Kommentar
12:02 Uhr, 12.11.2021

Inflation: Diesmal ist es anders

Die EZB sieht weit und breit kein Inflationsproblem und die Fed definiert einfach „vorübergehend“ neu. Ein Irrtum sondergleichen.

In den USA hat die Notenbank endlich eingestanden, dass die Inflationsrate doch ungewöhnlich hoch ist und sich die Lage auch nicht sofort wieder normalisieren wird. Damit gibt sie zu, dass die ursprüngliche Einschätzung eines zeitlich sehr begrenzten Phänomens falsch war. Dennoch bleibt sie dabei: Die hohe Inflation ist kein Problem. Sie betrachtet diese immer noch als vorübergehend. Umgangssprachlich käme wohl niemand auf die Idee, einen Zustand, der mehrere Jahre anhält, als vorübergehend zu bezeichnen. Die Notenbank tut dies. Sie hat kurzerhand den Begriff vorübergehend neu definiert. Alles, was nicht permanent ist, gilt als vorübergehend. Die US-Notenbank vollzieht damit einen semantischen Wunderakt. Es ändert jedoch nichts an den Fakten.

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Kerninflation in den USA vor 2023 wieder 2 % erreicht. Aktuell liegt der Wert bei mehr als 4 % und dürfte sogar in den kommenden Monaten knapp 6 % erreichen. Danach geht es zwar bergab, doch der Wert bleibt über 2 % (Grafik 1).


Ob 2 % im Jahr 2023 wieder erreicht werden, hängt von vielen Faktoren ab. Dazu später mehr. Zunächst aber muss man der Notenbank zugestehen, dass der Inflationsanstieg im Big Picture tatsächlich nicht besorgniserregend aussieht und sogar als zeitlich begrenzt betrachtet werden kann (Grafik 2).

Vieles hängt davon ab, wie lange die Kerninflation über der Marke von 2 % verharrt. Einige Faktoren sprechen dafür, dass es deutlich länger dauern wird als bisher gedacht. Kurzfristig ist ein Inflationsrückgang unwahrscheinlich, weil die Lieferketten noch lange nicht wieder einwandfrei funktionieren.

Lieferengpässe dürften nach derzeitigem Stand bis Mitte 2022 ein Thema bleiben. Diese Prognose berücksichtigt noch nicht, dass die Corona-Fallzahlen in vielen Ländern gerade wieder ansteigen. In China kommt es immer wieder zu regionalen Lockdowns und auch in Europa werden einige Länder wieder mehr Einschränkungen vornehmen.

Noch bevor die Lieferengpässe behoben sind, drohen neue Probleme in der Lieferkette. Solange die Pandemie nicht unter Kontrolle ist – und davon sind wir immer noch weit entfernt – bleibt die Situation angespannt.

Unternehmen reagieren darauf, indem sie Lieferketten nach und nach neu ausrichten. Das bedeutet jedoch nicht, dass damit die Preise sinken. Die Neuausrichtung findet statt, indem Produktion wieder ins eigene Land geholt wird. Damit können Probleme wie fehlende Schiffscontainer zwar umgangen werden, doch die Preise senkt es nicht. Das Reshoring, nachdem jahrelang Offshoring betrieben wurde, senkt die Preise nicht.

Diese zwei Faktoren (Lieferengpässe und Reshoring) sprechen für eine weiterhin hohe Inflationsrate. Ein dritter Faktor spielt eine ebenso große Rolle: Arbeitskräftemangel. Grundsätzlich gibt es einen Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit (Phillips Kurve). Je mehr Menschen beschäftigt sind, desto höher ist die Inflation (Grafik 3).


Momentan ist die Inflation unabhängig von der Beschäftigungsquote. Das bedeutet: Egal, wie viele Menschen auf den Arbeitsmarkt strömen, die Inflation bleibt hoch. Zu allem Überfluss ist die Arbeitslosigkeit bereits niedrig. Im Gegensatz zu den Jahren nach der Finanzkrise liegen die Quoten bereits wieder in der Nähe der Rekordtiefs (Grafik 4).

In den USA mag der Wert täuschen, da die Beschäftigungsquote nach wie vor niedrig ist. Das ist in Ländern der Eurozone oder Japan nicht der Fall. In Australien und Neuseeland arbeiten sogar so viele Menschen wie noch nie zuvor. Arbeitskraft ist knapp. Das wird die Inflationsrate auch mittelfristig stützen.

Der vierte Grund für mittelfristig hohe Inflation sind die Staatsausgaben. Die US-Regierung wird pro Jahr 1,5 %-2 % der Wirtschaftsleistung zusätzlich investieren bzw. an die Bevölkerung verteilen. In der EU beginnt das Next Generation Programm, welches ebenfalls fast 10 % der Wirtschaftsleistung ausmacht und über mehrere Jahre für erhöhte Nachfrage sorgt.

Im Vergleich zu früheren Krisen sind vier Faktoren ganz anders: Lieferengpässe, Reshoring, Arbeitskräftemangel und Staatsausgaben. Inflation wird entgegen der semantischen Wunderwerke der Notenbanker ein Dauerthema bleiben.

Clemens Schmale


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3 Kommentare

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  • Zukunft21
    Zukunft21

    Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Kerninflation in den USA vor 2023 wieder 2 % erreicht. Aktuell liegt der Wert bei mehr als 4 % und dürfte sogar in den kommenden Monaten knapp 6 % erreichen. Danach geht es zwar bergab, doch der Wert bleibt über 2 % (Grafik 1).

    Wer sagt das es danach wieder Bergab geht Herr Schmale haben Sie eine Glaskugel ??

    Warten wir ab die könnte auch noch um einiges höher steigen !!

    15:41 Uhr, 13.11.2021
  • Highlander_AT
    Highlander_AT

    Ein wichtiger Aspekt fehlt meiner Meinung nach noch - das Potenzial für steigende Zinsen ist aufgrund der Staatschuldenquoten äußerst beschränkt, womit kaum gegengesteuert werden kann.....

    13:33 Uhr, 12.11.2021

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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