Kommentar
09:00 Uhr, 03.07.2024

Ist der Renditeanstieg am Anleihemarkt wieder nur vorübergehend?

Der DAX konnte am Montag zwar kurzzeitig auf ein neues Hoch in seiner flachen Aufwärtstendenz steigen, wenig später wurden die Kursgewinne aber fast vollständig abgegeben. Am Dienstag sah es nicht besser aus.

So rutschte der deutsche Leitindex weiter abwärts, so dass wieder einmal ein Fehlsignal generiert wurde und sich die Konsolidierung der vergangenen Tage letztlich fortsetzt (mehr dazu im Chartanalyse-Dienst „Target-Trend-Spezial“). Letzteres gilt auch für die Aktienindizes in den USA.

Charttechnisch interessantes Auf und Ab der Renditen

Die aktuellen Kursentwicklungen auf dem Anleihemarkt sind dagegen deutlich interessanter. Die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihen war zum Beispiel kürzlich an einem Kreuzwiderstand aus der oberen Linie eines flachen und der unteren Linie eines steileren Aufwärtstrendkanals abgeprallt (siehe roter Pfeil im folgenden Chart). Damit wurde einerseits der Bruch der steilen Trendkanäle und andererseits die Rückkehr in den flachen Trendkanal bestätigt.

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Darauf folgte eine scharfe Abwärtsbewegung, mit der sich eine Beschleunigung des Abwärtstrendkanals andeutete (siehe rote Ellipse). Doch sowohl der Abwärts- als auch der flache Aufwärtstrendkanal wurden letztlich verteidigt. Damit steht die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihen weiterhin zwischen Aufwärts- und Abwärtstendenz.


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Renditen pendeln sich seitwärts ein bzw. aus

Übergeordnet betrachtet hat sich daher nicht viel verändert. Aber die kurzfristigen Signale waren sehr aufschlussreich. Denn sie deuten darauf hin, dass sich die Renditen und Kurse am Anleihemarkt wie erwartet seitwärts einpendeln – im Falle der 10-jährigen US-Staatsanleihen vermutlich zwischen den markanten Hochs und dem Dezember-Tief.

Ein erster Schritt dahin war das Verlassen der steileren Aufwärtstrendkanäle. Ein weiterer würde folgen, wenn nun die obere Linie des Abwärtstrendkanals gebrochen wird, die mit dem jüngsten dynamischen Anstieg erreicht wurde.

Was war der Grund für den aktuellen Renditeanstieg?

Dabei stellt sich die Frage, womit sich die höheren Renditen eigentlich begründen lassen. Denn am Montag wurden überraschend schwache US-Konjunkturdaten veröffentlicht, die eigentlich für eine Zinssenkung der Notenbank Federal Reserve (Fed) und somit fallende Renditen sprechen.

Konkret ging aus der Firmenumfrage des Institute for Supply Management (ISM) hervor, dass die US-Industrie im Juni ihre Talfahrt überraschend beschleunigt hat. Der entsprechende Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe gab auf 48,5 Punkte weiter nach, von 48,7 Zählern im Mai.

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Ökonomen hatten hingegen im Durchschnitt mit einem Anstieg auf 49,1 gerechnet. Aber selbst damit wäre der Frühindikator weiterhin unter der Wachstumsschwelle geblieben, die bei 50 Zählern liegt. Abgesehen von dem kleinen „Ausreißer“ im März wurde diese Marke schon seit Oktober 2022 nicht mehr erreicht.

Damit ist verständlich, warum weite Teile des Aktienmarktes schwächeln, auch wenn sich dies aufgrund der Stärke einiger weniger Aktien (Stichwort: Magnificent Seven) an den großen Aktienindizes der USA nicht ablesen lässt. Den jüngsten Anstieg der Renditen am Anleihemarkt erklärt der ISM-Index indes nicht.

Als Grund dafür gilt vielmehr, dass die Chancen für einen Sieg von Donald Trump bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen nach dem TV-Duell mit Joe Biden gestiegen sind. Zumal ihm jüngst vom Obersten Gerichtshof eine teilweise Immunität vor Strafverfolgung zugebilligt wurde. Und Marktteilnehmer rechnen damit, dass es unter einem US-Präsidenten Trump zu neuen Zöllen und Handelskonflikten sowie einer weiter steigenden Staatsverschuldung kommen wird. Und das lässt die Renditen steigen.

Bund-Future unterbricht seine Ausbruchsbewegung

Interessant ist auch zu beobachten, wie sich dies auf unseren heimischen Anleihemarkt ausgewirkt hat. Denn auch hierzulande sind die Renditen gestiegen und dadurch die Kurse gefallen, was aber wohl auch ein Ergebnis der Wahlen in Frankreich ist. Der Bund-Future ist zum Beispiel in hohem Tempo unter die horizontale Unterstützung gerutscht (siehe roter Pfeil im folgenden Chart), die auch zu dem alten Dreieck (blau) gehörte.

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Und er droht sogar, in den gebrochenen Abwärtstrendkanal (rot) zurückzufallen. Von einem weiteren dynamischen Anstieg, der am vergangenen Freitag noch möglich war, ist nun aus charttechnischer Sicht vorerst nicht mehr auszugehen. Denn die Marke von 131,62 Punkten wurde nachhaltig unterschritten – und auch das Zwischenhoch vom 6. Juni bei 131,51 Zählern, womit eine Überschneidung in den Wellen vorliegt, was aus Sicht der Elliott-Wellen bearish zu werten ist.

