Kommentar
13:00 Uhr, 12.08.2022

Ist das deutsche Wirtschaftsmodell am Ende?

Billige Rohstoffe rein, Industriegüter raus – so ließ sich das deutsche Wirtschaftsmodell vereinfacht beschreiben. Jetzt wird es in Frage gestellt.

Die Logik ist einfach wie bestechend. Deutschland ist ein Industrie- und Exportland. Viele Jahre lang konnte Deutschland billig Rohstoffe einkaufen. Langfristige Lieferverträge, vor allem für russisches Erdgas, sorgen für eine wettbewerbsfähige Industrie. Manche verorten im billigen russischen Erdgas sogar den Wettbewerbsvorteil schlechthin. Dieser fällt nun weg. Unabhängig davon, ob man russisches Erdgas noch kaufen will oder nicht, es wird wenig geliefert. Was genau es braucht, damit das Gas wieder in gewohnten Mengen fließt, ist nicht klar. Von einer minimalen Lockerung der Sanktionen gegen Russland bis zu einer vollständigen Aufhebung ist alles denkbar. Insbesondere letzteres wird es wohl nicht geben. Erdgas bleibt bis auf Weiteres ein rares Gut und das, was man bekommt, ist nun teurer. Das einfache Modell, mit billiger Energie Industriegüter herzustellen und sie zu exportieren, ist in Gefahr. Es zeigt sich bereits in den Daten, meinen einige Analysten und Ökonomen. Deutschland lag seit der Finanzkrise beim Wachstum in Europa vorne. Noch immer ist die Wirtschaftsleistung an der Spitze, doch von der einstigen Wachstumslokomotive ist nicht mehr viel übrig.


Der Vorsprung nach der Finanzkrise wurde zunächst immer größer. Bereits kurz vor Beginn der Coronakrise wuchs die Wirtschaftsleistung etwas langsamer. Seit der Coronakrise wächst Deutschland besonders langsam. Ob Italien, Frankreich oder die gesamte Eurozone, die Wirtschaftsleistung hat das Vorkrisenniveau wieder erreicht. Deutschland kann das nicht behaupten und liegt lediglich vor Spanien (Grafik 2).

Kritiker des deutschen Wirtschaftsmodells fühlen sich bestätigt. Insbesondere die Stagnation im zweiten Quartal scheint zu bestätigen, wie wichtig billiges Erdgas ist. Der Abgesang auf das Wirtschaftsmodell hat begonnen, zumal Energie nicht so schnell wieder günstiger wird.

Importe von Flüssiggas sind teurer und wurden aus diesem Grund von der Industrie auch bisher abgelehnt. Nun gibt es keine andere Wahl. Auch die langfristige Umstellung auf erneuerbare Energien ist teuer. Ein Wirtschaftsmodell, welches auf billige Energie angewiesen ist, funktioniert so oder so nicht mehr.

Ob aus Schadenfreude oder ernstgemeinten Sorgen, Deutschlands Wirtschaft wird international immer mehr abgeschrieben. Die Logik ist auch bestechend wie einfach. Einige wesentliche Aspekte werden übersehen. Die aktuelle Wachstumsschwäche hat andere Gründe als teure Energie.

Die Autoindustrie kann nicht produzieren, wie sie will, weil Vorleistungsgüter fehlen. Der Import und Export stockt, nicht zuletzt, weil die Häfen verstopft sind. Einer der wichtigsten Importeure von deutschen Gütern, China, schleppt sich zudem von einem Lockdown zum nächsten.

Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern ist das produzierende Gewerbe wichtiger. Der schnellere Rebound nach den Lockdowns in Europa ist vor allem in den Ländern zu sehen, die mehr auf Konsum angewiesen sind. All das hat nichts mit Erdgas zu tun. Der Abgesang kommt verfrüht und die Argumente missbrauchen aktuelle Wirtschaftsdaten als Beweis, obwohl die Ursachen andere sind.

Das bedeutet nicht, dass Deutschland nicht an seinem Modell arbeiten muss. Die Berichte über den Niedergang der Industrie sind jedoch übertrieben und es werden falsche Schlussfolgerungen gezogen. Man kann auch nicht davon ausgehen, dass nun z.B. Indien, welches billig in Russland einkauft, plötzlich deutsche Autos ersetzen wird. So einfach ist Wirtschaft dann doch nicht.

Clemens Schmale


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1 Kommentar

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  • Marc1
    Marc1

    Sehe ich auch so, gut dass Sje das mal schreiben, ich sehe sogar eine bessere Zukunft. Wenn China ausfällt bzw. Unternehmen sich von dort zurück ziehen bzw. wg. der vielen Unsicherheiten weniger investieren, bleiben wenige Länder, die die hochwertige Produktion (Maschinen, Autos, Halbleiter wenn TMC ausfällt usw.) kompensieren können. Das sind nicht USA, UK und auch nicht Indien.

    Mich interessiert brennen, was Apple machen wird. Die haben in China ein veritables Klumpenrisiko.

    14:07 Uhr, 12.08.2022

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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