind die Langfristzinsen gesunken. Normalerweise sollte die Erwartung steigender Zinsen auch das lange Ende der Zinskurve nach oben drücken. Das geschieht nicht. Ein Grund dafür sind die Inflationserwartungen. Anleger gehen inzwischen nicht mehr von steigender Inflation aus.

Die Inflationserwartungen lagen zu Jahresbeginn noch bei über 2 %. Inzwischen sind vor allem die mittelfristigen Erwartungen (auf Sicht von 2 Jahren) gesunken. Diese liegen nur noch bei 1,7 % und somit unter der Zielmarke von 2 %. Auch die Erwartungen für die fernere Zukunft sind gefallen. Langfristig wird nicht mehr als 1,7-1,8 % Inflation gesehen.

Unter diesen Umständen kommen auch die jüngsten Inflationsdaten ungelegen. Die tatsächliche Inflation fällt wieder. Das liegt nicht nur am Ölpreis. Auch die Kernraten, die Energiepreise ausklammern, sind zuletzt wieder gesunken.

Anleger haben zu diesen Daten ihre eigene Interpretation und spielen bereits mit dem Gedanken einer langsameren Zinswende. Bis Ende 2018 erwarteten Marktteilnehmer noch vor kurzem einen Zinssatz von 1,75 %. Inzwischen ist dieser Wert auf 1,5 % gesunken.

Wenn Inflation ausbleibt und das Wirtschaftswachstum weiter moderat bleibt, gibt es eigentlich keine Argumente für höhere Zinsen. Auch die niedrige Arbeitslosenrate ist kein Argument. Sehr niedrige Arbeitslosenraten werden zwar mit steigender Inflation in Verbindung gebracht, doch der Zusammenhang gilt in den USA schon lange nicht mehr. Die Korrelation zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation war zuletzt sogar negativ.

In einer Studie wird davon ausgegangen, dass eine Arbeitslosenarte von 3,6 % nur einen minimalen Effekt auf die Teuerung haben würde. Die Kerninflation dürfte lediglich um 0,2 Prozentpunkte steigen. Inflation wird also auch in den kommenden Jahren kaum ein großes Thema werden.

Ob all das nun dazu berechtigt die Zinswende als übermäßig aggressiv zu bezeichnen, sei dahingestellt. Es hält zumindest die Tür ein Stück weit offen. Im Juni müssen die Zinsen nicht um jeden Preis angehoben werden. Das ist auch gut so. Wer weiß, vielleicht ist der Präsident bis dahin nicht mehr im Amt. Zusätzlicher Gegenwind von der Notenbank braucht es da für den Markt nicht.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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