Inflation der Eurozone findet ihr vorläufiges Niveau

Zur Entwicklung der Wirtschaftsdaten passt das allerdings genauso wenig wie der Anstieg der US-Renditen. Denn heute hat das EU-Statistikamt Eurostat die Inflationsdaten der Eurozone für den Monat Juni veröffentlicht. Und demnach schwächte sich die Teuerung wieder etwas ab. Die Verbraucherpreise stiegen zum Vorjahr nur noch um 2,5 %, nachdem die Rate im Mai auf 2,6 % geklettert war, von 2,4 % im April.

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Das passt zu der Erwartung der Euro-Währungshüter, wonach die Inflation im Rahmen eines „holprigen“ Pfades bis Jahresende um das aktuelle Niveaus herumschwanken soll. Und wenn sich abzeichnet, dass es dabei bleibt, dann dürften die Marktteilnehmer mit ihrer derzeitigen Erwartung richtig liegen, wonach es bis Jahresende noch eine, maximal zwei Leitzinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) geben wird. Am Finanzmarkt sind aktuell für den weiteren Jahresverlauf Zinsschritte nach unten im Gesamtumfang von 0,40 Prozentpunkte eingepreist.

Währungshüter der EZB geben klare Hinweise

Passend dazu sagte Belgiens Notenbankchef Pierre Wunsch in einem heute veröffentlichten Interview: „Wenn es keine größeren Überraschungen gibt, dann würde ich sagen, dass es auf der Grundlage unserer Prognosen Spielraum für eine zweite Senkung gibt.“ Die nächste Zinssenkung der EZB werde aus seiner Sicht sogar relativ leicht zu beschließen sein. Weitere Lockerungsschritte sollen hingegen nur dann beschlossen werden, wenn die Inflation im Währungsraum klar auf das Notenbankziel von 2 % zusteuert. Da das aber bis Jahresende laut den aktuellen EZB-Erwartungen nicht der Fall sein wird, dürfte es bei einer weiteren Zinssenkung bleiben.

Die EZB-Volkswirte erarbeiten vier Mal pro Jahr Konjunktur- und Inflationsprognosen für den Währungsraum. Diese liegen den Währungshütern zu ihren Zinssitzungen im März, Juni, September und Dezember vor. Und Belgiens Notenbankchef sagte in dem Interview auch, dass eine zweite Zinssenkung jetzt nicht dringend erforderlich sei. Die Währungshüter könnten damit bis zu den September-Projektionen warten, so Wunsch.

Ähnliche Töne waren am Tag zuvor von EZB-Präsidentin Christine Lagarde zu hören. „Es wird einige Zeit dauern, bis wir genug Daten gesammelt haben, um sicher zu sein, dass das Risiko einer über unserem Zielwert liegenden Inflation passé ist“, so Lagarde in ihrer Eröffnungsrede zum diesjährigen Notenbank-Forum der Europäischen Zentralbank (EZB) im portugiesischen Sintra. Auch das kann man als Hinweis auf die im September bzw. Dezember vorliegenden Projektionen der EZB-Volkswirte verstehen. Zumal sie auch sagte, dass die Daten bislang noch nicht ausreichen, um mit Sicherheit die Gefahr einer zu hohen Inflation als überwunden zu erklären. Und die EZB lasse sich nicht von Einzeldaten treiben. „Sich auf Daten zu stützen, heißt nicht, dass einzelne Daten ausschlaggebend sind“.

Bereits am Donnerstag vergangener Woche hatte der slowakische Notenbankchefs Peter Kazimir eine Zinssenkung im Juli quasi ausgeschlossen, zugleich aber für eine weitere Zinssenkung im laufenden Jahr die Türe weit geöffnet und dabei ebenfalls auf die Sitzungen im September und Dezember verwiesen. „Ich denke, wir könnten in diesem Jahr eine weitere Zinssenkung erwarten“, sagte er auf einer online übertragenen Konferenz in der slowakischen Hauptstadt Bratislava. „Die EZB legt Prognosen vor, die nächsten werden im September sein und dann etwas vor Weihnachten“, so Kazimir. Und: „Ich denke, das sind die richtigen Momente, wenn wir genug Daten haben, um wieder zu entscheiden.

Auch sein Kollege der niederländischen Notenbank, Klaas Knot, hatte sich derart geäußert. Vieles spreche dafür, Zinssitzungen, zu denen neue Wirtschafts-Projektionen vorlägen, für die Austarierung des geldpolitischen Kurses zu nutzen, sagte Knot am 20. Juni.

Fazit

Der aktuelle Anstieg der Renditen am Anleihemarkt ist also politisch getrieben, vor allem durch die jüngsten Ereignisse in den USA (TV-Duell, Entscheidung des Obersten Gerichts), aber auch durch das Wahlergebnis in Frankreich. Doch derartige politische Börsen haben meist kurze Beine. Und da die EZB sehr deutlich auf eine zweite Leitzinssenkung zusteuert, auch wenn diese noch bis zur Sitzung im September oder gar Dezember auf sich warten lassen wird, sollten die Renditen hierzulande eigentlich nicht mehr auf neue Hochs klettern, sondern tendenziell sogar sinken.

Dem Kursrutsch des Bund-Future sollten daher bald wieder Kursanstiege folgen. Und daher bleibe ich bei der Erwartung, wonach der Bund-Future in eine Seitwärts- und später in eine moderate Aufwärtsbewegung einschwenken sollte. Ich glaube daher nicht, dass das Tief von Ende Mai bei 128,73 Punkten unterschritten wird.

Deshalb kann man aus meiner Sicht an bestehenden Long-Positionen festhalten und/oder bei einem weiter fallenden Bund-Future neue ins Depot holen, um auf bald wieder steigende Kurse zu setzen. Erstes Kursziel: Eine Rückkehr zum Bereich um 132,60 Punkten. So könnte man das Einschwenken in eine Seitwärtstendenz gewinnbringend nutzen.

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