Kommentar
10:34 Uhr, 24.11.2015

Ist der Finanzmarkt vernünftiger geworden?

Die Finanzkrise soll sich nicht wiederholen können. Das versprechen Politiker weltweit. Tausende Seiten von neuen Regeln wurden geschrieben und teilweise umgesetzt, doch hat das etwas gebracht?

Ein Feindbild von Politikern und Regulatoren sind Derivate. Das ist verständlich, denn viele Derivate sind nicht einfach zu durchschauen. Die Komplexität von Derivaten verschleiert oftmals das Risiko, welches Anleger und Investoren auf sich nehmen. Viele Banken weltweit, die mit großer Freude die US Kreditmarktderivate MBS (Mortgage Backed Securities) und ABS (Asset Backed Securities) in ihre Bücher nahmen, dürften die Risiken nicht verstanden haben.

Für viele Marktteilnehmer war es eine große Überraschung, dass Instrumente mit gutem Rating massenweise ausfielen. Die Schuld daran trugen nicht die Derivate selbst, sondern die Ausgestaltung der Derivate. Das Grundprinzip der meisten Instrumente ist einfach. Das war auch bei MBS und ABS der Fall. Im Grunde genommen kauften Investoren ein Portfolio von besicherten Krediten. Ein sehr viel einfacheres Grundprinzip gibt es fast nicht.

Das Problem lag in der konkreten Ausgestaltung. Es wurden Kredite zusammengefasst, die eigentlich von geringer Qualität waren. Die obersten 10 oder 20% dieser Kredite wurden dennoch mit hohen Ratings versehen, obwohl das einfach nicht zutraf. Hier haben vor allem Ratingagenturen versagt und Banken haben weggeschaut. Banken sollten die Grundprinzipien eigentlich verstehen. Entweder waren sie damals zu naiv („hatten keine Ahnung von ihrem Geschäft“) oder sie haben bewusst weggeschaut. Beides ist nicht gerade schmeichelhaft.

Wenn Finanzmarktakteure nicht in der Lage sind ihr Geschäft im Griff zu behalten, dann muss die Regulierung ran. Eine Möglichkeit Verluste und zu komplexe Strukturen, die niemand mehr versteht, zu begrenzen, ist die Limitierung des Volumens. Derivate kann man nicht abschaffen oder verbieten. Das hätte durchaus auch realwirtschaftliche Konsequenzen. Ein Beispiel sind CDS (Credit Default Swaps).

CDS sind nichts anderes als eine Kreditversicherung. Wer seinen Kredit gegen Ausfall absichern will, der kauft eine Versicherung. Das ist weder verwerflich noch schädlich. Viele Risiken würden von Investoren nicht eigegangen, wenn sie sich dagegen nicht absichern könnten. Die Folge: viele realwirtschaftliche Projekte würden nicht umgesetzt werden. Ohne Kredit fällt das Wachstum geringer aus und weniger Arbeitsplätze entstehen.

Grafik 1 zeigt das ausstehende Volumen von CDS weltweit. Das Volumen liegt bei 14,5 Billionen. Kurz vor der Finanzkrise waren es 40 Billionen. Das ist ein massiver Unterschied. Der Markt ist im Vergleich zu 2007 radikal geschrumpft. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass weniger Risiken eingegangen werden oder der Markt vernünftiger geworden ist. CDS sind antizyklisch. Läuft die Wirtschaft gut, dann werden weniger Versicherungen gegen Kreditausfälle gebraucht. Geht es mit der Wirtschaft bergab ist die Nachfrage groß, weil auch die Wahrscheinlichkeit von Kreditausfällen steigt.

Banken und Versicherungen, die CDS begeben, sind durch die antizyklische Nachfrage in der Bredouille. Banken, die Kredite vergeben, sind mit höheren Ausfallraten in ihren eigenen Büchern konfrontiert. Gleichzeitig können zusätzliche Ausfälle über CDS anfallen. Für Banken verschärft sich die Lage.

Generell lässt sich das Risiko managen. Eine Bank muss einfach das Volumen an CDS, welche sie verkauft, begrenzen. Hat eine Bank z.B. 10 Mrd. Eigenkapital, dann sollte sie vielleicht nicht 20 Mrd. an CDS ausgeben, sondern lediglich 1 Mrd., um Verluste durch das Eigenkapital auffangen zu können.

Genau das war ein Problem der Finanzkrise. Der weltgrößte Versicherer AIG hatte ein extrem hohes Volumen an CDS ausstehen. Dabei wurden teils mehr CDS auf einen Kredit verkauft, als es überhaupt an Kredit gab. Ein 10 Mio. Kredit konnte mehrfach versichert werden. Ein Investor konnte durch einen Kreditausfall mehr gewinnen als die Gesamthöhe des Kredites. Kaufte ein Investor 2 Mal CDS für die 10 Mio. Kredit, konnte der Investor im Falle des Defaults 20 Mio. erhalten.

Ein Grundprinzip der Versicherung ist ein übereinstimmendes Interesse zwischen Versicherung und Versicherten. Ein Schaden darf nicht dazu führen, dass der Versicherte einen Gewinn macht. Ist das möglich, dann ist das moralische Risiko sehr groß. Wer ein Haus im Wert von 500.000 Euro besitzt und 1 Mio. erhält, wenn es niederbrennt, dann kann die Versuchung schon recht groß sein...

Ob das Problem der Doppelversicherung auf dem Kreditmarkt wirklich gelöst ist, darf man bezweifeln. Auch der weltweite Derivatemarkt scheint nicht unbedingt an Größe eingebüßt zu haben. Grafik 2 zeigt das ausstehende Volumen von Derivaten weltweit. Zuletzt lag der ausstehende Nominalbetrag bei gut 500 Billionen Dollar. Zum Vergleich: die weltweite Wirtschaftsleistung liegt bei ca. 80 Billionen.

Seit 2013 ist der ausstehende Nominalbetrag rückläufig, insbesondere das Volumen der Zinsderivate schrumpft. Das könnte unter Umständen mit der Politik der Notenbanken zu tun haben, die zumindest mittelfristig für weniger Volatilität sorgen. Wo wenig Bewegung ist, da ist auch relativ wenig zu verdienen.

Der Nominalwert der Derivate wirkt exorbitant hoch. Es ist jedoch nicht so, dass, wenn alles schief geht, auch 500 Billionen verloren werden. Marktteilnehmer bewegen einen Betrag von 500 Billionen, allerdings durch einen Hebel. Der eigentliche Marktwert – der Betrag, der im schlimmsten Fall verloren werden kann – liegt bei 15,5 Billionen. Entstünde für alle Derivate ein Totalverlust, dann würden Investoren 15,5 Billionen verlieren.

Ein Verlustpotential von 15,5 Billionen ist viel, doch bei weitem nicht so katastrophal wie das Nominalvolumen auf den ersten Blick erscheinen lässt. Dennoch ist die Gefahr nicht zu unterschätzen. Der Marktwert der Derivate lag vor Ausbruch der Finanzkrise bei 35 Billionen. Ein halbes Jahr später lag er bei 25 Billionen. Wie viel von dem Rückgang auf tatsächliche Verluste entfallen ist kann man nicht sagen, doch einige Billionen dürften wohl verbrannt worden sein.

Vergleicht man das derzeitige absolute Verlustpotential von 15,5 Billionen mit den Verlusten, die andernorts entstehen können, dann sind Derivate noch das geringste Problem. Nimmt man einen Preisrückgang von 30% über alle Assetklassen hinweg an, dann können Anleihegläubiger über 30 Billionen verlieren, Aktionäre 20 Billionen. Das sind deutlich andere Größenordnungen als bei Derivaten.
Ein exzessiver Gebrauch von Derivaten ist unnötig. Eine Einschränkung ist sinnvoll. Wenn sich die Regulatoren jedoch wirklich über Verlustpotentiale Gedanken machen wollen, dann müssen sie den Anleihenmarkt ins Visier nehmen. Davon ist bisher wenig zu sehen.

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8 Kommentare

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  • Marco Soda
    Marco Soda

    Herr Schmale Ihre gedanken sind nachvollziehbar. Nur warum darf ein Zocker nicht eine Versicherung kaufen, obwohl die Basis nicht vorhanden ist ? Wenns daneben geht ,verdient der Versicherer ( die bank ) eben doppelt ) da ist nix verwerfliches dabei.

    11:07 Uhr, 24.11. 2015
    1 Antwort anzeigen
  • Mitdenker
    Mitdenker

    Ich denke, dass die ursprünglichen Player an den Finanzmärkten durch Vorschriften und Regualtorien "vernünftiger" geworden sind. Nur kommen seit 5 Jahren andere Player immer aktiver in den Markt, namentlich Zentralbanken, für die diese Regulatorien und Vorschriften nicht gilt und dementsprechend würde ich die Frage mit Nein beantworten. Ganz besonders, wenn die EZB ab Dezember auch Aktien kauft und damit die Büchse der Pandorra zum neuen Chrash öffnet....

    10:58 Uhr, 24.11. 2015
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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